Der falsche Gott der Arbeit
Wer nicht arbeitet, wird häufig als faul diffamiert. Vernünftig aber wäre, nicht einen Gegensatz zwischen Arbeit und Faulheit zu konstruieren, sondern sinnvolle von sinnlosen Tätigkeiten zu unterscheiden.
In dem kurzen Märchen Die zwölf faulen Knechte der Gebrüder Grimm, das 1857 veröffentlicht wurde, wetteifern zwölf Bauernknechte in der Beschreibung ihrer bis ins Groteske gesteigerten Faulheit: Sie legen sich zum Schlafen hin und ziehen die Beine nicht zurück, wenn ein Wagen über sie hinwegfährt, oder sie strecken trotz Hunger die Hand nicht aus, um nach dem Brot zu greifen. Und vor allem: Sie führen die ihnen erteilten Befehle nicht aus. In seiner übertriebenen Form zeugt dieses surreale Märchen vom Widerstand des Volkes gegen die von seinen Herren aufgezwungene Arbeit.
Die Begriffe Faulheit und Arbeit ergeben nämlich nur dann einen Sinn, wenn man sie aufeinander bezieht. In vormodernen Verhältnissen und selbst in modernen Gesellschaften gibt es in der Regel Lebensrhythmen, in denen sich Momente intensiver Aktivität, die manchmal als angenehme Herausforderung oder Erregung empfunden werden, mit langen Intervallen abwechseln, in denen die Menschen nur wenig Energie verbrauchen. Diese Lebensweise stellt sich unter günstigen Bedingungen leicht wieder her, ganz so als ob sie der Natur des Menschen entspräche. Sie wurde jedoch von den Trägern einer Produktionsweise, die auf regelmäßiger Arbeit beruht – was lange Zeit in der Geschichte nur das Los von Sklaven war –, als Faulheit diffamiert.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo