Otfried Höffe: „Kant vermittelt uns eine Hoffnung aus guten Gründen“
Hat das Leben einen Zweck? Wie erlangen wir Zuversicht in einer Welt der Gewalt? Diese Fragen trieben schon Kant um. Ein Gespräch mit dem Philosophen Otfried Höffe über große und kleine Hoffnung, Kants dritte Kritik und darüber, warum uns die KI kategorisch unterlegen bleibt.
Herr Höffe, die dritte kantische Frage lautet: „Was darf ich hoffen?“ Warum brauchen wir zur Hoffnung eigentlich eine Erlaubnis? Und wer erteilt sie uns?
Kant kommt es nicht auf Alltagsphänomene an, etwa auf die kleine Hoffnung, eine erwünschte Arbeitsstelle zu erhalten oder ein Spiel zu gewinnen. Für ihn zählt allein die große, existenzielle Hoffnung, dass es Gott gibt und eine unsterbliche Seele. Um nun diese Hoffnung mit gutem Gewissen vertreten zu können, braucht er Gründe. Die dafür zuständige Erlaubnis zu hoffen kommt nicht von außen, sondern entstammt unserer inneren Natur als vernünftigem Wesen.
Die ersten beiden Fragen nach Erkenntnis und Moral beantwortet Kant in seinen ersten beiden „Kritiken“. Gibt die dritte – die Kritik der Urteilskraft – dementsprechend die Antwort auf die Hoffnungsfrage?
Das ist eine beliebte Lesart, die allerdings zu einfach ist. Kant hatte ursprünglich nur eine einzige Kritik geplant, in der alle drei Fragen beantwortet werden. Die Frage nach der Hoffnung ist ein durchlaufendes Thema in seiner gesamten kritischen Philosophie. Er behandelt die Frage sowohl in der Kritik der reinen Vernunft als auch in der Kritik der praktischen Vernunft, in der Kritik der Urteilskraft, der Schrift Zum ewigen Frieden und der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht.
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