Die Freude, dagegen zu sein
Vergnügen ist oft nichts anderes als Ablenkung von der Wirklichkeit. Wer aber glaubt, glücklich sei nur der Dumme und Angepasste, liegt falsch. Drei Figuren widerständigen Glücks.
Der Fröhliche steht unter Verdacht. „Vergnügt sein heißt einverstanden sein“, bringt Adorno den Verdacht auf den Punkt. Unsere kapitalistische Gesellschaft, so die Diagnose kritischer Intellektueller, ist systematisch auf dumpfes Amüsement angelegt: Von Smartphones über Streamingdienste und Sportevents bis hin zu Popsongs und Pornos stehen zahllose Bespaßungsmittel zur Verfügung, die den Alltag versüßen und den Verstand verkleben. Sie versöhnen mit den Ungerechtigkeiten der Welt, indem sie diese vergessen oder gar genießbar machen, durch ihre Zurichtung zu netflixtauglichen Formaten. Sie dienen dem Erhalt der Verhältnisse nicht zuletzt durch den Zusammenschluss von Arbeit und Amüsierbetrieb. Denn schließlich gilt: Um sich den Freizeitspaß leisten zu können, muss man arbeiten. Um arbeiten zu können, muss man sich in der Freizeit amüsieren. Vom Arbeiten wird man so müde, dass man in der Freizeit wenig anderes tun kann, als sich zu amüsieren. Das Amüsement hat zunehmend Arbeitscharakter. Die Arbeit hat zunehmend Amüsiercharakter. Herbert Marcuse sah im selig machenden Konsum das entscheidende Hindernis für eine Revolution: Die Arbeiter nämlich wollen sich gar nicht befreien, sondern nur noch mehr kaufen. Die Werbung gibt den Menschen „falsche Bedürfnisse“ ein, deren Erfüllung zugleich fröhlich und unfrei macht. „Euphorie im Unglück“ nennt Marcuse diesen Zustand.
Gibt es Freude also nur für Verblendete? Ist der Depressive ein Erleuchteter, der dem Betrieb seinen Beitrag und sein Beifallslächeln verweigert? Doch wenn Glück immer Verblendung wäre, woher käme dann die Vorstellung von einem besseren Leben? Tatsächlich gibt es – daran halten auch Adorno und Marcuse mit Nachdruck fest – neben den entfremdeten auch authentische und widerständige Spielarten des Glücks.
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