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Klassiker

Schelling und die Klimakrise

Peter Neumann veröffentlicht am 01 April 2020 9 min

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling war der Naturphilosoph schlechthin. Vor über 200 Jahren kehrte er die Blickrichtung auf die Natur um und dachte sie als „natura naturans“, als freies, handelndes Subjekt. Seine Gedanken sind heute, in Zeiten der Klimakrise, auf nahezu unheimliche Weise aktuell.

 

Dass der Mensch das Maß aller Dinge sei, konnte Friedrich Wilhelm Joseph Schelling schon damals, vor mehr als 200 Jahren, nicht begreifen. Zu jener Zeit kam mit der Aufklärung nicht nur das vernünftige Denken in die Welt, sondern auch die Hybris, die Anmaßung gegenüber der Natur. Wie „aufgeklärt“ das Denken war, lässt sich heute beobachten: Zum ersten Mal in der Geschichte wird es zunehmend eng auf diesem Planeten, brennen ganze Kontinente, versinken Südseeinseln, ziehen Wirbelstürme verheerend über das Land. Was jahrhundertelang als Ausweis menschlicher Überlegenheit galt, als epochaler Schritt vom Mythos zum Logos, hat sich heute in sein Gegenteil verkehrt. Mit dem globalen Kollaps der Natur droht auch die menschliche Freiheit in Ohnmacht zu versinken.

Schelling war weder der erste Umweltschützer noch ein früher Klimaaktivist. Aber er ist der erste unter den Philosophen der Moderne, der die Natur nicht vom menschlichen Zugriff abhängig sein lässt, sondern ihr eine Freiheit und undurchschaubare Eigensinnigkeit einräumt, die eine tiefe Einsicht in das Wesen alles Lebendigen verrät: Nicht nur der Mensch ist Subjekt, auch die Natur ist es. Nicht nur das Subjekt stellt sich die Gegenstände außer ihm vor, formt die Welt nach seinen Maßstäben: hier der sukzessive Zusammenhang von Ursache und Wirkung, da die wie Perlen an einer Schnur hübsch aufgereihten Gegenstände der empirischen Anschauung. Für Schelling hat Natur selbst Subjektcharakter, ist frei, beweglich und handelnd. Noch in den elementarsten Phänomenen der Natur wie der Elektrizität, dem Magnetismus oder dem chemischen Stoffwechsel lassen sich dieselben Prinzipien entdecken, nach denen auch menschliches Bewusstsein organisiert ist: Kontraktion und Expansion, Trieb und Drang nach höherem Leben. Und nur weil das so ist, also nur weil Natur nicht bloß die Vorstellung eines Subjekts ist, sondern – im Gegenteil – immer schon ein gehöriges Stück Freiheit in sich birgt, sich selber organisiert, kann der Mensch, der eben nicht nur vernünftiges, sondern auch ein zutiefst sinnliches, natürliches Wesen ist, sich in ihr als frei erkennen.

 

Verkannte Gewalten

 

Schelling ist jung, als er mit diesen Thesen 1797 die philosophische Bühne betritt. Ein Shooting-Star, würde man heute sagen, gerade 22 Jahre alt und schon sind seine gerade erst erschienenen Ideen zu einer Philosophie der Natur in aller Munde. Insbesondere an dem über die Landesgrenzen hinweg bekannten Musenhof im Herzogtum Sachsen-Weimar, wo man neben der Literatur, dem Theater, der Musik und Bildenden Kunst auch die strengen Wissenschaften zu schätzen weiß, ist man hellhörig geworden, was für kühne Gedanken dieser frühreife Geist mit seiner neuartigen Naturphilosophie zu beflügeln weiß. Goethe höchstpersönlich hat sein Interesse an dem philosophischen Jungspund vom Evangelischen Stift in Tübingen bekundet. Goethe, der im noch immer schwelenden Farbenstreit mit Sir Isaac Newton unermüdlich auf der Suche nach Verbündeten ist, forciert den Austausch mit Schelling geradezu, auch weil er wissen will, was von der neueren Philosophie noch zu erwarten ist. Der Großteil der philosophischen Literatur seiner Zeit stößt ihn ab, zu spekulativ, viel zu abstrakt. Da kommt ein neuer, ungestümer Denker wie Schelling, der die bedingungslose Freiheit der Natur gegen den eindimensionalen, bloß instrumentellen Zugriff des Verstands verteidigt, gerade recht. Auf Goethes Betreiben hin erhält Schelling, das Wunderkind, 1798, also nur ein Jahr nach dem Erscheinen seiner Ideen, einen Ruf an die Universität in Jena.

Naturphilosophie hat es auch vor Schelling gegeben, lange vor ihm sogar. Bis in die griechische Antike, die archaische Zeit, zu den sogenannten „Vorsokratikern“ reichen ihre Anfänge zurück: Was ist das Sein, woraus besteht die Welt, wie ist Materie organisiert, und gibt es einen gemeinsamen Ursprung von allem, einen ersten Anfang, eine Art Urstoff, eine archē? Das sind die Fragen, die Denker wie Thales von Milet, Anaximander oder Anaximenes im 7. bis 6. Jahrhundert v. Chr. an der Westküste Kleinasiens, in Ionien, umtreiben. Aber keiner, auch in den mehr als 2000 Jahren Geistesgeschichte, die folgen sollten, geht so weit wie Schelling.

