Klimaproteste sind nicht kriminell
Wer Gefängnisstrafen für Klimakleber fordert, hat die Kernidee des zivilen Ungehorsams nicht verstanden, meint unsere Kolumnistin Eva von Redecker.
Amnesty International listete Deutschland im September 2023 zum ersten Mal seit Bestehen der BRD als ein Land, „in dem die Versammlungsfreiheit zunehmend eingeschränkt“ sei. Der Bericht verwies insbesondere auf den Umgang mit der Klimabewegung. Und tatsächlich hat sich über die letzten zwei Jahre hinweg eine autoritäre Wende gegen die Klimabewegung vollzogen. Ein medial befeuerter Überdruss in der Bevölkerung steht dabei Pate für die Verschärfung staatlicher Repression. Wurden selbst spektakuläre Blockaden und Protestaktionen bis 2022 höchstens mit Geldstrafen belegt, gibt es nun immer häufiger Freiheitsstrafen. Und das sogar präventiv: Seit 2022 haben bayerische Gerichte mehrfach „Unterbindungsgewahrsam“ gegen Mitglieder der Letzten Generation verhängt. Der Rechtsstaat basiert auf dem Prinzip, dass man nur für wirklich begangene Taten verurteilt werden kann. Lediglich bei großer Gefahr für die öffentliche Sicherheit darf davon abgewichen werden. Mitglieder einer Gruppe, die dezidiert gewaltlos protestiert, vorab festzuhalten, ist ein Novum. Der UN-Sonderberichterstatter für Umweltschützer, Michel Forst, rügte dieses Vorgehen als Grundrechtseinschränkung und warnte, dass es die Demokratie gefährde, wenn ziviler Ungehorsam in die Nähe von Kriminalität gerückt würde.
Bei zivilem Ungehorsam handelt es sich um gewaltfreien Protest, der Recht punktuell bricht, um auf die Verletzung einer höheren Norm aufmerksam zu machen. Diese Aktionsform gilt als Teil demokratischer Aushandlungsprozesse. Ziviler Ungehorsam hilft, auf übersehene oder neue Anliegen aufmerksam zu machen. Und er übersetzt tiefe Konflikte in nachdrückliche, aber letztlich friedliche Appelle an die Mehrheit. Mit Verbrechen hat das nichts zu tun.
Nichtsdestotrotz wurde in Brandenburg im Mai erstmalig eine Anklage gegen Mitglieder der Letzten Generation nach Paragraf 129 erhoben. Das heißt, dass ihnen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird, was Abhörung, Razzien und Hausdurchsuchungen ermöglicht. Greift die Einstufung, wäre selbst die Unterstützung oder Werbung für die Letzte Generation strafbar.
Wirksames Widerstandsrecht
Die staatliche Einschränkung des Protests bedient auch Wirtschaftsinteressen. Bei der Präventivhaft in München ging es unter anderem um den reibungslosen Ablauf der Internationalen Automobil-Ausstellung. In Brandenburg, wo sich aktuell die Proteste der Umweltbewegung auf Elon Musks Tesla-Werk konzentrieren, begann die verschärfte Verfolgung in Reaktion auf Attacken auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt seit April 2022.
Die Kriminalisierung der Klimabewegung schließt den Raum des Politischen, indem sie suggeriert, dass auch Aktivisten letztlich Privatinteressen verfolgten. Dabei bringen die Klimaschützer in Wahrheit erhebliche Opfer für ihren Einsatz. Sie handeln nicht aus bloßem Eigennutz, sondern in diesem Fall sogar nach bereits offiziell ratifiziertem Allgemeininteresse. Die Aktionen sollen die Regierung an ihre mit dem Pariser Abkommen bereits eingegangenen Verpflichtungen erinnern. Auch in Demokratien braucht es ein über die bloße Rede hinausgehendes Widerstandsrecht, um handeln zu können, wenn Regierungen ihr Wort, ihr Wahlversprechen oder gar ihre eigenen Gesetze brechen.
Sicher, Protestierende nerven vielleicht, aber nur vorübergehend und nicht mehr als ein Marathon, Karnevalsumzug oder Streik. Anstatt also politischen Protest zu kriminalisieren, sollte diese Gesellschaft prüfen, welche Argumente die Autohersteller dafür vorbringen können, immer mehr und immer schwerere Modelle auf die Straße zu bringen. •
Eva von Redecker ist promovierte Philosophin und eine der profiliertesten Stimmen unserer Gegenwart. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Dynamik des Wandels und den normativen Leitlinien einer lebenswerten Zukunft. Ihr Buch „Bleibefreiheit“ erschien 2023 bei S. Fischer.