Wie wir tätig sind
Seit der Antike begriff die Philosophie die am Denken ausgerichtete „Vita contemplativa“ als höchste Form menschlicher Existenz. Hannah Arendt allerdings legte den Akzent auf das tätige Leben, die „Vita activa“. Und unterscheidet drei Grundformen, in denen sich die Bedingungen menschlicher Existenz ausdrücken: Arbeiten, Herstellen und Handeln.
Vita activa und Vita contemplativa
Für Arendt gibt es nicht die eine „Natur“ des Menschen, sie interessiert sich vielmehr für menschliche „Bedingtheit“, für die Fähigkeiten, die Menschen haben, und die Tätigkeiten, die sie ausüben. Arendt unterscheidet drei spezifisch menschliche Tätigkeiten: zunächst das bloße Arbeiten zum Erhalt des Lebens, sodann das Herstellen von Werkzeugen und Kunstwerken, und schließlich das Handeln im eigentlichen Sinne. Die Größe der griechischen Antike sieht sie darin, dass sie dem (politischen) Handeln einen weit höheren Rang zugestanden hat als dem mit der Sklavenexistenz assoziierten Arbeiten. Dagegen ist die Neuzeit der Arbeit in unverhältnismäßiger Weise verfallen, Arbeit ist nicht nur der Ort, an dem wir unsere Tüchtigkeit zeigen und uns selbst verwirklichen können, sondern zugleich auch zum Zwang geworden und zur Last, von der wir uns zu befreien suchen. Während Arendt zum antiken Vorrang des politischen Handelns vor dem bloßen Arbeiten zurückkehren will, ist aus ihrer Sicht das philosophische, betrachtende Leben, die „Vita contemplativa“, nicht höher einzuschätzen als die tätige Existenz, die „Vita activa“. Denn für Arendt ist klar, „dass es Menschen zwar möglich ist, ein ganzes Leben zu verbringen, ohne sich jemals der Kontemplation hinzugeben, während umgekehrt noch kein Mensch jemals sein ganzes Leben nur der Kontemplation hat widmen können. Mit anderen Worten, das tätige Leben ist nicht nur das, woran sich die meisten Menschen beteiligen, sondern mehr noch, es ist das, dem sich kein Mensch vollständig entziehen kann.“ •
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