Transito ergo sum?
Denken ohne Geländer und ein brisantes Thema: Die spanische Transaktivistin Elizabeth Duval zeigt in ihrem aufsehenerregenden Essay, wie ein philosophisch fundierter Dialog über fluide Geschlechtsidentitäten gelingen kann.
Ist es wichtig zu erwähnen, dass die spanische Autorin Elizabeth Duval „unverschämt jung“ ist, wie es in fast jedem Text über sie heißt? Dass sie trans ist, in der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität also eine Verschiebung durchlaufen hat? Ja und nein. Denn sie spricht in ihrem nun auch auf Deutsch erschienenen Essay von dieser Identität ausgehend. Sie spricht aber auch über sie hinweg. Als Transfrau, die die „Schnauze voll von trans“ hat. Und als Philosophin, die sich mit wissenschaftlichem Blick an ein emotional diskutiertes, „heikles“ Thema wagt. Heikel deshalb, weil hier eine Identität verhandelt wird, die leider immer noch oft Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt ist. Heikel auch, weil das Befragen einer Existenz leicht mit ihrem Infragestellen verwechselt werden kann.
Ganz im Sinne Hannah Arendts wagt sich Duval an ein „Denken ohne Geländer“. Ein Denken, das, mit aller gebotenen Vorsicht und Schärfe, vor allem „verstehen“ will. Und unser aller Existenz befragt: als geschlechtliche Wesen im Allgemeinen und als Transwesen im Speziellen. Im Zuge dieser „Ontologie und Epistemologie des Geschlechts für das 21. Jahrhundert“ taucht Duval tief in die postmoderne Theorie ein. Ein Zitat von Judith Butler steht ihrem Essay voran: Weder Sexualität noch Geschlechtsidentität seien „ein Besitz, vielmehr sind beide als Modi der Enteignungen zu verstehen, als Formen des Daseins für einen Anderen“. Auch Duval beschreibt die Geschlechtsidentität als vom anderen abhängig, von Wahrnehmungen, Zuschreibungen, Prägungen. Das biologische Geschlecht (sex) wird vom sozialen (gender) überformt.
Gender-Neuplatonismus
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