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Bild: Addictive Stock (Imago)

Interview

Otfried Höffe: „Hoffnung und Verzicht widersprechen einander nicht“

Otfried Höffe, im Interview mit Annika Fränken veröffentlicht am 29 September 2023 8 min

Wir haben schon lange genug und streben doch nach immer mehr. Eine Tendenz, die im dunkler werdenden Angesicht der Klimakrise keine Zukunft hat. Der Philosoph Otfried Höffe erläutert im Interview, wie Verzicht erlernbar ist und inwiefern er die Politik dennoch in der Verantwortung sieht.

 

Herr Höffe, in Ihrem jüngsten Buch unternehmen Sie den Versuch, den Verzicht von seinem negativen Image zu befreien und begeben sich dafür auf die Suche nach seinen „hellen Seiten“. Was sind diese „hellen Seiten des Verzichts“?

Die hellen Seiten des Verzichts sind Bedingungen unseres Menschseins und können es in mancher Hinsicht sogar noch steigern. Wie wir wissen, wird der Mensch allzu oft von Leidenschaften bedrängt: von Habgier, Ehrsucht und Machtgier. Damit bedroht er seine Mitmenschen und gefährdet ein humanes Zusammenleben. Auf das eigene Leben bezogen führen diese Leidenschaften dazu, dass man, statt Herr seiner Wünsche und Interessen zu sein, zum Sklaven der eigenen Triebe wird. Um dem zu entgehen, braucht man einen souveränen Umgang mit seinen Interessen und Affekten, den man Besonnenheit nennt. In der Tugend der Besonnenheit besteht nun eine der hellen Seiten des Verzichts. Ebenso gerät jeder Mensch gelegentlich in eine Gefahrenlage, in der er dann entweder vorpreschen oder ängstlich zurückweichen will. Erneut ist ein souveräner Umgang mit der Situation geboten, den wir Tapferkeit oder Courage nennen. Das sind Charakterhaltungen, die ein humanes Leben sowohl ermöglichen als auch steigern.

Ist Verzicht also auch eine Art der Selbstermächtigung?

So könnte man es auch nennen. Ich würde es allerdings eher als ein souveränes Selbstverhältnis beschreiben.

Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie vom Verzicht als einer Bedingung des Menschseins sprechen?

Genau. Wenn wir nicht zur Besonnenheit oder zur Tapferkeit fähig sind, werden wir zu Sklaven unserer Interessen und sind Gefahrenlagen hilflos ausgesetzt. Um eine das Menschsein ermöglichende Selbstkontrolle zu erreichen, brauchen wir Verzichte, die auch als Kardinaltugenden bekannt sind:  Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Klugheit.

Wenn Sie die Kardinaltugenden ansprechen, beziehen Sie sich auf die antike Lebenskunst. Was kann man in Punkto Verzicht von antiken Denkern lernen?

Als erstes kann man von der Antike lernen, dass der Mensch nach einem gelingenden und glücklichen Leben strebt. Das erreicht er nur, wenn er in bestimmten Bereichen verzichten kann. Damit haben sich zum Beispiel Aristoteles und die Stoa befasst. Bei ihnen lernen wir, nicht nur darauf zu achten, was moralisch geboten ist, sondern dass wir uns zunächst auf die Frage konzentrieren, was dem Menschen sein Menschsein und ein selbstbewusstes und eigenständiges Leben ermöglicht.

Sie sprechen Aristoteles an, der unter anderem für seine Mesoteslehre, die Lehre der Mitte, bekannt ist. Besteht der Verzicht also gar nicht nur aus einer Selbstbeschränkung, sondern ist vielmehr auch die Suche nach einem richtigen Maß?

In der Tat. Mit der Mesotes, der Mitte, ist im Fall von Gefahren ein Weg zwischen dem blinden Vorpreschen und dem ängstlichen Zurückweichen gemeint. Insofern ist die Mitte etwas, das nicht einfach mathematisch zu berechnen ist. Es ist eine neue Qualität. Die hier angesprochene Mitte besteht in etwas Vollkommenen, in einem Superlativ. Aristoteles spricht auch vom Besten, Äußersten und einer Vorzüglichkeit. Die Mitte ist also eine Spitze, eine Höchstform menschlichen Lebens, die man deshalb auch eine Bestheit, eine Tugend nennt. Wer beispielsweise tapfer ist, nimmt weder alle Gefahren auf sich noch drückt er sich vor jeder Gefahr. Vielmehr setzt er sich in ein überlegtes und überlegenes Verhältnis zu ihnen. Man kann auch sagen, dass er seine Leidenschaften beziehungsweise Affekte klug, das heißt vernünftig organisiert. 

