Nikita Dhawan: „Wir sollten versuchen, bessere Kantianer zu sein als Kant“
Europa rühmt sich der Aufklärung, hat deren Ideale jedoch durch den Kolonialismus verraten. In ihrem neuen Buch zeigt die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan Wege auf, wie sich das aufklärerische Erbe von seinen vergifteten Anteilen befreien und für den Kampf gegen Unterdrückung einsetzen lässt.
Der Titel Ihres neuen Buches lautet Die Aufklärung vor Europa retten. Warum muss man die Aufklärung vor Europa retten? War Europa nicht die Geburtsstätte der Aufklärung?
In Europa ist man stolz darauf, wie im 18. Jahrhundert die Vernunft erblühte, etwa in den Kaffeehäusern, die Jürgen Habermas als ikonischen Ort der Aufklärung beschrieb. Doch woher kam der Kaffee? Woher kam der Zucker im Kaffee? Europa hat die Ideale der Aufklärung verraten – durch Kolonialismus und Sklaverei, durch Landraub und Ausbeutung, die auch durch aufklärerische Ideen gerechtfertigt wurden. Daher war ich erstaunt, welcher ungebrochene Stolz auf die Aufklärung herrschte, als ich 2008 an die Universität Frankfurt kam. Man vernachlässigte dieses ambivalente Erbe und marginalisierte die Kritik, die poststrukturalistische, postkoloniale und queerfeministische Ansätze seit Jahrzehnten an der Aufklärung geübt hatten – ja sogar die Kritik, die Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ vorgetragen hatten.
Wie kam es zum Verrat Europas an der Aufklärung?
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