Carolin Amlinger: „Faschismus ist vor allem eine Führung der Gefühle“
In ihrem kürzlich erschienenen Buch Zerstörungslust nehmen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger eine Destruktivität in den Blick, die sich gegen soziale Minderheiten und liberale Errungenschaften richtet. Im Gespräch erklärt Amlinger, woher diese Zerstörungslust kommt, welche Formen es gibt und wann sie zu Faschismus wird.
In ihrem Bestseller Gekränkte Freiheit haben Sie und Ihr Co-Autor Oliver Nachtwey herausgearbeitet, wie sich libertär-autoritärer Protest im Namen von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung gegen die spätmoderne Gesellschaft richtet. Was ist das für eine Zerstörungslust, der Sie in ihrem neuen Buch nachgehen? Gegen was und wen richtet sie sich?
Die Zerstörungslust, die wir untersuchen, richtet sich gegen liberale Institutionen und Verfahren der Demokratie. Was wir aktuell beobachten, ist eine affektive Allianz, die bestimmte Errungenschaften moderner Gesellschaft zurückdrehen will: die Idee einer offenen und inklusiven Gesellschaft gegenüber vielfältigen Lebensformen sowie den normativen Egalitarismus, wie er sich in Diversitätsquoten in Unternehmen oder in der Anerkennung nicht-binärer Geschlechtsidentitäten ausdrückt. Menschen, die diese Destruktivität in sich tragen, wollen eine Welt, in der traditionelle Hierarchien ihnen ein Gefühl von Stabilität geben.
Um dieser Zerstörungslust, die sich auch hierzulande beobachten lässt, ihren Artikulationsformen und Ursachen genauer nachzugehen, haben Sie biographische Interviews mit Menschen aus Deutschland geführt. Was sind das für Menschen, auf welchen biografischen Erfahrungen stehen sie in ihrem Leben?
Neben den USA haben wir Deutschland in den Fokus genommen. Unsere insgesamt 41 Interviewpartner hatten sehr unterschiedliche soziale Hintergründe: wir haben mit Unternehmern genauso wie mit Selbstständigen, Arbeiterinnen und Arbeitslosen gesprochen. Das verbindende Moment ist eine sich verstärkende Zahl von biografischen Brüchen. Ein paar Beispiele: Bildungsinvestitionen, die sich nicht in eine gesicherte Jobperspektive übersetzt haben, eine Longcovid-Erkrankung, die das eigene Leistungsstreben ausgebremst hat, eine Zwangsversteigerung des Eigenheims nach einer Berufsinvalidität. Es waren Menschen dabei, die plötzlich aus ihrem Leben herausgefallen sind und sich von den staatlichen Institutionen im Stich gelassen gefühlt haben – obwohl sie in ihren Augen doch immer „geleistet“, doch immer „alles richtig gemacht“ haben. Aus dieser Anhäufung von lebensweltlichen Brüche hat sich bei den Interviewten eine große Enttäuschung über zentrale Normen moderner Gesellschaften breitgemacht – etwa Aufstieg durch Leistung oder Fortschritt durch Wachstum. Doch sie wendeten sich dabei nicht gegen diese Normen, im Gegenteil. Um die Jahrtausendwende ging die Kritische Theorie eher noch davon aus, dass die vorherrschenden neoliberalen Leistungsnormen zu Schuld- und Schamgefühlen führen, also zu einer Verinnerlichung des Leidens, was sich schließlich in Depressionen und Burnouts manifestierte. Nun erleben wir daneben aber eine Form der Selbstermächtigung im Namen dieser Normen, die sich in einem Aggressionsverhältnis zur Welt ausdrückt und gegen andere, Schwächere richtet.
Was für Formen von Destruktivität sind das?