Auf individueller Ebene mögen die Notwendigkeit des Verzichts und die Rolle der Klugheit noch einsichtig sein. Aber es scheint doch so, dass in der heutigen Zeit ein Problem dazugekommen ist. Insbesondere in Bezug auf den Klimaschutz haben unsere individuellen Handlungen viel weitreichendere Auswirkungen. Wir schaden nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Mitmenschen und der Umwelt. Wie können wir es auf kollektiver Ebene schaffen, zu verzichten? Auch dann, wenn die direkte Selbstwirksamkeitserfahrung, die auf individueller Ebene noch gegeben ist, wegfällt?

Inzwischen wissen wir, dass es insbesondere die Menschen in Ländern des globalen Nordens sind, die die Notwendigkeit des Verzichts im Sinne des Klimaschutzes am dringlichsten predigen, selbst aber am meisten Ressourcen verbrauchen. Über die anstehende Aufgabe sind wir uns einig. Umstritten ist, wie die notwendigen Maßnahmen, z. B. die Verringerung des Pro-Kopf-Verbrauchs von Wohnraum und Energie, umgesetzt und durchgesetzt werden sollen. Viele Dinge sind schon in die richtige Richtung angestoßen worden. Ich selbst bewege mich in München, wo ich wohne, beinahe ausschließlich mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Andererseits ist unumstritten, dass auf dem Lande bestimmte Wege nur mit dem Auto zu bewältigen sind. Um diese Notwendigkeit entschieden zu verringern, ist es von Seiten der Politik wichtig, dass öffentliche Verkehrsmittel flächendeckend und rasanter ausgebaut werden. Es ist paradox, dass die Politik auf der einen Seite für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel wirbt und auf der anderen Seite weiß, dass die einschlägigen Streckennetze höchst lückenhaft sind. Es gibt also viele Stellschrauben, sowohl auf individueller als auch auf politischer Ebene, an denen gleichzeitig gedreht werden muss.

Sie sprechen die Notwendigkeit politischer Maßnahmen an. Sind wir, bezogen auf die Umweltprobleme, in einer Phase angekommen, in der Verordnungen zum Verzicht von oben, d. h. von staatlicher Seite unerlässlich geworden sind?

Wir leben in einer Demokratie, für deren Funktionieren mündige Bürger unverzichtbar sind. Deshalb sollte der Staat weit mehr mit Aufklärung und Anreizen arbeiten und sich mit zwangsbefugten Geboten und Verboten sehr zurückhalten. Viele Verbote, denken wir beispielsweise an die aktuelle Heizungspolitik, sind handwerklich nicht einmal gut ausgearbeitet. Folglich dürfen wir nicht nur auf Grund der Freiheit und des Wertes der eigenen Mündigkeit skeptisch sein, sondern müssen auch sehen, dass der Staat oftmals gar nicht dazu in der Lage ist, passgenaue Gebote und Verbote zu formulieren. Wenn dagegen Anreize geschaffen werden und der Wettbewerb der besten Möglichkeiten bestehen bleibt, kommen wir erheblich vorwärts.

In diesem Sinne warnen Sie in Ihrem Buch vor der „Ökodiktatur“. Was genau meinen Sie damit und worin besteht die Gefahr einer Ökodiktatur?

Der Begriff der Ökodiktatur ist insbesondere von dem Philosophen Hans Jonas verwendet worden. In seinem Werk „Das Prinzip Verantwortung“ schreibt er, dass wir Verantwortung für unsere Umwelt und für die Natur haben. Das ist unstrittig. Jonas folgert aber daraus, dass wir notfalls eine Diktatur schaffen und den Umweltschutz mit Zwangsmitteln durchsetzen müssen. Diesen Schritt weise ich entschieden zurück. Erstens sind uns mündigen Demokraten Zwangsmittel grundsätzlich zuwider.  Des Weiteren gibt es noch andere lebenswichtige Bereiche. Wir dürfen den Natur- und Umweltschutz beispielsweise nicht zu Lasten der Gesundheit, der Bildung oder der Rechtssicherheit durchsetzen. Eine gute Politik muss die verschiedenen lebenswichtigen Dinge gewichten, und ihnen gleichermaßen gerecht werden. Im Übrigen: Selbst wenn wir den Umweltschutz für so wichtig halten, dass er wie ein Trumpf alle anderen öffentlichen Aufgaben aussticht, wenn wir also doch eine Ökodiktatur errichten, kann keiner garantieren, dass die Politiker, wenn sie einmal an die Macht gekommen sind, ihre Zwangsmittel nicht auch anderweitig anwenden. Vor den Verführungen der Macht ist kaum jemand sicher. Insofern sollten wir uns sowohl aus prinzipiellen aber auch aus pragmatischen Gründen gegen eine Zwangsherrschaft von Umwelt- und Klima-Diktatoren wehren.