In allen Modellen und Theorien der philosophischen Tradition ist die Natur bloß „geschaffene Natur“, natura naturata, wie es später in der pantheistischen Terminologie des niederländischen Philosophen und Linsenschleifers Baruch de Spinoza heißt. In ewigem Wechsel von Entstehen und Vergehen folgt eine Welt der anderen, sodass die unsrige gegenwärtige nur einen vorübergehenden Spezialfall darstellt. Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit ist alles Zeitliche nichtig, ein bloßes Provisorium. Dass die Natur, und zwar die endliche Natur, das Leben auf diesem Planeten, auch natura naturans, also „schaffende Natur“ sein könnte, fällt den gelehrten Geometern, Astronomen und Mathematikern nicht ein. Kreative Produktivität wird der intelligiblen Natur eines höheren Wesens vorbehalten, vor dessen unaussprechlicher Schöpfungsabsicht alle Dinge so gut wie nichts sind, salopp gesprochen: bloßer Tand.

 

Schaffende und geschaffene Natur

 

Selbst mit dem Weltweisen aus Königsberg Kant und dessen fundamentaler Vernunftkritik ändert sich an diesem grundlegenden Dilemma nichts. Der leidige Dualismus zwischen ausgedehnter Substanz auf der einen und geistiger Substanz auf der anderen Seite, der durch René Descartes, dem Gründervater der neuzeitlichen Philosophie, zusätzlich angefacht wird, kehrt in der kantischen Unterscheidung zwischen Begriff und Anschauung, Verstand und Sinnlichkeit, Vernunft und Erfahrung wieder. Vor Kants transzendentalem Subjekt bleibt die Welt der Objekte leb- und reglos zurück – eine Realität ohne Klang, Gestalt und Farbe. Auch für Johann Gottlieb Fichte, Kants selbst ernannten Thronerben, der die kritische Philosophie in Jena rauf und runter lehrt und seinen Kommilitonen von früh bis spät einpaukt, ist die Natur ein totes Ding, ein Nicht-Ich, bloßer Gegenstand der Erkenntnis, den es bestenfalls zu deduzieren gilt.

Schelling soll das kritische Denken noch radikaler betreiben als seine Vorgänger Fichte und Kant. Zudem kehrt er die Blickrichtung der philosophischen Tradition um. Seine Vorgänger fragten: Wie muss ein Phänomen gedreht und gewendet werden, um aus gewissen bereits im Voraus bestimmten Grundsätzen erklärbar zu sein? Schellings Frage lautet: Wohin müssen sich unsere Gedanken erweitern, um mit den Phänomenen Schritt zu halten? Das Bestreben, der ungeheuren Eigendynamik des Lebendigen auf den Grund zu kommen, seinen unterschiedlichen Formen und Gestalten, den schier endlosen Bildungen und Umbildungen, stellt den nie verlöschenden Glutkern seines Denkens dar. Denn alles, ja, wirklich alles, was da ist, ist das Produkt einer freien, sich selbst organisierenden Tätigkeit: die organische wie die anorganische Natur, Pflanzen und Tiere genauso wie Mineralien und Steine. Die uralte aristotelische Vorstellung einer scala naturae, eines stufenweisen Aufbaus der Welt, ist wahr, solange man mit bedenkt, dass sich Gestalten wandeln können und keiner vorgegebenen, strengen Hierarchie folgen müssen.

Darin besteht die philosophische Revolution, mit der Schelling die ach so aufgeklärte Welt um 1800 erschüttert. Die Natur selbst, und zwar die ganze irdische, endliche Natur, gerade auch die Natur des Mängelwesens Mensch, besitzt eine eigene, wenn auch noch anfangs unbewusste, dunkle, produktive Kraft, die sie zur Verwirklichung ihrer Freiheit antreibt. Nur deshalb kann es einen gemeinsamen Ursprung geben, aus dem alles kommt und in den alles zurückkehrt. Schaffende und geschaffene Natur sind keine Gegensätze, zumindest keine, die nicht in einem höheren Ganzen, das Schelling „Geist“ nennt, aufzuheben wären. Im Medium der Natur erkennt der Geist sich wieder und findet zu sich selber – et vice versa: im Geist des Menschen schlägt die Natur die Augen auf und findet zur Erkenntnis, dass sie da ist.