Wir orientieren uns stark an Erich Fromm, der schon Anfang der 1940er Jahre Faschismus und Destruktivität zusammengedacht hatte. In Furcht vor der Freiheit verstand er Destruktivität als ein „Ergebnis ungelebten Lebens“. Fromm macht zwar auch einen sozialanthropologischen Punkt: nämlich, dass das menschliche Leben grundsätzlich den Drang hat, sich selbst zu verwirklichen, indem es sich erweitert, ja in der Welt manifestiert. Gleichzeitig argumentiert er soziologisch, dass nämlich die kapitalistische Gesellschaft diese Energie im Menschen lahmlegt und dadurch eine Destruktivität freisetzt. In Zur Anatomie menschlicher Destruktivität hat sich Fromm erst später in den 1970er Jahren auf Destruktivität als Symptombündel mit unterschiedlichen Ausprägungen fokussiert. So spricht er etwa von einer reaktiven Destruktivität, die auf erlittenes Unrecht reagiert und im Innenleben der Subjekte letztlich als ein Akt der Notwehr erscheint. Genau diese Form ist uns in unseren Interviews häufig begegnet: die Menschen hatten das Gefühl, ihnen werde grundlegend etwas weggenommen, sie stünden mit dem Rücken zur Wand und hätten gar keine andere Möglichkeit, als dieses Hindernis im Leben beiseite zu wischen. Und als Hindernis wurden nicht zufällig soziale Minderheiten wahrgenommen.
Weil ein Nullsummengedanke vorherrscht: Alles, was den anderen gegeben wird, wird einem selbst weggenommen.
… Und das ist vor allem der Fall, weil sich das Fortschrittsversprechen für viele in ihrer eigenen Lebensrealität erschöpft hat. Das Gefühl, um knappe Ressourcen zu kämpfen, hat durchaus einen realen Kern. Die Aufstiegsmobilität zwischen den Generationen ist tatsächlich gesunken. Die Zerstörungswut richtet sich im Nullsummendenken stets gegen zusätzliche „Mitesser“. Das sind nicht nur Geflüchtete, sondern ebenso nicht-binäre Geschlechtsidentitäten, da diese nun subjektive Rechte beanspruchen.
Es gibt aber auch äußerst destruktive Menschen, die weder von biografischen Brüchen noch von zerplatzten Aufstiegsversprechen betroffen sind.
Bei der Frage, ob Menschen destruktive Neigungen ausbilden, spielen biographische Erfahrungen durchaus eine Rolle. Aber das ist natürlich nicht der einzig bestimmende Grund. Es gibt eine weitere Form von Destruktivität, die Fromm als bösartige Destruktivität bestimmt und in der sich das Leben gegen sich selbst richtet. Man hat Lust an der Zerstörung um ihrer selbst willen oder der Beherrschung insbesondere verletztlicher Leben. Diese Form von Destruktivität haben wir in den Interviews auch kennengelernt, aber zum Glück nicht bei allen. Man wollte Geflüchtete etwa nicht nur abschieben, sondern ihnen beherzt hinterhertreten, und Straffällige gar quälen oder mit dem Tod bestrafen. Diese Form der Destruktivität hat uns angeregt, nicht mehr nur über Autoritarismus, sondern auch von Faschismus zu sprechen. Doch während Fromm davon ausging, dass es auch einen inneren Wunsch nach Zerstörung geben könne, interessiert uns mehr die soziale Außenwelt. Über alle sozialen Lagen hinweg war in den Interviews der meritokratische Glaube präsent, er erfuhr aber je nach Position eine andere Aufladung. Personen aus oberen sozialen Lagen ohne steile Abstürze beklagten vor allem die Blockaden, die aus ihrer Sicht aus der sozialen Einhegung – ihrer – ökonomischen Interessen entstanden sind. Ungleichheiten waren für sie das Ergebnis erbrachter Leistungen. Sie wollten jene Institutionen beseitigen, die sie zu Gleichen unter vielen macht.
Neben den biographischen Interviews haben Sie noch eine größere Umfrage durchgeführt. Wie repräsentativ ist ihr Sample für die deutsche Gesamtgesellschaft?
