Theorien des Friedens
Eine göttliche Ordnung, ein absoluter Souverän oder vorbehaltloses Vertrauen – über die Voraussetzungen des Friedens machen sich Philosophen seit jeher Gedanken. Hier sechs historische Positionen, vorgestellt von Timm Lewerenz.
Augustinus von Hippo (354-430)
Irdischer Frieden muss erkämpft werden
Für den Kirchenvater Augustinus ist Friede keineswegs bloß die Abwesenheit des Krieges im Verhältnis der Völker. Er ist eine gottgewollte Ordnung, die das Politische ebenso durchzieht, wie den Zustand von Körper und Geist. So spricht er in Vom Gottesstaat vom Frieden einer Seele „in der geordneten Übereinstimmung von Denken und Handeln“ sowie „in der geordneten Ruhelage der Triebe“. Im menschlichen Zusammenleben äußert sich Frieden im Zustand der Eintracht. Doch die allein schafft noch keine gerechte Ordnung, schließlich kann sie auch unter Räubern herrschen. Wie also ist wahrhafter Frieden zu erreichen? Frieden ist die natürliche und gottgewollte Ordnung, doch es gehört zum beklagenswerten Los des Menschen, dass sie im Diesseits oft mit Waffengewalt errungen werden muss. Ein solcher Krieg sei ein gerechter Krieg. Und ohnehin: „Was [...] ist denn überhaupt so falsch am Krieg? Dass Menschen sterben, die ohnehin irgendwann sterben werden [...]? Ein Feigling mag darüber jammern, gläubige Menschen jedoch nicht.“
Erasmus von Rotterdam (ca. 1467-1536)
Der Mensch ist zum Frieden geboren
Der Humanist Erasmus von Rotterdam warnt in mehreren pazifistischen Schriften vor der Gefährdung des Friedens. Das seit Cicero einflussreiche Konzept des "bellum iustum" (gerechter Krieg) entbehrt in der Realität jeglicher Grundlage. Schließlich hält jede Partei ihren Anspruch für den „gerechten“ und eine unparteiische Instanz gibt es nicht. In Die Klage des Friedens lässt Erasmus die Friedensgöttin „Pax“ zu Wort kommen, die sich als „Stifter und Erhalter von allem“ ausgibt. Sie konfrontiert den Leser mit der Wirklichkeit des Krieges, dessen verheerende Folgen jede mögliche Legitimation in den Schatten stellen. Lieber soll man Besitz und Einfluss riskieren als sich in diese Spirale des Schreckens zu begeben. Denn: „Krieg wird aus Krieg gesät“. In seinen Adagia findet Erasmus klare Worte darüber, dass der Krieg nur aus der Studierstube des Theoretikers berechtigt erscheint. Faktisch ist der Krieg das „Reich des Teufels“. Der Mensch jedoch, ausgestattet mit Sanftmut und Mitleid, ist von Natur aus für den Frieden gemacht.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo
Weitere Artikel
Überwachen oder Vertrauen?
Überwachungsskandale haben das Vertrauen der Bürger erschüttert. Doch wie wichtig ist Vertrauen überhaupt in einer Demokratie? Und steigt das Vertrauen in Mitmenschen nicht gerade durch Kontrollen? Die Schriftstellerin Juli Zeh und die Historikerin Ute Frevert im Streitgespräch
Theorien des Krieges
Gerechtfertigt, natürlich, unbedingt zu vermeiden? Seit der Antike wird in der Philosophie um die richtige Deutung des Krieges gerungen. Hier sechs Positionen.

Immanuel Kants: Zum ewigen Frieden
Nie wieder Krieg war vor über 75 Jahren die Leitidee der europäischen Einigung. Über die Voraussetzungen eines ewig anhaltenden Friedens schrieb am Ende des 18. Jahrhunderts bereits Immanuel Kant.

Müssen wir Ordnung halten?
Besonders im Frühjahr packt viele der Putz- und Aufräumwahn. Aber warum halten wir überhaupt Ordnung? Drei Positionen zum Scheuern, Wischen und Umsortieren.

Wie treffe ich eine gute Entscheidung?
Seit jeher haben Menschen Entscheidungsprobleme. Was sich bereits daran zeigt, dass eine der wichtigsten Institutionen der Antike eine Art göttliche Beratungsagentur darstellte. Sagenumwobene Orakel, deren meistfrequentierte Filiale sich in Delphi befand und dort mit dem Slogan „Erkenne dich selbst“ um weisungswillige Griechen warb, stillten nicht nur religiöse, sondern auch politische, militärische und lebenstherapeutische Informationsbedürfnisse. In wirtschaftlicher Hinsicht funktionierten Orakel gar wie moderne Consulting-Buden. Wer genug Drachmen hatte, konnte eine ausführliche Interpretation der Weissagungen durch die prophetische Priesterin Pythia erhalten, während weniger Begüterte lediglich Ja- oder Nein-Fragen stellen durften.
Versteckte Logiken
Lange galt eine Gewissheit als unerschütterlich: Die Welt strebt unaufhaltsam auf eine vom Westen orchestrierte, wohlstandssteigernde, friedenssichernde Ordnung zu.

Cavell und das Gewöhnliche
Seit ihren antiken Anfängen war die Philosophie auf der Flucht vor dem Gewöhnlichen. Es galt, die Unvollkommenheit unseres alltäglichen Wissens entweder durch radikale Skepsis oder aber durch das Streben nach absoluter Erkenntnis zu überwinden. Stanley Cavell kritisierte diese Form der Weltentfremdung und plädierte für eine Wiedergewinnung des Gewöhnlichen.

Wendy Brown: „Souveränität ist eine Fiktion“
Weinende Kinder an der amerikanisch-mexikanischen Grenze und das Pochen der CSU auf ein Recht auf Zurückweisung sind nur die jüngsten Beispiele einer sich weltweit verschärfenden Abschottungspolitik. Wendy Brown, eine der einflussreichsten Intellektuellen der USA, über die letzten Zuckungen nationaler Souveränität und die menschliche Sehnsucht nach Einhegung

Kommentare
Wenn Frieden das Schweigen der Waffen bedeutet, kann für einen Angriff gerüstet werden.
Wenn Frieden eine Tradition der Verantwortlichung/ responsiblisation beinhaltet, kann jede Handlung, die das Offensivpotential einer Seite stärkt, mit Erinnerung an die Tradition kommentiert werden, während es fair ist, das eigene Defensivpotential zu erhöhen. Sachlich, taktvoll, sozialdynamisch geboten.