 

Notwendiges Umdenken

 

Schelling artikuliert das Begehren nach einer ganz anderen – integrativen – Auffassung der Natur zu einer Zeit, in der sie zum ersten Mal in der Geschichte merklich zu verschwinden droht. Mit der aufkommenden bürgerlichen Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts verändert sich das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt grundlegend. Industriekomplexe schießen aus dem Boden, unberührte Areale werden zersiedelt, technische Anlagen übernehmen die Arbeit, die jahrhundertelang von menschlicher Hand verrichtet wurde. Die Dinge verlieren ihre unantastbare Einzigartigkeit, werden ersetzbar, disponibel. Je fragiler die äußeren Lebensumstände werden, desto mehr bedarf es eines festen Korsetts, in dem das Denken sich heimisch fühlen kann. Mit dem Ergebnis: Um sie beherrschen zu können, muss sich die Ratio vollständig von ihrer Umwelt abkapseln. Was das 19. Jahrhundert als geschichtliche Entwicklung vorantreibt und als Disziplinenunterscheidung zwischen den erklärenden Naturwissenschaften auf der einen und den doch bloß verstehenden Geisteswissenschaften auf der anderen Seite letztlich auch auf universitärer Ebene fest verankert, nimmt hier seinen folgenschweren Anfang.

Ob es um die Rationalisierung des akademischen Studiums, die Deregulierung der Finanzmärkte oder die durchgreifende Ökonomisierung der Lebenswelt geht: Welt wird noch da, wo sie sich zu entziehen scheint, verfügbar gemacht – damals nicht anders als heute. Ausgestattet mit immer größeren und immer feineren Instrumenten, soll ihr auch noch das letzte Geheimnis, das sie nicht hergibt, entlockt werden. Die Welt, die natürliche Sphäre, die uns umgibt, ist da und hat dem Erkenntnisinteresse des Menschen zu gehorchen. Sie ist ein bloßes Objekt, herabgestuft zur nackten Ressource, die es, solange sie noch vorhanden ist, nach Herzen auszubeuten gilt. Schellings frühes Unbehagen am menschlichen Umgang mit der Natur findet in Zeiten der Klimakrise auf nahezu unheimliche Weise sein spätes Echo: Heute darf sich der französische Soziologe Bruno Latour mit seiner Forderung, die Natur ins „Parlament der Dinge“ zu holen, als einer seiner Erben verstehen. Nur wer die Natur als freiheitliches Subjekt begreift, kann ihr unveräußerliche Rechte im politischen Entscheidungsprozess einräumen und so vielleicht verhindern, was als Katastrophe andernfalls unausweichlich ist.

Dass der Geist, welcher der Freiheit um 1800 zum Durchbruch verhalf, sich auch heute als Ungeist herausstellt, gehört zu den Widersprüchen einer Moderne, die den Menschen mehr als einmal an den Rand des eigenen Abgrunds geführt hat. Dieses Mal könnte es allerdings das letzte Mal sein. Der Planet steht kurz vor dem Kollaps. Die Klimakrise bringt schockartig zu Bewusstsein, dass der Mensch in einem ganz elementaren Sinn nicht über unbegrenzt viel Zeit und natürliche Ressourcen verfügt. Doch die Aufklärung, die vor mehr als 200 Jahren begann, arbeitet weiter unbeirrt daran, die Präsenz der Natur aus derjenigen Welt zu entfernen, die ohne die Präsenz des Lebendigen, seiner bewundernswerten Souveränität, aber auch seiner außerordentlichen Verwundbarkeit eigentlich gar nicht verstanden werden kann. Dies ist das Erbe, das ihr aus der philosophischen Tradition erwachsen ist. Und von dieser fragwürdigen Hinterlassenschaft hat sich das Denken bis heute nicht befreit.

 

Band der Kreatürlichkeit

 

Während es an wissenschaftlichen Grundlagen und Fakten zu den Folgen der globalen Erderwärmung nie gemangelt hat, besitzt die Weltgemeinschaft auch gegenwärtig noch keinen breit akzeptierten Konsens, wie mit der Krise zu verfahren sei. Bestehende internationale Abkommen wie die Pariser Verträge von 2015 werden permanent unterlaufen. Wenn gemeinsame Vereinbarungen überhaupt noch etwas am geradezu pervertierten Lauf der Natur ändern können: Viele Klimaforscher gehen derzeit davon aus, dass der Point of no return bereits zu einem Zeitpunkt überschritten war, als von Klima und Krise und CO2-Emissionen noch niemand sprach. Der Mensch hat, um es mit Schelling zu sagen, das „Band der Kreatürlichkeit“ zerschnitten.

Als 2009 die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen fulminant scheiterte, nannte die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, die Konferenz den „Tod der Demokratie“. Mehr als 100 000 Menschen gingen damals für mehr Klimaschutz auf die Straße. Aus dem Kopenhagener Desaster ist mit der Klimaschutzbewegung Fridays for Future ein neues globales Ethos hervorgegangen, das die Dringlichkeit umweltpolitischen Handelns wirkmächtig verkörpert. Auch wenn man von einer Philosophie keine politischen Gegenstrategien, geschweige denn Lösungen erhoffen darf, so kann Schellings Naturphilosophie eine kritische Erinnerung daran sein, dass jenseits von Natur nur die eigene rastlose Selbstzerstörung wartet. •

 

Peter Neumann ist Essayist, Lyriker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg. Er wurde mit einer Arbeit über Schelling promoviert. 2018 erschien sein Buch „Jena 1800“ (Siedler).

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