An unserer Umfrage haben sich 2600 Personen beteiligt, von denen 12,5 Prozent destruktiv waren. Sie haben Aussagen zugestimmt wie beispielsweise: „Ich denke, diese Gesellschaft sollte in Schutt und Asche gelegt werden.“ Die Quoten bezüglich Geschlecht, Bildung und Alter entsprechen mehr oder weniger der Verteilung in der deutschen Bevölkerung. Limitationen bestehen vor allem beim Wohnort, beim Einkommen und bei nicht-digital agierenden Personen. Die prozentuale Verteilung bezieht sich also zunächst auf die Stichprobe, belastbare Rückschlüsse auf die Gesamtbevölkerung lassen sich nur schwer ziehen. Was wir aber zeigen konnten, ist, dass die Destruktivität in die bürgerliche Mitte vorgedrungen ist. In der qualitativen Untersuchung konnten wir durch die Interviews die unterschiedlichen Typen der Destruktivität genauer rekonstruieren. Etwa die Hälfte des Samples bestand in einer Gruppe, die wir ordnungsorientierte Erneuerer genannt haben. Diese Menschen wollen den liberalen Staat nicht einfach zerstören, sondern ihn nostalgisch gewendet für die Zukunft reformieren. Den Zerstörern ging es eher um eine Beseitigung des inklusiven Charakters der Demokratie. Das waren etwa ein Viertel unserer Interviewpartner:innen. Der dritte Typus unserer Studie waren die libertären Autoritären. Sie machten ebenfalls etwa ein Viertel aus und waren vor allem ideologisch getrieben, soziale Mitbestimmung einzuschränken und die Wirtschaft zu entfesseln.
Auch die sozialpsychologische Autoritarismus-Forschung der frühen Kritische Theorie umfasste keine repräsentativen Studien. Diese Studien haben keine ideologisch gefestigten Faschisten in den Blick genommen, sondern versucht, das potenziell faschistische Individuum in seinen verschiedenen Ausprägungen näher zu bestimmen. Die Untersuchungen stammen aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Was aus ihrem Arsenal hilft dabei, die aktuelle Destruktivität besser zu verstehen? Wo braucht es neue Konzepte?
Mit unserem Buch knüpfen wir an den zentralen Befund der Kritischen Theorie an, dass Destruktivität in ihrer gesamten Irrationalität ein rationales Phänomen der Gesellschaft ist, aus der sie entsprungen ist. Adorno und auch Fromm bezogen sich in ihren Arbeiten aber auf eine ganz andere Gesellschaft als heute. Durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre wurde ihnen sehr viel stärker die Vulnerabilität großer Bevölkerungsgruppen vor Augen geführt. Zudem haben sich damals autoritäre Einstellungen auf dem Boden einer noch nicht gefestigten, etablierten Demokratie ausgebildet. Die Gesellschaft war damals noch sehr viel stärker auf Anpassung, Unterwürfigkeit und Triebunterdrückung unter rigiden Normvorstellungen ausgerichtet. Heute spielen Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung eine wesentlich stärkere Rolle. Gleichzeitig – und das ist eine Parallele zu Adorno und Fromm – wird dieses zentrale Freiheitsversprechen dem Individuum potenziell versagt. Wenn man ein Leben ohne Schranken führen möchte, das aber immer und immer wieder vereitelt wird, erzeugt das eine explosive Mischung. Interessanterweise richteten unsere Interviewpartner:innen ihre Wut nie gegen den Kapitalismus. Stattdessen wird eine Reihe von Schuldigen ausgemacht: Geflüchtete, linksliberale Eliten, nicht-binäre Geschlechteridentitäten oder Klimaaktivistinnen. Der zentrale soziale Mechanismus, der Kapitalismus selbst, wird nicht genannt, weil man gerade auf diesem Boden sein eigenes Selbst aufgebaut hat – und sich daraus auch die affektiven Energien speisen.
