Mit Hannah Arendt liebevoll auf die Katastrophe blicken
Verzweiflung ist eine verständliche Reaktion angesichts aktueller Krisen. Doch Resignation ist billig, meint Robert Ziegelmann und plädiert mit Hannah Arendt für einen anstrengenderen, potenziell jedoch rettenden Ansatz.
Nun geht die Welt also wirklich unter. Immerhin kommt es 2024 nicht mehr so überraschend wie 2016. Die Diagnosen sind schnell zur Hand. Zu „woke“ war die demokratische Kampagne. Oder zu nah am früheren republikanischen Establishment. Kamala Harris wurde zu spät eingewechselt. Oder das Land war nicht bereit für eine weibliche, gar nichtweiße, Präsidentin. Die Inflation. Die Grenze. Das unbeirrte Bescheidwissen geriert sich abgeklärt, aber läuft leer. Es verstellt den Blick darauf, dass nicht diese oder jene Wahlkampfstrategie falsch war, sondern etwas sehr viel grundsätzlicher im Argen liegt. Nicht nur in den USA verengen sich Wahlkämpfe zunehmend auf Appelle, sich doch bitte noch dieses eine Mal hinter dem kleineren Übel zu versammeln. Dass nach dessen Sieg die grundsätzlichen Probleme angegangen würden, hört man etwa auch in Frankreich seit inzwischen zwei Jahrzehnten.
Das Problem ist nicht nur die jeweilige Partei des kleineren Übels, sondern die Welt, für die sie steht. Die Normalität, von der sie verspricht, dass es eine Rückkehr zu ihr geben könnte: sichere Jobs, heimelige Familien, übersichtliche Verhältnisse. So ähnlich wie damals, aber diesmal wirklich für alle. Und vielleicht ohne die ganz große Klimakatastrophe in der allzu direkten Nachbarschaft.
Der Hang Intellektueller zu Untergangserzählungen
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