Klima des Terrors
„Klimaterrorismus“ ist das Unwort des Jahres 2022. Schon im November meinte unser Redakteur Moritz Rudolph: Es gibt keine „grüne RAF“. Wer dies dennoch behauptet, könnte einem Terrorismus ganz anderer Art Vorschub leisten.
Die deutsche Öffentlichkeit kann gar nicht genug bekommen von der großen Parallele zwischen Klimaaktivismus und Linksterrorismus. Schon vor einem Jahr sah der Cicero die Öko-Rebellen „auf dem Weg zur Klima-RAF“. Den haben sie, glaubt man den aufgebrachten Leitartiklern, seither weiter beschritten, da sie nun Tomatensaft und Kartoffelbrei auf Gemälde klecksen und sich an Brücken festkleben, um den Verkehr zu stören. Die FAZ warnt: „So kann Terror beginnen“. Die Bild-Zeitung sieht die „Letzte Generation“ sogar „schon auf der Ziellinie der RAF. Terrorismus ist immer Selbstdarstellung wie Van Gogh besudeln, Straßenblockaden oder Pipeline-Gelände zu stürmen“. Auch Spitzenpolitiker wie Alexander Dobrindt (CSU) finden Gefallen an dem Vergleich. Wissenschaftliche Schützenhilfe erhalten sie von einem Extremismusforscher, der in der Welt einen „narzisstischen“ Hass auf Alte als Tatmotiv der Aktivisten ausmacht – genau wie damals bei der „jungen RAF“.
Unerträgliche Sanftheit
Was sich hier als Stimme der Vernunft geriert, ist natürlich das glatte Gegenteil: irrlichternde Scharfmacherei und Täuschung der Öffentlichkeit. Die Klimabewegung hat niemanden umgebracht (Das war, im Fall der Berliner Radfahrerin, eine Verkehrspolitik, die Autos privilegiert). Nicht einmal ein Gemälde haben sie beschmiert. Sie haben lediglich die Rahmen eingefärbt und damit die „Einladung“ angenommen, sich am „Museum für alle“ – wie es im demokratistischen Neusprech heißt, der, wenn es drauf ankommt, eben doch nichts gilt – zu „beteiligen“. Vielleicht sind die Aktivistinnen also in Wahrheit Künstlerinnen, ihrer Zeit weit voraus. Oder zumindest die besten Besucherinnen, die man sich wünschen kann. Weil sie mitmachen und so das Potenzial des demokratischen Museums voll ausschöpfen.
Ihr Protest ist so vorsichtig und zart, dass man sich wundern muss über die Heftigkeit der Angriffe, die jetzt gegen sie gefahren werden. Liegt das vielleicht gerade daran, dass sie sich nichts zuschulden kommen lassen? Ihre zurückhaltende Sanftheit („Wir wünschen uns ein Überleben für alle“) lässt Kritik abperlen. Hätte man es hingegen mit einem Haufen von Flegeln mit Knarre zu tun, wäre es ein Leichtes, sie und ihr Anliegen zu desavouieren. Sie würden es selbst tun und man könnte in Ruhe dabei zuschauen. So aber muss man schwere Geschütze auffahren, die Gegner als Fanatiker bezeichnen, um sich selbst und anderen zu versichern, dass dort das Böse aufmarschiert. Dadurch wird es aber immer absurder und man muss noch schärfer im Ton werden.
Die Protestbewegung als Zielscheibe
Diese Radikalisierungsspirale ist keineswegs harmlos. Denn es ist gut möglich, dass die Parallele zu den 1960er und 70er Jahren, die die besorgten Bürger in ihren Schreibstuben ziehen, wahrer ist, als sie ahnen. Dann aber befinden sie sich nicht in der Rolle des Verteidigers der Freiheit, sondern des Aggressors. Die ersten Schüsse wurden damals nicht von, sondern auf die Protestbewegung abgebeben, als im Juni 1967 ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration ermordete. Die wichtigste Zeitung Westberlins, die BZ, hatte dafür nur ein Schulterzucken übrig: „Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen“. Der heruntergespielte Mord schweißte die Studenten zusammen, die Bewegung wuchs. Und mit ihr die Sorgen der (Klein-)Bürger vor den langhaarigen Gammlern und Marxisten. Die Bild-Zeitung – als deren Erben heute gleich mehrere Redaktionen auftreten – wurde zum Sprachrohr der konterrevolutionären Scharfmacher. Sie schrieb: „Unsere Jung-Roten sind inzwischen so rot, dass sie nur noch rot sehen, und das ist gemeingefährlich und in einem geteilten Land lebensgefährlich. Stoppt ihren Terror jetzt!“. Klar war auch: „[M]an darf auch nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen“. Daneben war ein schwarz gerahmtes Bild des Studentenführers Rudi Dutschke abgedruckt.
So kam Josef Bachmann, ein 23-jähriger Hitler-Verehrer, im April 1968 auf die Idee, den Worten Taten folgen zu lassen und Rudi Dutschke zu erschießen. Auf offener Straße jagte er ihm zwei Kugeln in den Kopf und rief „Du dreckiges Kommunistenschwein!“. Unterm Arm hatte er ein Exemplar der Deutschen Nationalzeitung, deren Aufmacher „Stoppt den roten Rudi jetzt!“ von der Sprache der Bild-Zeitung kaum zu unterscheiden ist. Die hatte kurz zuvor getitelt: „Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt!“. „Die Kugel Nummer Eins“, schrieb Wolf Biermann, „kam / aus Springers Zeitungswald.“
Todesschwadronen im Wartestand
Vielleicht ist also die Warnung vor linksgrünem Terror, den es gar nicht gibt, die Vorbereitung des eigentlichen Terrors, der, wie so oft in Deutschland, aus einer ganz anderen Richtung zu befürchten ist. Man muss die Warnung also umdrehen: Aus Angst vor der Klima-RAF läuft sich garantiert schon die Anti-Aktivisten-SA warm. In den sozialen Medien gibt sie sich bereits zu erkennen. Ob man „das rücksichtslose Gesindel nicht mit dem Wasserwerfer entfernen“ könne, fragte ein Zeitungsleser in einer Kommentarspalte. „Liebe TZ“, schrieb ein anderer, „das sind Terroristen und nicht Aktivisten“. Ein weiterer pflichtete ihm bei und kam zu dem Schluss: „Terroristen darf man aus Notwehr erschießen!“. Diese Todesschwadronen im Wartestand werden von einer Presse angestachelt, die Aktivistinnen zu Staatsfeinden macht, damit man sie als solche behandeln kann. Das befindet sich alles noch in den Anfängen. Aber der Weg ist eingeschlagen. So kann Terror beginnen. •
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