Ist Glück eine Entscheidung?
Ist Glücklichsein auch und vor allem eine Frage der Geisteshaltung? Kann man sich also dazu entscheiden? Aristoteles, Descartes und Alain geben darauf drei ganz unterschiedliche Antworten.
Was ist Glück? Die Antwort auf diese Frage wurde im Laufe der Kulturgeschichte sehr unterschiedlich beantwortet. Während man in der griechischen Antike Glück und Schicksal praktisch synonym verwandte, wurde es im 18. Jahrhundert in der US-amerikanischen Verfassung zu einer Art Recht erklärt und nimmt im Rahmen gegenwärtiger Selbstoptimierungsdiskurse geradezu die Form einer Pflicht an. Stellt sich also die Frage: Kann man sich durch eine willensstarke Entscheidung einfach zum Glücklichsein entschließen? Wirft man einen Blick in die Werke von Aristoteles, Descartes und Alain, wird klar: So einfach ist es leider nicht.
Bereits um das Jahr 350 v. Chr. dachte Aristoteles über das Glück nach und befand, dass es faktisch unmöglich sei, nicht Glücklichsein zu wollen. Denn schließlich habe die Natur es so eingerichtet, dass ein glückliches Leben das Ziel der menschlichen Existenz ist. So zumindest lautet ein zentraler Glaubenssatz des sogenannten Eudaimonismus, der antiken Lehre vom guten Leben, der auch Aristoteles in seinen Schriften folgt. In seiner Nikomachischen Ethik vertritt er deshalb die Auffassung, das Empfinden von Glück sei eine genuin menschliche Fähigkeit, da es hierzu Vernunft brauche, die eben nur Menschen besäßen. Einem Ochsen oder einem Pferd Glücksempfinden zuzuschreiben, wäre deshalb schlicht unsinnig.
Den Willen im Zaum halten
Doch sieht Aristoteles auch, dass Glücklichsein nicht allein von der Vernunft abhängen kann, sondern ebenso von äußeren Faktoren beeinflusst wird. So sei es schwieriger, etwas zu erreichen, wenn man unattraktiv ist oder in armen Verhältnissen lebt. Vor allem aber kann wirkliches Glück seiner Meinung nach erst am Ende eines diszipliniert geführten Lebens erreicht werden. Dann nämlich, wenn alle unsere Fähigkeiten in Gänze entwickelt sind. Dies heißt für ihn folglich auch, dass Kinder trotz ihrer offensichtlicher Freuden beim Spielen oder Naschen kein wirkliches Glück erleben können. Um dies zu verdeutlichen, nutzt Aristoteles ein Bild, das zu einem geflügelten Wort geworden ist: „ [...] eine Schwalbe macht noch keinen Frühling und auch keinen Tag; ebenso macht auch ein einziger Tag oder eine kurze Zeit niemanden gesegnet oder glücklich.“ Glück entstehe also in einem langwierigen Reifeprozess und nicht über Nacht. Wer dies nicht erkenne, verwechselt Lebensglück mit bloßem Vergnügen. Allerdings lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, dass Aristoteles so einer recht elitären Glückskonzeption anhängt. Wer am Ende seines Lebens glücklich sein will, muss sich in der Zeit davor um die Kultivierung seiner Fähigkeiten kümmern und sollte die flüchtigen Freuden des Lebens möglichst meiden, da diese moralisch meist nicht gutzuheißen sind und nicht zu einem gelungenen Leben im Sinne der Eudaimonie beitragen.
Knapp 2000 Jahre nach Aristoteles formuliert René Descartes eine andere Theorie des Glücks: Eine der Hauptursachen für unser Unglück seien demnach unerfüllte Wünsche und Erwartungen. Etwa wenn eine Liebe nicht erwidert wird oder die erhoffte Lohnerhöhung ein weiteres Mal ausbleibt. In seiner Abhandlung über die Methode aus dem Jahr 1637 formulierte er deshalb den Lebensgrundsatz, nach dem es wichtig sei, „lieber mich als das Schicksal zu besiegen, lieber meine Wünsche als die Weltordnung zu verändern.” Doch würde das nicht bedeuten, auf jegliches Streben nach Glück zu verzeichneten und sich den Vorgaben seiner Umwelt bedingungslos zu beugen? Keineswegs. Denn mit Fatalismus hat diese Einstellung nichts zu tun. Vielmehr fordert Descartes dazu auf, sich selbst zu beobachten und seine Grenzen besser einschätzen zu können, um nicht von der einen Enttäuschung in die andere zu stolpern, weil man sich zu hohe oder schlicht falsche Erwartungen gesteckt hat.