Welche Rolle spielen Männlichkeit, Weiblichkeit und Geschlecht in der Zerstörungslust, die Sie untersucht haben?
In unserer Umfrage waren die Menschen, die destruktiven Einstellungen zugestimmt haben, vor allem jung, rechts – und männlich. Auch der historische Faschismus galt oft als männlich. Der Führer war ein Mann, der Soldat verkörperte den Autoritarismus in reinster Form: gehorsam und zugleich gewaltätig gegen Feinde. Heute ist die rechte Männlichkeit ein Verteidigungsgefecht verloren geglaubter Privilegien, gegen den Verlust, ein Mann mit Status sein zu können.
Wie erklärt man aber, dass sich auch Frauen einer Politik zuwenden, die auf ihrer Unterdrückung beruht?
In unseren Interviews zeigten Frauen eine besondere Härte gegen vermeintlich leistungsschwache Personen. Die Härte, die sie als Frau in der Gesellschaft erleben, die sie auch auf sich selbst angewandt haben, richten sie nun gegen Personen, die in ihren Augen „schwach“ erscheinen. Eine beruflich erfolgreiche Frau meinte etwa im Interview, die Gesellschaft sollte wieder nach der Leitformel „Jedem das Seine“ strukturiert werden: Zugehörig sind lediglich diejenigen, die Leistung erbringen. Es ist unklar, ob sie weiß, dass dieser Spruch am Lagertor des KZ Buchenwald angebracht war, sie hat lediglich hinzugefügt, dass es sich vielleicht „blöd“ anhöre. Es ist genau diese Mischung aus radikaler Leistungsorientierung und vager Anspielung auf Gewalt, die für uns auf ein faschistisches Potenzial verweist.
Nach dem faschistischen Potenzial hat auch eine weitere innovative Pionierarbeit der Faschismusforschung gefragt: Klaus Theweleits Männerfantasien aus dem Jahr 1977. Was lässt sich daraus für ein besseres Verständnis der Gegenwart mitnehmen?
In Männerfantasien geht Theweleit davon aus, dass Faschismus eine Angst vor dem Weiblichen bearbeitet. Deswegen müsse alles Mütterliche gekappt werden, was sich auch in einem Kampf gegen alles Hybride, Vermischte ausdrückt. Für ihn sind die deutschen Freikorpssoldaten, die er als soldatischen Körperpanzer beschreibt, letztlich nicht zu Ende geborene Menschen. Er geht davon aus, dass es die Leiderfahrung des autoritären Sozialisationsprozesses war, die es unmöglich gemacht hat, in der männlichen Sozialisation überhaupt einen Bezug zu den eigenen Gefühlen aufzubauen. Damit das dadurch fragmentierte Ich nicht auseinanderfällt, musste sich um diese Fragmentierung der Gefühle der militärische Körperpanzer legen. Auch in der Gegenwart lässt sich sehr gut beobachten, wie sich eine Idee einer entfesselten Männlichkeit aktualisiert, das sich von den egalitären Zumutungen der letzten Jahre befreien möchte. Die Angst vor dem Weiblichen bleibt bestehen, hat heute aber eine andere Konnotation. Denn gerade die MeToo-Bewegung der letzten Jahre hat uns vor Augen geführt, dass sich das Weibliche nicht mehr so leicht unter die Kontrolle des Männlichen bringen lässt wie etwa noch zur Zeit der Freikorps. Die weibliche Selbstbestimmtung, als Norm und im Alltag, beeinflusst auch die faschistische Männlichkeit: sie hält den Körperpanzer aufrecht, und richtet sich dabei gegen Egalisierungsprozesse. Auf den feministischen Slogan „My Body, my Choice“ wird mit „Your Body, my Choice“ geantwortet. Die rechte Männlichkeit reagiert also auf die Verselbständigung des Weiblichen, damals wie heute. Für Theweleit war der Faschismus ein Phänomen, das aus der Triebdynamik entsteht. Wir nehmen da eine andere Perspektive ein und suchen die Gründe in den gesellschaftlichen Dynamiken. Auch bei einem weiteren Punkt nehmen wir eine andere Perspektive ein: Theweleit geht davon aus, dass das Weibliche per se nicht-faschistisch ist. Im Vergleich zu früher ist auffällig: Heutige extrem rechte Führungsfiguren sind mitunter Frauen: Georgia Meloni oder Marine LePen zum Beispiel. Sie ordnen sich nicht nur der männlichen Herrschaft unter, sondern haben einen eigenen Lustgewinn am Faschismus.
