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Bildvorlagen: Screenshot (Niklas Luhmann - Theorie der Gesellschaft 4_13 von Schwumbel); Suhrkamp

Buchbesprechung

Funktionale Jonglage

Marcel Schütz veröffentlicht am 09 Dezember 2021 7 min

Der Suhrkamp Verlag hat Niklas Luhmanns Schrift Die Grenzen der Verwaltung publiziert. Im Zentrum des Buches steht die vor allem in pandemischen Zeiten hochrelevante Frage: Wie kann die Verwaltung zahlreichen Ansprüchen genügen, ohne sich selbst aufzugeben? Eine Rezension von Marcel Schütz.

 

Für einen Soziologen hatte Niklas Luhmann eine eher untypische Vorgeschichte: viele Jahre praktische Erfahrung in der öffentlichen Verwaltung. So sprechen auch heute noch Kritiker bei dessen Systemtheorie von der – er war bis 1993 dort Universitätsprofessor – „Bielefelder Verwaltungslehre“. Einesteils erinnert das an die Zeit Luhmanns als hannöverscher Oberregierungsrat, andererseits ist damit ein funktionalistisch anmutender Theoriebau angesprochen. Der 1998 verstorbene Jurist und Soziologe hatte in den 1950er und 60er Jahren seine Verwaltungsstationen genommen; wurde erst Verwaltungsjurist für die niedersächsische Landesregierung und dann Forschungsreferent an der Verwaltungshochschule Speyer. Während eines zwischenzeitlichen Gastjahres an der renommierten Harvard University reiften eine Reihe Publikationsvorhaben, aus denen eine beachtliche Zahl rechtspolitischer und verwaltungswissenschaftlicher Abhandlungen hervorging. Nach dieser noch primär im juristischen Schrifttum orientierten Schaffensperiode sollte sich Luhmann ab den 1970er Jahren gänzlich seinem Lebensprojekt einer Theorie der Gesellschaft widmen.

Zwischen 1963 und 1964 entstand auch eine dem Nachlass entnommene Arbeit, die nun unter dem Titel Die Grenzen der Verwaltung bei Suhrkamp publiziert wurde. Wie bereits für die 1964 erschienene und später zum Lehrwerk avancierte Monografie Funktionen und Folgen formaler Organisation – zugleich Luhmanns Doktorarbeit – wird auch in diesem Text die frühe Systemtheorie am Gegenstand des Organisatorischen erprobt. Sie hat noch nicht den Grad der Ausformung gut zwei Jahrzehnte später, wichtige Schlüsselbegriffe des Denkgebäudes werden aber eingeführt. Der sehr belesene und publikationsaktive Luhmann präsentiert die Grundzüge seines Gedankengebäudes, das sich um Gesellschaft als Gesamtheit sozialer Systeme und deren Umwelten dreht. In diesem Stadium bietet die Theorie noch viel sprachliche Griffigkeit, was den bleibenden Reiz gerade des frühen Luhmanns ausmacht. Das Buch verbleibt nämlich nicht im Hochabstrakten, es ist gesättigt von frischen Beobachtungen eines hellwachen Verwaltungsbeamten, der auch das sehen kann, was nicht in den Akten steht, aber das Geschehen färbt und leitet. Wie alle Frühpublikationen kennzeichnen die „Grenzen der Verwaltung“ an mancher Stelle humorvoll angezuckerte Pointen: „Die Schulbehörden haben es mit Eltern und Schülern zu tun, die Verkehrspolizei kümmert sich um Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger – sie kann deshalb deren Rollen als Eltern beziehungsweise Schüler vernachlässigen.“

 

Produktion verbindlicher Entscheidungen

 

