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Bild: epd (Imago)

Impuls

Ein „neues Europa“ und der Globale Süden

Nico Graack veröffentlicht am 02 Juli 2025 7 min

Gerade findet in Sevilla die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung der UN statt. Sie könnte eine Chance für ein vielbeschworenes „neues Europa“ sein, das sich auf die Aufklärung besinnt – und gerade darin auf ihre postkoloniale Kritik.

 

Europa ist in der Krise, soweit sind sich Menschen über politische Lager hinweg einig. Die Zeit des klassischen transatlantischen Bündnisses ist mit Donald Trump endgültig vorbei, es herrscht Krieg in und gegen Europa, der neoliberale Weltmarkt nähert sich seinem Ende und es formieren sich neue, globale Machtbündnisse – und da ist von Klimakollaps, Pandemien und Faschismus hierzulande noch gar keine Rede. Diese Krise führt nicht nur zu den Rufen nach „Wehrfähigkeit“ und „europäischer Einheit“, sondern sie stellt auch in Frage, was denn das überhaupt ist, dieses „Europa“: Es brauche eine neue Idee Europas, hört man von Slavoj Žižek bis zu Ursula von der Leyen.

Einer der Knackpunkte dabei scheint mir das Verhältnis zum Globalen Süden zu sein – also den Teilen der Welt, die Europa einst teilweise oder ganz kolonisierte. Heute gibt man sich gerne als „Partner auf Augenhöhe“, der in Entwicklungszusammenarbeit und Klimahilfe die gemeinsamen Ziele der Armutsbekämpfung und des Klimaschutzes verfolgt. Die Realität aber ist eine andere.

Vom 30. Juni bis zum 4. Juli findet in Sevilla die Vierte Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung der UN (FFD4) statt. Dort sollen die Probleme insbesondere der Länder des Globalen Südens in Bezug auf die internationale Finanzarchitektur besprochen werden. Viele dieser Länder stecken in heftigen Schuldenkrisen und forderten in den Vorgesprächen die Einsetzung einer UN-Gruppe, die dazu langfristige und verbindliche Lösungen erarbeiten sollte. Doch die EU und Großbritannien blockierten bereits vorher alle Vorschläge in diese Richtung – so findet sich im finalen Entwurf, den es auf der Konferenz zu besprechen gilt, lediglich der Vorschlag einer UN-Gruppe, die unverbindliche Empfehlungen erarbeiten soll.

 

Schulden durch den Blick der postkolonialen Theorie

 

Das ist ein weiterer Schlag ins Gesicht des Globalen Südens in einer schmerzhaften Reihe solcher Schläge, die bis in die Anfänge des Kolonialismus zurückreicht. Es ist der Verdienst postkolonialer Theoretiker:innen diese Reihe aufgearbeitet zu haben. Ein Hauptaugenmerk der politischen Ökonomie dieser Richtung ist das globale Schuldensystem. Es übernimmt, so die These, etwa seit den 1970ern die Aufgabe, die der Kolonialismus gerade verloren hatte: Den Globalen Süden in der Position eines Lieferanten billiger Rohstoffe und Arbeit und eines Absatzmarktes für westliche Produkte zu halten.

So schreibt der aus Eswatini stammende Anthropologe Jason Hickel in seinem 2017 erschienenen The Divide. A Brief Guide to Global Inequalities and its Solutions: „Anstelle von Konquistadoren auf Pferden oder Geheimagenten in verrauchten Räumen wurde der Job diesmal von Bankern und Bürokraten erledigt – einer Armee von Männern in grauen Anzügen mit Aktenkoffern, die mit nichts Glamouröserem als Kreditportfolios handelten.“ Ein endloser Kreislauf aus Schulden mit strengen Liberalisierungsauflagen, die Arbeitnehmerrechte, Importzölle, Umweltauflagen und Co. aus dem Weg räumen, verhindert einen Aufbau eigener Industrie und zwingt die Länder, für die benötigten US-Dollar Rohstoffe durch westliche Unternehmen fördern zu lassen und zu exportieren.

Rohstoffe, das heißt: Öl, Gas, Kohle, Metalle, Agrar- und Tierprodukte. Genau die Produkte, die im Zentrum der Klimakatastrophe stehen. Auf der FFD4 in Sevilla gäbe es in dieser Hinsicht die Chance, noch einen weiteren Schlag ins Gesicht des Globalen Südens wiedergutzumachen: Die vielbeschworene „Klimahilfe“ besteht, Stand 2021, zu 77,3% schlicht aus neuen Schulden, die die Abhängigkeitsspirale und damit Klimazerstörung durch Extraktion weiter anheizt.

 

Kritik am Westen: (Anti-)Aufklärung?

 

Diese Ungerechtigkeiten sind oft begleitet von der Idee, die Staaten des Globalen Südens seien dank Korruption und Misswirtschaft doch selbst schuld an Schuldenkrise und Unterentwicklung. Schon der Begriff „Entwicklung“ enthält Versatzstücke des Diskurses, den der jamaikanisch-britische Soziologe Stuart Hall in seinem gleichnamigen Essay von 1992 als den Diskurs „Der Westen und der Rest“ bezeichnete. Die Idee dabei, die in den frühen Sozialtheorien der Aufklärung u.a. von Adam Smith und Edmund Burke entwickelt wurde: Es gibt einen allgemeinen „Entwicklungszeitstrahl“, von primitiven zu entwickelten Gesellschaften, auf dem sich Gesellschaften unabhängig voneinander bewegen.

