Jacques Derrida und die Sprache
Die Sprache – auch die gesprochene – ist ihrer Struktur nach Schrift, so die These Jacques Derridas. Klingt unlogisch? Wir helfen weiter.
Das Zitat
„Nicht dass das Wort ‚Schrift‘ aufhörte, den Signifikanten des Signifikanten zu bezeichnen; in einem ungewohnten Licht aber wird deutlich, dass ‚Signifikant des Signifikanten‘ nicht mehr eine akzidentielle Verdopplung und abgefallene Sekundarität definiert. ‚Signifikant des Signifikanten‘ beschreibt im Gegenteil die Bewegung der Sprache – in ihrem Ursprung; aber man ahnt bereits, dass ein Ursprung, dessen Struktur als Signifikant des Signifikanten zu entziffern ist, sich mit seiner eigenen Hervorbringung selbst hinwegrafft und auslöscht.“
– Aus Grammatologie (1967)
Die Relevanz
Mit seiner Grammatologie, der Wissenschaft von der Schrift, will Derrida die abendländische Metaphysik gegen den Strich bürsten. Die bisherige Sprachwissenschaft nach Ferdinand de Saussure trennt die Sprache in Laute und Bedeutungen: Das Bezeichnende (Signifikant), wie zum Beispiel das gesprochene Wort „Baum“, steht dem Bezeichneten (Signifikat) gegenüber, etwa der Vorstellung eines Baumes. Dieser klaren Unterscheidung zwischen Form und Inhalt entspricht eine Reihe anderer hierarchisierender Unterscheidungen, deren Zusammenhang von jeher ein Problem für die Metaphysik darstellt: Körper – Geist, Natur – Kultur, Ich – anderer et cetera. Mit einer Neuanalyse der Schrift bringt Derrida diese starren Gegensätze in Bewegung. Damit trägt er entscheidend zu den Thesen des Poststrukturalismus bei.
Die Erklärung
Die Sprachwissenschaft ist gekennzeichnet durch eine Abwertung der Schrift. Denn das geschriebene Wort repräsentiert ja lediglich das Gesprochene. Es ist somit Zeichen für ein Zeichen, ein Signifikant des Signifikanten. Derrida dreht diese Hierarchie nun um. Was für die Schrift gilt, gilt für die Sprache überhaupt – auch für die gesprochene: ein Zeichen verweist nicht auf eine Bedeutung, sondern auf ein anderes Zeichen. Der Sinn eines Wortes entsteht erst im Zusammenspiel mit anderen Worten – und das jedes Mal neu. Es gibt also nicht mehr eine ursprüngliche Bedeutung, die sich in einem zweiten Schritt in einem Wort ausdrückt, genauso wenig wie es ein Ich gibt, das erst in einem zweiten Schritt auf andere trifft. Beides ergibt sich erst in einem Spiel der Repräsentationen und Differenzen. •