Doch was hat es mit diesen „Grenzen der Verwaltung“ auf sich? Geht es um Begrenztheit ihrer Kompetenz? Blühte auch in der frühen Bundesrepublik die Klage über den Amtsschimmel? Das mag gestern wie heute so sein. Doch es sind die Bilder und Eindrücke der Umwelt von der Verwaltung. Umwelt, das ist hier all das, was nicht zur Organisation der Verwaltung zählt, aber auf sie gewissermaßen verkehrsmäßig bezogen ist bzw. die Verwaltung auf sie. Über Ressourcen, Erwartungen und Leistungen, die im Wechsel von System und Umwelt eine Rolle spielen. Man denke nur an Anträge, Käufe, Verhandlungen, Tauschbeziehungen etc. Und mit Luhmann lässt sich präzisieren: Genau genommen sind es verschiedene Umwelten mit verschiedenen Erwartungen. Auch kann man sich Verwaltung, so der Verwaltungsgelehrte, nicht einfach als gehorsame „Untergebene“ der Regierung vorstellen. Der Verkehr zwischen Machtzentrale und Verwaltungsstellen erfolgt viel subtiler, ist durch geschickte Informationsverteilung, persönliche Vernetzungen, Vor- und Rücksichtnahmen geprägt. Dreh- und Angelpunkt der Luhmannschen Analyse ist, dass Verwaltungen nur vermeintlich mit einer einheitlich fassbaren Umwelt konfrontiert sind. Um dies aufzuzeigen, erfolgt eine Differenzierung in die Umwelten Publikum (Gruppierungen starker Interessen, Verbände, Initiativen etc.), Politik (Parteien und ihre Vertreter, Regierung) sowie Personal (die Persönlichkeiten der Bediensteten, die über ihrer eigentlichen Amtsrollen hinausgehen und daher zur Umwelt zählen). – Drei „P“, das lässt sich behalten. 

Man muss sich nun auf eine gewisse Umwegigkeit einlassen. Zunächst einmal ist die öffentliche Verwaltung als organisiertes System zu verstehen, dessen Sache es ist, verbindliche Entscheidungen zu produzieren. Haben sich andere Theorien bereits mit formaler Verwaltungsanalyse befasst, interessiert Luhmann das Neben- und Gegenläufige deren Struktur. Von Seiten der relevanten Umwelten lauern immerzu Versuche der Grenzüberschreitung: Interessengruppen bemühen sich bei der Verwaltung mehr Einfluss geltend zu machen, als Ottonormalbürger im Stande wäre. Regierende und Parteipolitiker kommunizieren Umsetzungswünsche, die ihren eigenen Absichten und Vorteilen möglichst zupasskommen. Und selbst das Behördenpersonal will Extrawürste: Man sucht Gelegenheiten, sich im Beruf präsentieren und entfalten zu können, womöglich mehr, als das übertragene Amt rein offiziell vorsieht. Es geht also um Handhabungen im Verwaltungsalltag, die schwer kommunizierbar sind und gleichwohl wichtige Funktionen erfüllen. Die Aussage lautet, dass gegenüber Interessen von Publikum, Politik und auch Personal inoffizielle und eigenförmige Anpassungen geboten sind, um Verwaltung organisieren zu können. Leicht zu sehen ist, dass derlei Anliegen über den Auftrag einer öffentlichen Verwaltung, Entscheidungen für das Gemeinwohl zu produzieren, hinausgehen. Überhaupt könnte man zur Annahme gelangen, dass sie allesamt geeignet sind, das Klischee von der verstaubten und eigennützigen Bürokratie zu bestätigen. 

 

Verwaltung als Mehrgrenzsystem

 

Was kann eine solche Struktur denn dann Gutes für die Leistung der Verwaltung beitragen? Die Argumentation läuft darauf hinaus, dass Verwaltungen mit Bedacht auf ihre wechselvollen und interessendifferenten Teilumwelten reagieren. Dies erfordert eine gewisse normative Mobilität, um Interessen der einen wie der anderen Seite auszubalancieren. Von dieser Umweltdifferenzierung kann die Verwaltung sehr profitieren und sich als autonomes System in Gang halten. Denn gerade die Mehrgleisigkeit erlaubt es ihr, mit Verweis auf verschiedene Ansprüche sich keiner Seite gänzlich auszuliefern. Ein Außeneindruck ist es dann, dass sich die Umwelten zurückgesetzt und in ihren Belangen nicht angemessen bedient sehen. 

Doch die Verwaltung als Mehrgrenzsystem wäre nicht, was sie ist, würde sie nicht Wege finden, den Wünschen der Umwelt mehr nachzukommen, als ihr auf formalem Wege gewiesen ist. Dazu muss sie über die Hauptstruktur hinausgehen, muss je nach Lage der Fälle Inoffizielles versuchen, um ihre Umwelten milde zu stimmen, zu bändigen und für eigene Interessen einzubeziehen. Gegen die Zugriffe der Politik kann sie etwa die Autorität der Verbände und Interessengemeinschaften ins Feld führen. Umgekehrt kann sie den mit speziellen Interessen aufkreuzenden Parteivertretern Gehör schenken, wenn ihr im Gegenzug bei anderen Sachen mehr Gestaltungsspielraum gewährt wird. Und auch auf der personalen Ebene hat die Verwaltung Möglichkeiten, über den Hebel der Karrieren und Netzwerke die Motivationen der Bediensteten zu stimulieren. Es liegt auf der Hand, dass derlei Betreiben selbst nicht formalisiert werden kann.

