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Bild: Tanya Barrow (Unsplash)

Essay

Überwachen und Strafen als Teambuildingevent

Till Hahn veröffentlicht am 10 Dezember 2025 7 min

Beim Teambuildingevent, Junggesellenabschied oder Wandertag: Nirgendwo scheint man dem Boom der Escaperooms entkommen zu können. Doch was würden eigentlich die Philosophen des 20. Jahrhunderts dazu sagen?

Da saß ich nun, mit Handschellen an einen leicht ramponierten Tisch aus billigem Pressholz gefesselt, umgeben von einer Reihe Dreizehnjähriger, deren Lage genauso desolat war, wie die meinige. Wie aber war ich in diese hineingeraten? Die Antwort darauf in einem Wort: Wandertag. Irgendjemand an der Schule, an der ich als Vertretungslehrer für das altehrwürdige Fach der Philosophie angeheuert hatte, hatte wohl entschieden, dass es eine „nice Sache“ wäre, wenn die Jahrgangsstufe 7 denselben in einem örtlichen Escaperoom verbringen würde. Nun war es ein Leichtes, den Schlüssel für die Handschellen zu finden. Was dann folgte, war allerdings eine Serie von zunehmend absurder werdenden Denkaufgaben, mit der wir uns so durch den etwas lieblos gestalteten Raum rätselten. 

Was beworben war als eine amüsante Reihe von „Brainteasern“, wurde schnell zu einer Übung in Frustrationstoleranz. Ich begann also in meinem Kopf die drängendsten Rätsel dieses Wandertages durchzugehen: Wie gut war die Schule wohl haftpflichtversichert und wie schlecht würde der Vermerk „Anstachelung zur Revolte“ wohl in meiner Personalakte aussehen? Am Ende scheiterte unsere Selbstbefreiung daran, dass die Lösung dieser „Brainteaser“ eine Art stumpfsinnig-instrumenteller Vernunft verlangte, die – entgegen ihrem allenthalben schlechteren Ruf – nicht einmal die sadistischen Zuchtmeister des preußischen Schulsystems zu lehren sich getrauen. Das aber warf sogleich das nächste Rätsel auf, nämlich warum irgendjemand auf die Idee gekommen war, der Besuch dieses Etablissements könnte eine „nice Sache“ sein?

 

Probe für den Ernstfall

 

Freilich, das Spiel, so lehrt es uns die Beobachtung der Natur, ist immer auch die Probe für den Ernstfall. Doch für welchen Ernstfall wird hier geprobt? Immerhin ist der Escaperoom mittlerweile fest verankert in der Lebenswelt des spätkapitalistischen Homo Ludens: Nicht nur beim Wandertag, auch beim Teamevent oder Junggesellenabschied – überall lassen sich mehr oder weniger erwachsene Menschen für Geld in mehr oder weniger (in der Regel weniger) fantasievoll gestaltete Räume einsperren, aus denen sie dann durch Anstrengung ihrer instrumentellen Vernunft wieder ausbüxen müssen. Als guter Snob verweigere ich mich solcherlei Trenderscheinungen, aber hier konnte ich ihr – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht mehr entkommen. Natürlich war es niemand geringerer als der Königsberger Superphilosoph Immanuel Kant, der das Dictum „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ zum höchsten Ausdruck der Aufklärung erklärte. Sind Escaperooms also aufklärerisch? Immerhin werben sie damit, dass du dir hier deine lang ersehnte Freiheit durch die hervorragende Anstrengung deines eigenen Verstandes zurückerobern kannst. Freilich nachdem du die Betreiber des Escaperooms fürstlich dafür entlohnt hast, sie dir überhaupt erst zu nehmen. Bedient der Escaperoom daher vielleicht sogar eine Sehnsucht des aufgeklärten Menschen, gefangen in der spätkapitalistischen Kontrollgesellschaft? Die Sehnsucht danach, dass es wirklich nur auf den eigenen Verstand ankomme, Beherrschung und Unfreiheit zu entkommen? 