Heutige Autoritäre bezeichnen sich selten selbst als „Faschisten“. Im Gegenteil: Sie sehen sich selbst als die eigentlichen Demokraten, die die Wahrheit und den vermeintlich echten Volkswillen gegen eine korrupte oder verblendete Elite vertreten. Warum sprechen Sie dennoch von Faschismus? Auf welche Elemente des historischen Faschismus, auf welche kritischen Faschismus-Theorien beziehen Sie sich hier?
Wir nutzen den widersprüchlichen Begriff „demokratischer Faschismus“, da die radikal rechte Bewegung der Gegenwart in sich selbst widersprüchlich ist. Sie bezeichnen sich nicht als Faschistinnen, sondern als Erneuerinnen der Demokratie. Doch ihr Demokratieverständnis ist ein anderes, es lässt sich mit autoritären Mitteln kombinieren. Man kann dieses schon gut an Carl Schmitts Parlamentarismuskritik nachvollziehen. Schmitt definierte Demokratie als eine Identität zwischen Herrschern und Beherrschten. Und diese Identität konnte für ihn vor allem der Mythos der Nation stiften. Er bezieht sich hier auf Mussolini. Dieses Demokratieverständnis geht einher mit der Ablehnung des Parlamentarismus und allgemeiner Wahlen, weil eben das Gerede, die Konsenssuche und Deliberation, souveräne Entscheidungen verhindere. Peter Thiel stützt sich heute etwa auf Schmitt, wenn er behauptet, dass Freiheit und Demokratie nicht länger miteinander zu vereinbaren seien, weil das Parlament nicht mehr in der Lage sei, die aktuellen gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Deswegen bedürfe es eines neuen Entscheiders, der sich auch über bestehende Normen hinwegsetzt.
Auch Trump hat, vielleicht ohne es zu wissen, Carl Schmitt auf seiner Seite als er sagte: „He who saves his Country does not violate any Law.“ In ihrem Buch beschreiben Sie Trump als eine Art „Schwellenfigur“, weil dieser eine Atmosphäre schafft, einen möglichen Weg ebnet. Trump ist demnach eine Art Türöffner, er macht ein permanentes Gelegenheitsfenster auf – und bringt damit zum Ausdruck, dass Faschismus nicht nur eine herrschende Staatsform ist, sondern auch ein Prozess.
Wir sprechen auch von „demokratischem Faschismus“, weil uns interessiert, wie Faschismus in etablierten Demokratien entsteht und an die Macht kommt. Sicherlich wird das Label „Faschismus“ von manchen inflationär verwendet, um moralisch aufzurütteln. Entscheidend war für uns, wie viele andere, der Sturm aufs Capitol. Dort wurde deutlich, dass Trump auf die Entfesselung von Gewalt und destruktiven Energien zielt, um einen Machtwechsel zu verhindern. Das grausame Vorgehen gegen marginalisierte Minderheiten, das permanente Schüren von Wut gegen soziale Bewegungen und politische Gegner, die Verbreitung von Verschwörungstheorien – das alles macht Trump auch zu einer affektiven Schwellenfigur. Man darf nicht vergessen: der Faschismus ist vor allem eine Führung der Gefühle.
Was bedeutet das für den Kampf gegen den Faschismus?