Als eine zentrale Ursache für die Überbelastung der Erde nennen Sie das rasante Bevölkerungswachstum, dem, wie Sie sagen, Einhalt geboten werden sollte. Nun ist das Recht auf Nachkommen aber doch auch ein zentrales menschliches Freiheitsrecht. Wären politische Maßnahmen, die die Geburtenrate mit Blick auf Klima senken sollen, nicht auch schon Teil einer Ökodiktatur? 

Zunächst einmal ist es richtig, dass das Recht auf Fortpflanzung zu schützen ist, übrigens nicht nur auf Grund der individuellen Entfaltung, sondern auch, um eine in Zukunft noch funktionierende Gesellschaft zu ermöglichen. Die Frage ist nur, ob eine Frau dafür zwei oder drei oder gleich fünf oder sieben Kinder bekommen soll. In traditionellen Gesellschaften waren Kinder eine Art Rentenversicherung, denn es gab keine staatliche Altersvorsorge. Inzwischen haben wir aber Rentenversicherungen, sodass diese Aufgabe der Fortpflanzung wegfällt. Wenn wir darüber hinaus dafür sorgen, dass Frauen in der Bildung gleichberechtigt werden, wünschen sich diese häufig von sich aus weniger Kinder. Meiner Erfahrung nach ist die Frauenbildung einer der wichtigsten Faktoren, um das Bevölkerungswachstum in einem humanen Maße einzuschränken, statt es weiter explodieren zu lassen. Ich spreche bewusst von einem humanen Maß und nicht von einem Verbot der Fortpflanzung oder von einer bestimmten Zahl erlaubter Kinder. Wenn die Menschen in ärmeren Ländern viele Kinder bekommen, damit sie eine gewisse materielle Absicherung haben, muss man genau an dieser Stelle Abhilfe schaffen: nicht mit dem Verbot, Kinder zu bekommen, sondern durch das Gebot, Sozialversicherungen zu schaffen. Die Bevölkerungsexplosion existiert nun mal und wir dürfen auch vor solch heiklen Herausforderungen nicht die Augen verschließen.

Um den Bogen wieder zurück zum Verzicht zu schlagen: Ist es denn wirklich ein Weniger, das uns retten kann, oder braucht es vielleicht doch eher eine positive Vision, die uns Hoffnung auf eine funktionierende Zukunft gibt.

Die Frage ist, was wir mit dem Begriff der Hoffnung meinen. Die Hoffnung, dass die Menschen einsichtig werden und dann zum Verzicht bereit sind? Diese Art der Hoffnung brauchen wir auf jeden Fall. Der Ausdruck der Hoffnung selbst ist aber, nur wenig überspitzt gesagt, eine leere Worthülse, die wir mit Inhalten füllen müssen. Hoffnung und Verzicht widersprechen einander nicht: Damit die Hoffnung lebenswirklich wird, fordert sie den Verzicht heraus.

Es ist also Ihre Hoffnung, dass die Menschen den Verzicht lernen. Tun sie es aber nicht, scheint es Ihrer Ansicht nach keine Gegenmaßnahmen zu geben, die durch Zwang durchgesetzt werden können, da dieses Vorgehen Ihrem demokratischen Ideal widersprechen würde?

Ganz so einfach sehe ich es nicht. Das Wichtigste ist, dass wir die Menschen aufklären und Anreize schaffen. Werden Zwangsmaßnahmen vorgenommen, ist die Gefahr groß, dass es zu den üblichen Problemen der Politik kommt: dass die Regierenden die Macht schlussendlich wichtiger finden als die zuvor gesetzten Ziele und es wieder einmal in Korruption und Nepotismus endet. Besser und menschlicher ist es, auf die Vernunft und die Mündigkeit der Bürger zu setzen. •

 

Otfried Höffe ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Tübingen sowie Mitglied im „Expertenrat Corona“ des Landes NRW. Jüngst sind von ihm erschienen: „Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung“ und „Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Grundlegung der modernen Philosophie“ (beide bei C. H. Beck. 2023).

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