Nun ging es Kant wohl kaum um das Lösen erbaulicher Rätsel – es fällt schon schwer, ihn sich beim Lösen eines sonntäglichen Sudokus vorzustellen. Vielmehr war der Leitsatz der Aufklärung ein politischer: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen bei der Beantwortung der drängendsten politischen Probleme. Im Gegensatz zum Leitsatz des bis dato herrschenden Absolutismus: „Vertraue blind auf die Entscheidungen deines herrschenden Souveräns“. Und Probleme, die der Betätigung des Verstandes bedürften, haben wir ja zur Genüge: Klimawandel, Rechtsruck, die CDU im Allgemeinen. Ist es vor diesem grauen Hintergrund nicht zugleich auch eine Verfallserscheinung des Geistes der Aufklärung, wenn der eigene Verstand, statt diese Probleme zu lösen, sich auf die stumpfsinnig-instrumentelle Rationalität des reinen Rätsellösens reduziert? 

Nun hat sich das Versprechen auf die befreite Gesellschaft, das der Aufklärung innewohnte, ja keinesfalls bewahrheitet. Im Gegenteil, spätestens seit Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung wissen wir, dass der Mensch im Kapitalismus – alles andere als seine Freiheit verfolgend – seinen Verstand mit Vorliebe dafür benutzt, um seine Herrschaftstechniken zu perfektionieren. So ist das 20. Jahrhundert geprägt von Verwaltungsbürokratie im Staat und Fabrikrationalität in der Wirtschaft – beide, so die These von Horkheimer und Adorno, kulminieren in industriell organisierter Massenvernichtung. Nun wäre es sicherlich eine maßlose Übertreibung, wollte man eine Spur aus den Vernichtungslagern direkt in den Escaperoom verfolgen – so weit sollte man seinen Verstand dann doch nicht davongaloppieren lassen. 

 

Anfängerschwimmen auf der Titanic

 

Doch es war ein weiterer Denker des 20. Jahrhunderts, der – auch im Anschluss an Kant – über die Rationalität der allgemeinen Einsperrung nachdachte: Michel Foucault stellte mit Überwachen und Strafen die These auf, dass es in der Logik des modernen Gefängnisses liegt, nicht nur delinquente Individuen durch Freiheitsentzug zu bestrafen, sondern Blaupause für die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung einer Ordnung zu sein, in der die einzelnen Individuen einer dauerhaften Überwachung, Disziplinierung und Formung unterworfen sind und so zur Konformität mit den herrschenden Mächten erzogen werden. Schulen, Fabriken und Kasernen werden in dieser Logik alle zu Instanziierungen derselben Disziplinarmacht, wir alle zu Insassen eines Straflagers, das die ganze Gesellschaft ausmacht. Wollte man dieser Logik folgen, dann ist der Escaperoom also die spielerische Vorbereitung auf einen Ernstfall, der immer schon eingetreten ist. Anfängerschwimmen auf der Titanic, während das Orchester schon angesetzt hat, den letzten, traurigen Walzer zu spielen.  

Die Lust am Escaperoom, an Einsperrung und Flucht, würde damit gar in einem perversen Zwang zur Wiederholung gründen. Dieser Wiederholungszwang, so entwickelte ihn Sigmund Freud zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ist der Zwang, eine traumatische Situation in einer kontrollierten Umgebung wieder und wieder durchzuspielen. Durch dieses Durchspielen, so Freuds These, wird eine traumatische in eine lustvolle Situation verwandelt. Sein Beispiel ist das „Fort-Da-Spiel“ des kleinen Hans, der, indem er eine an einem Faden befestigten Spule fortwirft (Fort) und sie dann am Faden wieder zu sich zurückzieht (Da), mit der traumatischen Situation umgeht, dass das Objekt seiner Liebe (natürlich die Mutter) ihn von Zeit zu Zeit in der Wohnung zurücklässt, wenn sie Besorgungen machen muss. Kontrollieren wir also, wie der kleine Hans, den Verlust unserer Freiheit (Fort), indem wir sie uns vermeintlich zurückerobern unter Bedingungen, die unter unserer Kontrolle sind, nämlich unserem instrumentellen Verstand (Da)?