 

Deals im Zwielicht

 

Die Verwaltung kann – wie auch andere Organisationen – ihre Deals und Arrangements im Halbgaren und Zwielicht nicht einfach transparent und offiziell machen. Sie muss die Nebenstruktur abweichender Anpassungen stattdessen über die formale Struktur rechtfertigen und limitieren. Kurz gesagt: Offiziell muss die offizielle Ordnung immer erhalten bleiben: Politik und Publikum müssen prinzipiell die Verfahrenswege wahren, das Personal hat unpersönlich zu handeln. Die Dinge „nebenher“ dürfen nicht überhandnehmen. Nur bei Darstellung der grundsätzlichen Hauptordnung der Organisation können situative kontrollierte Abweichungen gelingen – eine Folgerung, die auch in anderen Werken in Luhmanns Organisationssoziologie Bedeutung erfährt. Man könnte auch sagen: Die Verwaltung lernt mit den Ansprüchen gegen sie funktional zu jonglieren. Nichts anderes bleibt ihr übrig, wird doch erwartet, alle Bälle – des Publikums, der Politik, des Personals – zugleich in der Hand zu halten.

Luhmannbücher werden bekanntlich gemocht und gemieden. Dass ihm beim Thema Organisationen keiner etwas vormache, hat Luhmann einmal wissen lassen. Demgemäß liegt die Stärke dieser Verwaltungsschrift ganz sicher im Sensorium des Praktikers und Theoretikers für inoffizielle Administration in ihrer mannigfaltigen Berührung zu einer anspruchsvollen Umwelt. Der Text – übrigens durch ein gerade für theoretische Neuinteressenten sehr kundiges Nachwort von André Kieserling und Johannes F. K. Schmidt eingeordnet – ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Das mag Fragen aufwerfen, was man aus ihm heute noch herauslesen kann. Die Vorstellungen und Erwartungen in puncto Verwaltung haben sich weiterentwickelt. Doch das schränkt die Aussage der Untersuchung nicht ein. Im Gegenteil: Ob zusätzliche Aufgaben, knappe Mittel, wachsende Arbeitsverdichtung oder Wettbewerb um kluge Köpfe – Die Zwänge und Nöte der öffentlichen Verwaltung sind die alten und haben nur weiter zugenommen.

Mit den vielen Managementmoden, die heute auf die Verwaltung einprasseln, bleibt es mehr denn je bei einer Quadratur des Kreises, um alle Interessen irgendwie unter einen Hut zu bringen. Neuere Ansätze der Organisationssoziologie sprechen von der Entkoppelung äußerer und innerer Wirklichkeit. Verwaltungen können sich nicht zerteilen – und wenn, sollte darüber lieber nicht zu viel Aufhebens gemacht werden. Das Entscheidungshandeln der in seiner Optik vielfach anonymen und distanzierten Verwaltung sei „für niemanden persönlich attraktiv, trotzdem aber im Gesamtinteresse sinnvoll“, notiert Luhmann. Gewiss, Corona und Co. lassen grüßen. Die Grenzen der Verwaltung sind wie bei jeder Organisation immer auch die der vorhandenen (In-)Kompetenz. Dass diese Grenzen aber vom Management jener Grenzen zu wichtigen Umwelten abhängen – Grenzüberschreitung also die Voraussetzung für kluges Grenzmanagement hergibt –, darin liegt die so raffinierte wie zeitlose Auskunft eines betagten Buches für die Gegenwart. •

 

Marcel Schütz hat in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promoviert und ist Organisationsforscher an der Universität Oldenburg. Er lehrt Soziologie an der Universität Bielefeld und Projekt- und Personalmanagement an der Northern Business School Hamburg. Zuletzt erschien von ihm „Die Realität der Reform – Über Wahrnehmung und Wirklichkeit der Veränderung von Organisationen“ (Springer VS, 2021).

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