Ijoma Mangold: „Ein guter Essay ist Avantgarde“
Im Rahmen des Philosophicum Lech wird jährlich ein herausragender philosophischer Essay mit dem Tractatus-Preis ausgezeichnet. Der gestern bekanntgegebene Preisträger 2024 ist Philipp Hübl mit Moralspektakel. Was dieses Buch auszeichnet, erklärt das Jury-Mitglied Ijoma Mangold.
Herr Mangold, welche Merkmale muss ein Text erfüllen, um als philosophischer Essay zu gelten?
Ließe sich dies einfach beantworten, wäre es wohl nicht so ein tolles Genre. Am ehesten kann man vielleicht Ludwig Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit nutzen, um es zu erfassen. Das heißt, es gibt keine allgemeingültigen Merkmale, keinerlei Kriterienkatalog für die Genrezugehörigkeit. Stattdessen gleichen sich die einzelnen Texte in jeweils unterschiedlichen Merkmalen, wodurch sie in ihrer Gesamtheit die Familie des philosophischen Essays ergeben. Daher nimmt diese Frage nach der Genrezugehörigkeit stets einen großen Teil der Diskussionen ein, die wir als Jury des Tractatus-Preises führen. Gerade, weil es eine sehr reizvolle Frage ist.
Können Sie das Genre dennoch aus Ihrer Sicht umreißen?
Für mich ist der philosophische Essay ein gegenwartsinterventionistischer Text, der aber mit den Denkmitteln der Philosophie arbeitet. So vermag er zugleich eine Distanz zu dieser Gegenwart herzustellen. Gerade wenn Fragen aus dem allgemeinen Diskurs aufgegriffen werden, gelingt es dem philosophischen Essay im besten Fall, neue Kategorien zur Verfügung zu stellen. Mit deren Hilfe lässt sich das, was in der Welt passiert, neu betrachten und somit anders, wenn nicht gar besser verstehen. Damit steht der philosophische Essay außerhalb des Lagerkampfes, den unsere polarisierte Gesellschaft allzu oft führt.
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Kommentare
Wusste nicht, dass *meine Kommentare kurze philosophische Essays sind! Und noch dazu vorbildlich voraus und tief. Danke für die Einordnung. Dass sie nicht als solches anerkannt werden, ist eine altbekannte menschliche Reaktion auf ungewohntes gar neues. 😉