Einsamkeit und Liebe
In Liebesbeziehungen geht es um Verschmelzung, um Auflösung der Ich-Grenzen. Die Individualität bleibt auf der Strecke. Doch was, wenn Liebende sich ganz anders verstünden – und über die Einsamkeit des anderen wachten wie über einen Schatz?
Treffen sich zwei Menschen. Sagen wir, auf einer Dating-App. Sie haben sich dort angemeldet, weil sie mit jemandem zusammen sein wollen. Sie verlieben sich. Die Gefühle auf beiden Seiten sind groß, zeitweise überwältigend. Die gegenseitige Anziehung so stark, dass sie nicht voneinander lassen können. Sie verbringen möglichst viel Zeit miteinander, befragen und erforschen, zeigen und öffnen sich. Jetzt sind sie nicht mehr einsam, denn sie werden von der anderen gesehen und aufgenommen und bejaht.
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Gibt es einen guten Tod?
Es ist stockdunkel und absolut still. Ich liege auf dem Rücken, meine gefalteten Hände ruhen auf meinem Bauch. Wie zum Beweis, dass ich noch lebe, bewege ich den kleinen Finger, hebe ein Knie, zwinkere mit den Augen. Und doch werde ich, daran besteht nicht der geringste Zweifel, eines Tages sterben und wahrscheinlich genauso, wie ich jetzt daliege, in einem Sarg ruhen … So oder so ähnlich war das damals, als ich ungefähr zehn Jahre alt war und mir vor dem Einschlafen mit einem Kribbeln in der Magengegend vorzustellen versuchte, tot zu sein. Heute, drei Jahrzehnte später, ist der Gedanke an das Ende für mich weitaus dringlicher. Ich bin 40 Jahre alt, ungefähr die Hälfte meines Lebens ist vorbei. In diesem Jahr starben zwei Menschen aus meinem nahen Umfeld, die kaum älter waren als ich. Wie aber soll ich mit dem Faktum der Endlichkeit umgehen? Wie existieren, wenn alles auf den Tod hinausläuft und wir nicht wissen können, wann er uns ereilt? Ist eine Versöhnung mit dem unausweichlichen Ende überhaupt möglich – und wenn ja, auf welche Weise?

Und woran zweifelst du?
Wahrscheinlich geht es Ihnen derzeit ähnlich. Fast täglich muss ich mir aufs Neue eingestehen, wie viel Falsches ich die letzten Jahre für wahr und absolut unumstößlich gehalten habe. Und wie zweifelhaft mir deshalb nun alle Annahmen geworden sind, die auf diesem Fundament aufbauten. Niemand, dessen Urteilskraft ich traute, hat den Brexit ernsthaft für möglich gehalten. Niemand die Wahl Donald Trumps. Und hätte mir ein kundiger Freund vor nur zwei Jahren prophezeit, dass im Frühjahr 2017 der Fortbestand der USA als liberaler Rechtsstaat ebenso ernsthaft infrage steht wie die Zukunft der EU, ich hätte ihn als unheilbaren Apokalyptiker belächelt. Auf die Frage, woran ich derzeit am meisten zweifle, vermag ich deshalb nur eine ehrliche Antwort zu geben: Ich zweifle an mir selbst. Nicht zuletzt frage ich mich, ob die wundersam stabile Weltordnung, in der ich als Westeuropäer meine gesamte bisherige Lebenszeit verbringen durfte, sich nicht nur als kurze Traumepisode erweisen könnte, aus der wir nun alle gemeinsam schmerzhaft erwachen müssen. Es sind Zweifel, die mich tief verunsichern. Nur allzu gern wüsste ich sie durch eindeutige Fakten, klärende Methoden oder auch nur glaubhafte Verheißungen zu befrieden.
Eric Klinenberg: „Singles sind keine tragischen Erscheinungen“
Moderne Gesellschaften sind Single-Gesellschaften. Das birgt die Gefahr der Einsamkeit - und die Chance der Freiheit. Anlässlich der Aktionswoche gegen Einsamkeit veröffentlichen wir ein Gespräch mit dem Soziologen Eric Klinenberg über den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit, den Verdacht gegen Singles und einen Irrtum Peter Sloterdijks.

Big data vs. freies Leben: Wie berechenbar sind wir?
Niemals wissen oder auch nur ahnen zu können, was er als Nächstes sagen würde, das war es, was die Schriftstellerin Virginia Woolf an ihrem Gatten Leonard ganz besonders schätzte. Selbst nach vielen Jahren des Zusammenlebens war er ihr am Frühstückstisch ein Quell unabsehbarer Einfälle und Thesen. Nur so, nur deshalb konnte sie ihn wahrhaft lieben. Wenn ich mir selbst – und anderen – erklären muss, was ich an einer Welt, in der sich das Verhalten jedes Menschen zu jeden Zeitpunkt im Prinzip treffsicher prognostizieren ließe, so schrecklich fände, kommt mir immer diese kleine Anekdote in den Sinn. Denn jeder spürt sofort, sie trifft eine tiefe Wahrheit über unser aller Dasein.
Dem Narzissmus eine Chance
Über 2000 Jahre predigten die Weisen unserer Kultur, das gute Leben zeichne sich dadurch aus, möglichst wenig „an sich zu denken“. Heute hingegen wird permanente Selbstsorge zum Fundament einer wahrhaft ethischen Existenz erklärt. Die Maxime des „Ich zuerst!“ bildet die Grundlage einer immer größeren Anzahl von Therapie- und Selbsthilfeangeboten. Nur ein sich liebendes, gefestigtes Ich, das seine eigenen Bedürfnisse kennt und umzusetzen weiß, ist demnach in der Lage, auch für andere Menschen Sorge zu tragen. Worin liegen die Gründe für diese Entwicklung? Und ist ein verstärktes Selbstinteresse wirklich die Heilung – oder nicht vielmehr die Krankheit selbst?
Cass Sunstein: „Das Leben gleicht über weite Strecken einer Lotterie“
Unsere Entscheidungen treffen wir unter permanenten Störgeräuschen, meint der Verhaltensökonom und einstige Berater Barack Obamas Cass Sunstein. Im Interview erläutert er, warum der Faktor Zufall oft unentdeckt bleibt und wie wir unsere Entscheidungsqualität dennoch verbessern können.

Was ist guter Sex, Herr Kant?
Soweit man weiß, hatte Kant keine Liebesbeziehungen. Die Ehe definierte der strenge Königsberger lakonisch als Verbindung „zum wechselseitigen Besitz“ der „Geschlechtseigenschaften“. Und doch, so argumentiert Manon Garcia, können wir gerade von Kant viel über die Bedingungen sexuellen Einvernehmens erfahren.

Florian Werner: „Es gibt eine Sprache der Zunge, die ohne Worte auskommt“
Sie ist Sprachinstrument und Geschmacksorgan, mit ihr küssen wir unsere Liebsten und strecken sie anderen als Zeichen der Missachtung heraus. Im Interview zu seinem neuen Buch Die Zunge erläutert Florian Werner, warum sich der Geist einer Zeit an ihrer Zungenspitze ablesen lässt.

Kommentare
Das Ersetzen des generischen Maskulinums durch beliebig scheinendes Alternieren der Pronomen der und die führt mich zu ständigem Suchen nach dem gemeinten Bezug. Keine gute Idee. Die Suche nach den Welten zwischen ihm und ihr gegrenzt die Sinnsuche zusätzlich.
Antwort auf Das Ersetzen des generischen… von klaus_fritz
Ich hatte beim lesen überhaupt keine Probleme, ganz im Gegenteil: Schöner Text