Begehren
Obwohl es manchmal als Stärke (Spinoza) oder sogar als Überschuss (Bataille) verstanden wird, gilt es im Allgemeinen als Ausdruck von Mangel. Das Wort stammt aus der Sprache der Orakel, wo es die Abwesenheit eines Sterns (sidereus) am Himmel bezeichnet. Man unterscheidet das Begehren vom Bedürfnis (das dringend Befriedigung erfordert) und vom Wunsch (dessen Erfüllung oft utopisch ist). Wenn sein Ziel ist, Befriedigung und Vergnügen zu verschaffen, dann kann es selbst eine Quelle des Vergnügens sein, unabhängig von seiner Verwirklichung. Dies ist zum Beispiel bei der Tagträumerei der Fall. Deutet das Fehlen von Begehren deutet hingegen auf Schwäche (Asthenie) oder Gleichgültigkeit (Apathie) hin. Zwei Disziplinen interessieren sich besonders für das Begehren: die Psychoanalyse, die es mit dem Trieb identifiziert, und die Moral, die die Möglichkeit in Frage stellt, die Wünsche oder Antriebe, in deren Namen wir handeln, zu kontrollieren. So unterscheidet Epikur, der nichtsdestoweniger einer Ethik anhängt, die sich auf das Vergnügen (Hedonismus) konzentriert, zwischen gesunden Begierden (den natürlichen und notwendigen) und Begierden, vor denen der Weise fliehen muss (körperliche Freuden, Besitz von Reichtum, Streben nach Ruhm), um die unerschütterliche Seelenruhe (Ataraxie) zu erreichen. Die Haltung, die darauf abzielt, Begierden völlig auszulöschen, Askese genannt, wird heute in der Philosophie kaum noch vertreten (dafür in einigen alten Denkschulen wie dem Zynismus und Stoizismus), weil sie oft Frustrationen erzeugt, die, wenn sie nicht richtig gelebt wird, zu Perversionen führen können.