Warum Hegel lesen?
Seine Werke gelten als äußerst schwer verständlich und dennoch wird Hegel weiter gelesen. Prominente Personen aus Politik, Literatur und Gesellschaft erzählen, warum sich die Auseinandersetzung mit diesem Philosophen auch heute lohnt.
Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin
Der Grund, warum ich Hegel schätze? Hegel hasste Indien. Genauer: Hegel hielt indische Philosophie für wertlos – ja, sprach ihr ab, überhaupt Philosophie zu sein –, trotzdem war er intellektuell ehrlich genug, sich auch nach diesem Urteil intensiv mit ihr auseinanderzusetzen. Keiner seiner indophilen Zeitgenossen, wie Schelling oder Schopenhauer, arbeitete sich tiefer in die indische Philosophie ein. Hegel hingegen konnte schier nicht aufhören, über Indien nachzudenken. Und zu schreiben: 80 000 Worte! So viel Platz widmete er sonst nur noch der griechischen Philosophie. „Man kann Hegel Arroganz vorwerfen, aber keine Ignoranz“, bringt die Philosophin Nikita Dhawan sein komplexes Verhältnis zu dem auf den Punkt, was ihm letztlich wie der dunkle Doppelgänger seiner eigenen Philosophie erscheinen würde. Denn irgendwann beschlich Hegel der Verdacht, dass Indien sein Konzept des absoluten Geistes schon Jahrhunderte zuvor durch die Idee des „Brahman“ vorweggenommen hatte. Jemand, der über etwas, das er verachtete, so produktiv reflektierte, ist es wert, gelesen zu werden.
Robert Menasse, österreichischer Schriftsteller und Essayist
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Vivian Liska: „Kafka weist jegliche Theodizee zurück“
Auch wenn Kafkas Texte selten explizit von Religion handeln, wurden sie als Auseinandersetzung mit dem Urteil Gottes gelesen. Ein Gespräch mit Vivian Liska über Kafkas Verhältnis zum Judentum, eine unmögliche Suche und den sabotierten Turmbau zu Babel.

Das Ideal der Intensität
Man kennt es aus Filmen und Romanen: Die Frage nach dem Lohn des Lebens stellt sich typischerweise erst im Rückblick. Als Abrechnung mit sich selbst und der Welt. Wenn das Dasein noch mal vor dem inneren Auge vorbeifliegt, wird biografisch Bilanz gezogen: Hat es sich gelohnt? War es das wert? Würde man alles wieder so machen? Dabei läge es viel näher, die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, nicht so lange aufzuschieben, bis es zu spät ist, sondern sie zum Gradmesser von Gegenwart und Zukunft zu machen. Zum einen, weil sie so gegen spätere Reuegefühle imprägniert. Wer sich darüber im Klaren ist, was das Leben wirklich lebenswert macht, wird gegenüber dem melancholischen Konjunktiv des „Hätte ich mal …“ zumindest ein wenig wetterfest. Zum anderen ist die Frage als solche viel dringlicher geworden: In dem Maße, wie traditionelle Bindungssysteme an Einfluss verloren haben, also etwa die Bedeutung von Religion, Nation und Familie geschwunden ist, hat sich der persönliche Sinndruck enorm erhöht. Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen, ja, die Mühen des Lebens überhaupt auf sich zu nehmen? Was genau ist es, das einem auch in schwierigen Zeiten Halt verleiht? Und am Ende wirklich zählt – gezählt haben wird?
Hegel im Überblick
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Fünf Bücher, fünf Thesen
Bücher sind selbstverständlich mehr als ihre Hauptthese. Und dennoch kann es sinnvoll sein, diese zu kennen, um besser entscheiden zu können, ob die Lektüre lohnt. Hier fünf Thesen aktueller Werke.