Faschismus ist ein höchst irrationales Phänomen, das sich nicht mit rationalen Mitteln bekämpfen lässt. Das wird von Liberalen viel zu selten gesehen. Stattdessen antworten sie auf den Faschismus mit Faktenchecks. Doch Bildung und Aufklärung werden nicht ausreichen, um faschistische Fantasien einzudämmen. Sie speisen sich nicht aus einem Mangel an Wissen, sondern aus einer Gefühlsstruktur, die eine eigene Wahrheit kommuniziert und sich gegen Einsprüche abgedichtet hat.
In der liberalen Theorie gibt es allerdings durchaus verschiedene Ansätze. So etwa Judith N. Shklar mit ihrem Liberalismus der Furcht, den sie vor dem Hintergrund der Erfahrung der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat.
Der aktuelle Faschismus kann als Gegenbewegung gegen den Liberalismus der Furcht verstanden werden. Shklar geht von der Minimaldefinition aus, dass kein Leid mehr geschehen soll – und stellt damit die individuellen Selbstbestimmungsrechte in den Mittelpunkt. Dem heutigen Faschismus geht es nun darum, andere in Schrecken zu versetzen, um sich selbst zu behaupten. Man will die Schwachen wieder leiden sehen. Ein konkretes Beispiel, wie der „Liberalismus der Furcht“ negiert und als Minimaldefinition von Freiheit ausgelöscht werden soll: Junge US-Amerikaner machen sich einen Spaß daraus, bei Amazon eine Uniform der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde zu kaufen und in diesem Outfit durch migrantische Viertel zu marschieren. Warum? Es sei einfach zum Brüllen komisch zu sehen, wie Migrantinnen mit Angst und Schrecken vor ihnen weglaufen würden.
Ich denke, Shklar ist besonders interessant, weil sich ihr Denken nicht bloß rein negativ auf die Abwehr von Leid reduzieren lässt. Das führt mich zur Frage nach dem Freiheitsbegriff. Allein eine Idee von negativer Freiheit – der Idee einer Freiheit von – wird nicht ausreichen, Menschen dazu zu bewegen, gegen Faschismus einzutreten. Man braucht auch eine Freiheit zu, eine positive Vision, die klar macht: Wofür kämpfen wir eigentlich, wenn wir gegen den Faschismus kämpfen.
… wir können nur in Gesellschaft frei sein. Es geht auch nicht darum, Freiheitsgrade zurückzudrehen, um die Zumutungen der Polykrise wie den Klimawandel ertragen zu können. Wir müssen anders über Freiheit und ihre soziale Einbettung nachdenken – die eben alle mitnimmt. Dabei stellt sich die Frage, was ein neuer Mythos sein könnte, der dem faschistischen Mythos entgegengesetzt werden kann. Historisch war das lange der Sozialismus, der die Massen affiziert und entfesselt hat, weil er eine utopische Idee des besseren Zusammenlebens gestiftet hat. Im liberalen Antifaschismus geht die Idee davon, wie wir Gesellschaft grundlegend anders gestalten können, verloren. Denn als Antwort auf den Faschismus kennt er in der Regel nur seine eigenen Mythen. Die haben sich aber in der Lebensrealität für viele Menschen grundlegend erschöpft. „Fortschritt“ und „Wachstum“ – das kommt heute bei sehr vielen ziemlich schal daher. Als Soziolog:innen möchten wir anderen nicht vorschreiben, wie sie ihr Leben zu führen haben. Deswegen bleiben wir hierzu in unserem Buch etwas vage. Entscheidend ist aber: Wenn der Faschismus aus kapitalistischen Gesellschaften heraus entsteht, dann müssen wir deren zentralen Normen grundlegend befragen. •
Carolin Amlinger ist Literaturwissenschaftlerin und Soziologin und lehrt in Basel. Jüngst erschien „Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“ von Amlinger und Oliver Nachtwey bei Suhrkamp.