Das Muster für die primitiven Gesellschaften gaben die indigenen Gesellschaften Amerikas ab, die mit allerlei Fantasien vom „Naturzustand“, freier Sexualität, paradiesischem Gemeineigentum, roher Aggression und Kannibalismus aufgeladen wurden. Die entwickelte Gesellschaft – das war das Christentum und später (West-)Europa, das sich selbst überhaupt erst in dieser Abgrenzung als eine Einheit zu verstehen begann. Hall schreibt: „Im Diskurs der Aufklärung war der Westen das Modell, der Prototyp und das Maß des sozialen Fortschritts“.

Diese und andere heute kanonischen Kritiken des Postkolonialismus werden oft zusammengeworfen und zu einer Kritik am „westlichen Universalismus“ erweitert. Sie beinhaltet zwei Kernideen: Erstens, die universalistischen Begriffe der Aufklärung von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, von objektiver Wahrheit in den Wissenschaften und vernünftig zu rechtfertigenden Normen für alle – sie seien nichts als ein westliches Schema, das allen anderen Kulturen gewaltsam aufgedrückt werde. Zweitens, diese Begriffe seien zutiefst heuchlerisch – wenn vermeintliche Aufklärer von „Menschen“ reden, meinen sie „weiße, männliche, heterosexuelle Menschen“.

Es ist wichtig, diese beiden Stränge auseinanderzuhalten. Denn während der erste schnell in einen Kampf der Kulturen mündet, in dem jede Kultur „ihre“ Wahrheit hat, die sie gewaltsam gegen alle anderen verteidigen muss, kann der zweite als Grundlage für Kämpfe gegen Unterdrückungen dienen. Ersteres sehen wir zum Beispiel beim russischen Philosophen Alexander Dugin, der sich explizit auf Halls Diktum vom „Westen und dem Rest“ beruft, um dann beim Ziel eines „eurasischen Großreiches“ von Lissabon bis Wladiwostok – natürlich unter russischer Herrschaft – zu landen, das den Universalismus des Westens besiegen soll. Zweiteres sehen wir zum Beispiel in der haitianischen Revolution, die sich auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in der Kolonialmacht Frankreich beriefen.

 

„Neues Europa“: Postkolonialismus und Universalismus Hand in Hand

 

Im zweiten Fall werden die Begriffe der Aufklärung nicht geradewegs als Unterdrückungsinstrument verworfen, sondern gegen sich selbst gekehrt. Natürlich waren mit „alle Menschen“ erst einmal Schwarze, Frauen und viele andere Menschen nicht gemeint – aber die Formulierung der Menschen- und Bürgerrechte erlaubte die explosive Frage: Ja, warum denn eigentlich nicht? Und es ist die These des vielleicht größten Aufklärers, Hegel, dass erst Begriffe, die diese Bewegung gegen sich selbst zulassen, wirklich Begriffe sind. Der Begriff „Mensch“ zum Beispiel in der Artikulation der Menschenrechte ist – und das ist die postkoloniale Kritik – in einer bestimmten historischen Situation zunächst ein Deckmantel für „weißer Mensch“, und damit ein Widerspruch. Sofern er Begriff im Hegelschen Sinne ist, bietet er aber zugleich die Mittel zur Formulierung der Frage „Warum denn ist X kein Mensch?“ und damit die Mittel, um ihn über sich selbst hinauszutreiben.

Das führt zu einem „dialektischen“ Begriff vom Universalismus: Begriffen wohnen Widersprüche inne und wirklicher Universalismus besteht in der Parteinahme für einen Teil dieses Widerspruchs,   der zwar ein besonderer Teil ist, aber das Allgemeine in einer konkreten Situation verkörpert – wie die Schwarzen Menschen in der Kolonialsituation des französischen Reiches. Der Unterschied zwischen dem „dialektischen“ und dem „naiven“ Universalismus lässt sich anhand der Konfrontation zweier Slogans sehen, die im Politischen aufeinandertrafen: „Black Lives Matter“ und „All Lives Matter“. Obwohl letzteres eine universelle Aussage ist, wird sie in der konkreten Situation, in der sie geäußert wird, zur Parteinahme für diejenigen, die in dieser Situation privilegiert sind – während ersteres der Ausdruck universeller Rechte für bisher Ausgeschlossene ist.

Wenn heute so viel von einem „neuen Europa“ die Rede ist, dann wäre es dieser Teil des europäischen Erbes, an den wir dabei anknüpfen könnten: Die Aufklärung in ihrer radikalsten Form – in der Form nämlich, die sich zugleich die Grundlagen ihrer eigenen Kritik gibt. Paradoxerweise wäre es diese Rückbesinnung auf die Aufklärung, die die postkolonialen Einsichten gegen ihre nationalistische Verzerrung in einem allzu simplen „Der Westen und der Rest“ à la Dugin verteidigte.

Die FFD4 diese Woche in Sevilla wäre die perfekte Gelegenheit, damit ernst zu machen und sich für eine Schuldenstreichung der Länder des Globalen Südens einzusetzen. Ein Teil des einstigen Westens würde sich damit aus diesem bröckelnden Machtblock entfernen und den Weg frei machen für so etwas wie eine neue „Non-Alignment Movement“ – ein universalistisches Projekt fernab des Blockkonflikts einer neuen „multipolaren Welt“, wie sie sich Dugin und Co. vorstellen. Ein solches „neues Europa“ wäre ernsthaft ein Kind der Aufklärung – und auf der FFD4 könnte Europa sich für diesen Weg entscheiden.•

 

Nico Graack arbeitet am Institut für Philosophie, Psychoanalyse, Kulturwissenschaften in Berlin und der Karls-Universität in Prag. Er promoviert zu Lacans Logik und ihrer Interpretation in der Ljubljana-Schule. Von ihm erschien zuletzt „Rotten Flesh. Natur und Klima im Fokus von Logik und Ontologie bei Merleau-Ponty und Lacan“ (Traugott Bautz, 2025).

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