Jens Balzer: „Wir müssen Identität wieder stärker aus der Zukunft heraus denken“
In seinem gestern erschienenen Buch After Woke argumentiert Jens Balzer, dass der Begriff der „Wokeness“ durch den moralischen Bankrott der Linken, besonders nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober, ruiniert wurde. Doch den Begriff aufgeben? Auf keinen Fall. Es bedarf einer Erneuerung.
Herr Balzer, Ihr Buch heißt After Woke. Was verleitet Sie zu der These, das Wokeness der Vergangenheit angehört?
Der Begriff der Wokeness ist so ruiniert, dass man ihn eigentlich nur benutzen kann, wenn man – wie ich – sehr viel dazu erklärt. Vor einigen Tagen hat Microsoft angekündigt, die gesamten Diversity-, Equality- und Inclusion-Programme einzustellen. Das heißt, in diesem „progressiven Neoliberalismus“, wo man lange Zeit sehr großen Wert auf Wokeness gelegt hat, verabschiedet man sich davon, weil man es nicht mehr braucht oder „uncool“ findet. Auch gesellschaftlich dreht sich das politische Klima so, dass man Wokeness als obsolet betrachtet. Meiner Meinung nach ist jetzt der Moment gekommen, sich zu fragen: Worum ging es eigentlich bei der Wokeness? Welche Grundgedanken wollen wir retten? Und wovon müssen wir uns verabschieden?
Den Umgang mit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober beschreiben Sie als „moralischen Bankrott“ der Linken und Beginn dieser Abkehrung von der Wokeness. Weshalb?
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