Das würde voraussetzen, dass wir mit Foucaults drastischer Diagnose der Gegenwart mitgehen. Doch ist es wirklich so düster? Immerhin sind die preußischen Zuchtmeister, mit denen ich mich in meiner Schulzeit noch herumzuschlagen hatte, heute größtenteils dem kumpelhaften Sozialarbeitertypen gewichen. Auch die Chefs und Vorarbeiter in den Fabriken und Büros – wenn man überhaupt noch in solchen arbeitet und nicht eh schon in hippe Coworking-Spaces umgezogen ist – bestehen ja mittlerweile meist auf dem informellen Du; „das sind hier ganz flache Hierarchien“, und eigentlich sind wir auf Arbeit ja wie eine große Familie… Doch für Foucault stellt gerade die Familie einen Knotenpunkt der Disziplinarsysteme dar: nach innen sichert sie die Funktion der Überwachung, indem die Angehörigen – insbesondere die Kinder – den gesellschaftlichen Anforderungen gemäß geformt und andererseits in die größeren gesellschaftlichen Kontrollsysteme, Schule, Arbeit, etc., rücküberführt werden: Einen guten Schulabschluss machen, um die Eltern nicht zu enttäuschen, arbeiten, um die eigene Familie ernähren zu können, auf keinen Fall straffällig werden, damit einem die Kinder nicht weggenommen werden.     

 

Gamification der Arbeitswelt

 

Nun könnte man einwenden, dass selbst diese Form der Disziplinierung schon überwunden ist. Neu an dieser spielerischen Form der Disziplinierung ist dagegen schließlich gerade der vermeintliche Selbstbezug, der darin in der spielerischen Form der Disziplinierung steckt: Ich arbeite nicht mehr für andere, sondern für mich selbst, zur Verwirklichung meiner Projekte, die ich als Ausdruck meiner innersten Persönlichkeit erlebe. Sei es unmittelbar, indem ich meine Arbeit, meinen „Grind“, dazu erhebe, oder nur mittelbar, indem ich mir die ökonomischen Mittel erarbeite, meine innersten Träume zu verwirklichen – eine Fernreise nach Thailand, einen Van oder (warum nicht?) eine Kleinfamilie und ein Häuschen im Grünen. Das Ziel der Selbstverwirklichung als Projekt erlaubt es mir noch, meine Formung zur perfekten – und damit perfekt fremdbestimmten – Arbeitskraft als Ausdruck meiner innersten Freiheit zu erfahren. Und die Gamification der Arbeitswelt lässt mich jede neue Unbill nur als weiteres Level erfahren, das ich durchspielen muss auf dem Weg zur versprochenen Selbstverwirklichung. Doch damit hätte sich die von Foucault beschriebene Gefangenschaft lediglich transformiert. Denn wenn es die Freiheit in der Selbstverwirklichung ist, die uns die Arbeit verspricht, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass wir ohne Arbeit gar nicht wirklich wären. Arbeitszwang nicht durch stumpf-disziplinierende Gewalt, sondern durch die existentielle Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit.

Zudem ist diese schillernde neue Arbeitswelt nur für eine kleine Gruppe Privilegierter Realität. Der Packer im Amazon-Warenhaus und die Lieferando-Fahrerin dagegen arbeiten unter Bedingungen, die selbst Foucault sich wohl nicht hätte vorstellen können. Doch auch dem privilegiertesten Agentur-Arbeiter dürfte klar sein, dass diese stumpf-disziplinierende Gewalt damit nicht verschwunden ist. So wie noch der kumpelhafteste Lehrer „andere Saiten aufzieht“, sobald er die schulische Disziplin gefährdet sieht, so wird auch der netteste Chef mit Rauswurf oder schlimmerem drohen, wenn die Quartalszahlen nicht stimmen. Die meisten von uns sind dichter am Knast als an der ersten Million. Diese traumatische Wahrheit darüber, was unsere spätkapitalistische Gesellschaft im Innersten zusammenhält, können Sie nun also beim nächsten Teambuildingevent lustvoll durchspielen. Ist das nicht eine nice Sache? •

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