Germany’s Next Topmodel – Vielfalt verkauft sich
Morgen findet das Finale der 17. Staffel von Germany’s Next Topmodel statt. Die Castingshow bemüht sich um einen Image-Wandel. Das Motto lautet: Diversity. Doch offenbart sich die behauptete Vielfalt als Verhärtung des Identitätsdenkens. Ein Impuls von Theresa Schouwink.
Germany's Next Topmodel war einmal vor allem dafür bekannt, „kleine Mädchen zum Weinen zu bringen“ (Roger Willemsen) und durch ein konfektioniertes Schönheitsideal in die Essstörung zu treiben. Doch die Sendung ist um einen Imagewandel bemüht: Nicht nur verkündet Klum nun manchmal, Lust auf Burger oder Tsatsiki zu haben, sie hat überdies ein progressiv anmutendes Motto für ihre diesjährige Show gefunden: Diversity. Mitmachen dürfen nun nicht nur Frauen jeder Ethnie und Herkunft, sondern auch (fast) jeden Alters und Körpertyps. So treten dieses Jahr u.a. zwei Damen über 60, eine Frau unter 1.60m und eine stark tätowierte Teilnehmerin an.
Das Konzept „Diversity“ hat seinen Ursprung in der schwarzen Bürgerrechts- sowie in der Frauen- und Schwulenbewegung. Mit dem Begriff verbindet sich die Forderung nach einer gesellschaftlichen Teilhabe von bisher Ausgeschlossenen. Vereinheitlichung soll zugunsten der tatsächlich bestehenden Vielfalt u.a. in kultureller, ethnischer, geschlechtlicher und körperlicher Hinsicht aufgebrochen werden. Die Diversity-Forderung erinnert insofern auf den ersten Blick an Adornos Kritik am „Identitätsdenken“: Das in der westlichen Moderne vorherrschende Identitätsdenken verdeckt, so Adorno, durch Kategorisierungen gewaltvoll die Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit. Stereotype strukturieren die Realität und erzeugen zugleich Herrschaft und Hierarchien. Was nicht ins Schema passt, wird unsichtbar. Auf die Modewelt bezogen bedeutet der Ruf nach Diversität eine Infragestellung der Norm des weißen, hochgewachsenen Size-Zero-Models. Denn die Folgen dieses Ideals, so die seit Jahren vorgetragene Kritik, reichen von Minderwertigkeitsgefühlen und Essstörungen bis zu Schäden durch Schönheitsoperationen und Aufhellungsprodukte.
Zwischen Aufbruch und Verhärtung
Doch so vielversprechend Diversity als Gegenmittel zur toxischen Norm auch klingt, bei GNTM zeigen sich deutlich die Nebenwirkungen: Das jeweilige Identitätsmerkmal (Alter, Körperform, Herkunft etc.) wird in der Sendung nämlich dauerthematisiert und die Teilnehmerinnen darauf reduziert. Die Kandidatinnen selbst sortieren sich gleich zu Beginn der Staffel entlang der Identitätskategorien in Freundschafts- und Wohngruppen, die Kunden wiederum belohnen eine „authentische“ Darbietung der (Identitäts-)„story“. Diversity führt hier nicht zum Einbruch des Unerwarteten und der Erschütterung der Ordnung durch die Einbeziehung des Ausgeschlossenen, sondern zu neuen Uniformierungen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Diversität à la GNTM letztlich eine Verschärfung des Identitätsdenkens bedeutet: Zwar gibt es nun eine (begrenzte) Vervielfältigung der Kategorien, diese aber werden umso vollständiger mit ihren Objekten identifiziert und verstärken die Illusion einer adäquaten Repräsentation der Wirklichkeit. Klum kann nun behaupten: „Für mich gibt es keine Grenzen, für mich zählt nur, wer du bist.“ Tatsächlich zählen aber nur die schnell identifizierbaren Merkmale, die Person mit ihrer komplexen Geschichte, Uneindeutigen und zukünftigen Möglichkeiten ist nach wie vor völlig irrelevant. Während die alte, enggefasste Modelnorm offensichtlich „unrealistisch“ (nichts anderes besagt „Ideal“) war, täuscht das Diversity-Motto vor, reale Vielfalt restlos wiederzugeben.
Adorno sah zudem eine Wesensverwandtschaft von Identitätsdenken und Warenfetisch. Das Identitätsdenken hat „am Tausch (…) sein gesellschaftliches Modell, und er wäre nicht ohne es; durch ihn werden nichtidentische Einzelwesen und Leistungen kommensurabel, identisch.“ Wie das Identitätsdenken setzt auch der Warentausch die Dinge mit einer abstrakten Kategorie (Tauschwert bzw. Preis) gleich und verdeckt ihre individuelle Beschaffenheit. Tatsächlich, so Adorno, ist die gesamte Erfahrungs- und Wahrnehmungsweise der Menschen im Kapitalismus hierdurch deformiert: Statt Freude an Dingen, Menschen und Tätigkeiten um ihrer selbst willen zu haben, drängt sich stets die Frage in den Vordergrund: Wofür ist das gut und wogegen lässt es sich tauschen? Die Verquickung von Identitätsmerkmal und Tauschwert lässt sich wiederum bei GNTM in Reinform beobachten. Das jeweilige Merkmal wird mit einem markttauglichen Euphemismus versehen -- Best ager (alt), petit (klein), oder curvy (dick) -- und zum Unique Selling Point erklärt. „Diversity“ wird wiederum zum schlagenden Verkaufsargument für die Sendung selbst. Hinzukommt: Die Affinität zwischen Diversity und Kapitalismus wird, wie der Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels feststellt, durch einen weiteren Aspekt verstärkt, nämlich die Suggestion eines absolut fairen Marktes: Wo alle Diskriminierungen abgeschafft sind, bleibt scheinbar nur noch die die untrügliche Gerechtigkeit des Wettbewerbs. Auch bei GNTM gilt weiterhin: „Nur eine kann es werden“ und jede Runde werden Teilnehmerinnen aussortiert. Doch dank Diversity scheint es, als könne nun jede durch hinreichende Anstrengung in den Modelolymp gelangen.
Der Hinweis, dass die Sendung Diversity in einer verzerrten und extrem kommerzialisierten Form praktiziert, ist ebenso naheliegend wie richtig. Doch zeigen sich hier auch problematische Tendenzen der gesellschaftlich verbreiteten und als progressiv geltenden Form der Diversität: Auch diese insistiert auf der Betonung der Diskriminierungskategorien, die zunehmend als Tauschmittel zum Erreichen bestimmter Ziele eingesetzt werden. Vielfalt lässt sich nicht durch die Ersetzung einer einzigen durch 10, 20 oder 100 Kategorien erreichen (-auch nicht durch deren „intersektionale“ Kombination). Vielversprechender wäre es, das Bewusstsein für den Spalt zwischen medialen Repräsentationen und der Wirklichkeit offenzuhalten. •
Weitere Artikel
Afropessimismus: Sklaverei ohne Ende?
Seit dem Tod von George Floyd am 25. Mai in Minneapolis durch einen Polizisten steht die strukturelle Benachteiligung von und Gewalt gegen Schwarze im Fokus der Aufmerksamkeit: Große Proteste formierten sich in den USA und international; Denkmäler von Kolonialisten und als rassistisch wahrgenommenen Persönlichkeiten wurden gestürzt. Dass die Black Lives Matter Bewegung allerdings zu einem tiefgreifenden Wandel führt, bezweifeln Afropessimisten – und berufen sich dabei auf die Sprachphilosophie des Strukturalismus. Dabei birgt diese Theorie doch gerade Grund zur Hoffnung, meint Theresa Schouwink, Redakteurin des Philosophie Magazin.