Wer die Überzeugung teilt, dass Selbstbeobachtung und Begrenzung zum Gelingen eines Lebens beitragen kann, dem sei auch Descartes „Instrument“ an die Hand gegeben, durch die sich diese Prüfung bewerkstelligen lässt. In seinen Meditationen aus dem Jahr 1641 stellt er nämlich fest, dass der Wille viel weiter ausschweife als der Verstand. Dadurch fixiert sich ersterer auch oft auf Dinge, die eigentlich keine Relevanz haben und mehr Schaden anrichten als dass sie helfen. Deshalb sei es wichtig, den Verstand zu schärfen, um den Willen im Zweifelsfall durch die Mittel des Verstandes in seine Schranken weisen zu können. Wer Entscheidungen trifft, ohne zu wissen, warum, trifft immer eine schlechte Entscheidung, so seine Überzeugung.
Handeln als Heilmittel?
Sich für das Glücklichsein zu entscheiden, ist aber dennoch möglich, nämlich dann, wenn wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen und unsere Sicht auf diejenigen Bereiche unseres Lebens ändern, die wir kontrollieren können. Das zumindest meint der Philosoph Émile Chartier, besser bekannt unter seinem Pseudonym Alain. In seinem Buch Propos sur le bonheur (dt. etwa: Ein paar Worte über das Glück) aus dem Jahr 1925 vertritt er die These, dass im Glück wesentlich mehr Wille steckt als wir denken und der Weg zu wahrem Glück nicht über die Gedanken führt, sondern nur durch Handlungen zu erreichen ist. Seine Argumentation ähnelt dabei der einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Wer sich der Möglichkeit des Glücks offen hingibt, findet durch, nun ja, glückliche Zufälle eher wieder Freude am Leben als jemand, der die Dinge zu sehr zerdenkt. In lakonischer Manier hält er entsprechend fest: „Das erste Mittel gegen die Übel des Denkens ist, Holz zu hacken“.
Doch können uns nicht auch physische Tätigkeiten entfremden und unglücklich machen? Auf der einen Seite wäre da doch die Büroarbeit, die für viele Menschen alles andere als Erfüllung verspricht. Auf der anderen kann sich auch das beschriebene Zerkleinern von Brennholz als Problem herausstellen, wenn man doch eigentlich etwas anderes tun müsste, weil die Deadlines immer näher rücken.
Gegenüber solchen Bedenken wendet Alain ein, dass uns das Handeln nur dann wieder zurück in die richtige Spur bringen kann, wenn die Probleme nicht existenziell erdrückend sind. Ereilt einen allerdings eine veritable Katastrophe, so würde kein Tipp zum Glücklichsein mehr helfen. Die Kunst des Glücklichseins kann zwar gelehrt werden, aber eben nur, wenn „die Bitterkeit des Lebens auf kleine Ärgernisse und Unannehmlichkeiten reduziert“ ist. Glück als Entscheidung zu begreifen, ist also überaus zweischneidig. Denn auf der einen Seite wirkt man vermutlich erfolgreich auf andere, wenn man ihnen stets optimistisch begegnet und das Glück auf seiner Seite wähnt. Auf der anderen Seite könnte man durch seine Entscheidung, vom Glück beschenkt zu sein, auch schnell arrogant wirken. Selbst wenn eine Entscheidung zum Glücklichsein also möglich wäre, bleibt die Frage, wie sich dieser schwierige Spagat bewerkstelligen ließe. Und wäre das nicht vor allem schon wieder ziemlich stressig? •