Warum Kinder gute Philosophen sind
Der amerikanische Philosoph Scott Hershovitz hat mit seinen Kindern über Gott, das Universum, Farbwahrnehmung und Bevormundung gesprochen und darüber ein Buch geschrieben. Im Interview erklärt er, was Erwachsene von ihnen lernen können.
Herr Hershovitz, wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Während der Zeit, in der ich unterrichtete, habe ich viel über meine Kinder gesprochen. Ich bin Professor für Rechtsphilosophie; es bot sich also beispielsweise an, ein Gespräch über Strafzwecktheorie mit einer Diskussion, die ich mit meinen Kindern geführt hatte, zu beginnen. Ich merkte sehr schnell, dass diese Beiträge meine Zuhörer nicht nur zum Lachen brachten, sondern auch zum Nachdenken anregten und das Interesse meiner Studierenden weckten. Die Methode war so effektiv, dass ich anfing, das Gleiche bei meinen Kollegen zu tun. Die Anekdoten ermöglichten es mir, philosophische Fragen in unserem täglichen Leben neu zu verorten.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Eines Tages fragte meine Frau Julie unseren damals achtjährigen Sohn Hank, was er essen wolle. Sie gab ihm zwei Optionen: eine Quesadilla oder einen Hamburger. Sichtlich gequält von der Entscheidung, wählte er schließlich den Hamburger. „Er liegt schon auf dem Tisch,“ antwortete Julie. Hank begann zu weinen. Er rief: „Du hast mich gar nicht entscheiden lassen!“ Meine Frau versuchte, ihn zu beruhigen: „Du hast mich um einen Hamburger gebeten, nun schau, er liegt auf dem Tisch.“ Doch Hank schrie: „Nein, du hast meine Entscheidung vorhergesagt!" In der darauffolgenden Woche diskutierte meine Klasse in Rechtsphilosophie das Konzept der Präventivbestrafung – das heißt, dass jemand bestraft wird, bevor er ein Verbrechen begeht, um den Verdacht, dass er es tatsächlich tun könnte, auszuräumen. Ich erzählte meinen Studierenden die Anekdote von Hank und wir gingen der Frage nach, ob er das Recht hat, sich respektlos behandelt zu fühlen. Bedeutet eine Entscheidung einer Person vorherzusagen, dieser Person den freien Willen abzusprechen? Meine beiden Söhne Rex und Hank werden nun von den Studierenden meiner Klasse als berühmte Philosophen angesehen!
Wie wird man ein Philosoph?
Alle Kinder sind Philosophen. Zu meinem Bedauern lässt diese Veranlagung jedoch immer mehr nach, je älter sie werden. Ich erinnere mich, wie ich im Alter von fünf Jahren meine Mutter fragte: „Mama, wie sieht rot für dich aus?“ Unbeeindruckt von der Tragweite meiner Frage antwortete sie sofort: „Es sieht genauso aus wie rot für dich.“ Ich wiederholte meine Frage und sie bat mich inständig, damit aufzuhören. Das war das erste Mal, dass ich gebeten wurde, mit dem Philosophieren aufzuhören. Und es war sicherlich nicht das letzte Mal....
Inwiefern ist diese Frage philosophisch?
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