Die Maske als Ritual
Wer das Tragen seiner Mund- und Nasenbedeckung im Sinne George Batailles als Maskierungsritual versteht, kann darin eine lustvolle Überschreitung gesellschaftlicher Normen entdecken. Ein Impuls von Theresa Schouwink.

In Putins Kopf
Wladimir Putin zitiert gerne russische Denker des 19. und 20. Jahrhunderts, um seine imperialistische Außenpolitik zu legitimieren. Theresa Schouwink und Michel Eltchaninoff, Redakteure des Philosophie Magazins, werfen einen Blick auf die philosophischen Einflüsse seines Programms.

9. Türchen
Von der Neuerscheinung bis zum Klassiker: In unserem Adventskalender empfiehlt das Team des Philosophie Magazins bis Weihnachten jeden Tag ein Buch zum Verschenken oder Selberlesen. Im 9. Türchen: Unsere Redakteurin Theresa Schouwink rät zu Die Wildnis, die Seele, das Nichts von Michael Hampe (Hanser, 417 S., 26 €)

21. Türchen
Von der Neuerscheinung bis zum Klassiker: In unserem Adventskalender empfiehlt das Team des Philosophie Magazins bis Weihnachten jeden Tag ein Buch zum Verschenken oder Selberlesen. Im 21. Türchen: Unsere Redakteurin Theresa Schouwink rät zu Nature and Selected Essays von Ralph Waldo Emerson (Penguin, 416 S., 13,22 €)

Das Ende der Hyperrealität?
Die Kriegserfahrung durchbricht die spätmodernen Zeichenspiele. Im Realitätsschock liegt die Chance auf echten Frieden. Hierzulande jedoch droht eine Irrealisierung des Geschehens durch die Medien. Ein Beitrag von Theresa Schouwink, Redakteurin des Philosophie Magazins.

Die Kunst der Quarantäne?
Vieles, was für gewöhnlich Lebensfreude verheißt, ist gerade nicht möglich. Grund genug, um mit Sören Kierkegaard über den Genuss in der Beschränkung nachzudenken. Ein Denkanstoß von Theresa Schouwink.

Royava: Utopia im Krieg
Im umkämpften Grenzgebiet zwischen Syrien, dem Irak und der Türkei findet derzeit eines der spannendsten politischen Experimente der Erde statt. Ausgerechnet in Rojava, dem faktisch autonomen Kurdengebiet Syriens, wo ein mitunter als terroristisch eingestufter PKK-Ableger den Ton angibt, wird nach den Vorstellungen eines unbekannten amerikanischen Philosophen regiert. Sein Name lautet Murray Bookchin. Seine anarchistisch inspirierte Vision: eine dezentrale Räterepublik nach griechisch-antikem Vorbild – samt Gleichberechtigung der Geschlechter und Religionsfreiheit. Reportage aus einem ebenso unwahrscheinlichen wie umstrittenen Ort.