Kleiner werden
Erdrückend und unentrinnbar erscheint die Macht in Kafkas Erzählungen. Und doch finden Figuren Wege, ihr zu entfliehen. Über die subversive Kraft des Kleinen.
Von den ägyptischen Pyramiden über die Chinesische Mauer bis zum Empire State Building – Macht strebt danach, sich in Größe zu verwandeln. Unsere Geschichtsbücher sind voll von großen Taten und großen Schlachten. Dass Größe und Wachstum zu allumfassenden Maximen werden, erscheint hingegen als ein spezifisch modernes Phänomen. Besonders wirkmächtig – und verheerend – zeigt sich diese Steigerungslogik in der Ökonomie. Der Kapitalismus nährt sich von dem Versprechen unendlichen Wachstums. Und auch wenn die Idee einer Postwachstumsgesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt, gilt das Wachstumsdiktat vielen nach wie vor als alternativlos. Zu tief scheint das Denken der Größe in den Köpfen verankert.
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Weitere Artikel
Die neue Sonderausgabe: Der unendliche Kafka
Auch hundert Jahre nach seinem Tod beschäftigt und berührt Franz Kafka. Fast unendlich erscheint der Interpretationsraum, den sein Werk eröffnet.
Der philosophischen Nachwelt hat Kafka einen Schatz hinterlassen. Von Walter Benjamin und Theodor Adorno über Hannah Arendt und Albert Camus bis hin zu Giorgio Agamben, Gilles Deleuze und Judith Butler ist Kafka eine zentrale Referenz der Philosophie. Überlädt man ihn damit zu Unrecht mit posthumen Deutungen? Vielleicht. Sein Werk lässt sich aber auch als Einladung lesen, seine Rätselwelt zu ergründen und im Denken dort anzuknüpfen, wo er die Tür weit offen gelassen hat.
Hier geht's zur umfangreichen Heftvorschau!

Marcus S. Kleiner: „Wenn mein Buchhändler sich wie diese Algorithmen verhielte, würde ich ihn anzeigen“
Für viele ist nichts entspannender als ein Abend vor Netflix. In seinem jüngst erschienenen Buch Streamland argumentiert der Medienwissenschaftler Marcus S. Kleiner jedoch: Für die willkommene Ablenkung zahlen wir einen hohen Preis. Denn die algorithmisch generierten und persönlich zugeschnittenen Empfehlungen veränderten unser Verhalten weit über den Bildschirmrand hinaus. Warum Netflix und Co. das Erbe der Aufklärung gefährden und welche Schritte dennoch aus einer On-demand-Gesellschaft führen könnten, erläutert der Autor im Interview.

Vivian Liska: „Kafka weist jegliche Theodizee zurück“
Auch wenn Kafkas Texte selten explizit von Religion handeln, wurden sie als Auseinandersetzung mit dem Urteil Gottes gelesen. Ein Gespräch mit Vivian Liska über Kafkas Verhältnis zum Judentum, eine unmögliche Suche und den sabotierten Turmbau zu Babel.

Rüdiger Safranski: „Kafka pflegt einen Absolutismus der Literatur“
Existenzielle Schuldgefühle plagten Kafka, der heute vor 100 Jahren gestorben ist. Ihr Ursprung, meint Rüdiger Safranski, liegt im Konflikt zwischen Leben und Schreiben. Im Gespräch erläutert er, wie Kafka beide Pole fast versöhnt und was seine Texte philosophisch so ergiebig macht.

Ludger Schwarte: „Farbe ist immer anarchisch“
Lange Zeit wurde die Farbe in der Philosophiegeschichte ausgeklammert. Ein Unding, wie Ludger Schwarte in seinem neuen Buch Denken in Farbe erläutert. Schließlich eignen wir uns die Welt nicht nur durch Farben an, sondern sie besitzen auch ein subversives Potenzial.

Einbruch des Realen
Warum hielten trotz jahrelanger Drohungen so viele eine russische Invasion der Ukraine für unwahrscheinlich? Weil wir alternative Szenarien bevorzugen, um dem Realen zu entfliehen, meint Alexandre Lacroix, Chefredakteur des französischen Philosophie Magazine. Zeit, das Undenkbare anzunehmen.

Joseph Vogl: „Die Macht hat keinen zentralen Ort“
Das Wesen der Macht gehört zu den großen Rätseln jeder Gesellschaft. Kaum jemand ist ihr mit literarischen Mitteln derart auf die Schliche gekommen wie Franz Kafka. Ein Gespräch mit Joseph Vogl über die Bürokratisierung des Himmels, Kafkas Lachen und Löcher in der Mauer.

Dirk Oschmann: „Was mit Freiheit zu gewinnen wäre, bleibt unklar“
Das Versprechen der Freiheit ist ein zentraler Baustein der Moderne. In Kafkas Romanen zeigt sie dagegen ihre Schattenseite, erklärt Dirk Oschmann. Ein Gespräch über das Vertrautsein mit der Welt, Amerika als Strafkolonie und Kafkas „Stufen der Scheinbarkeit“.
