Woran erkennen Sie, dass Sie alt geworden sind?
Man ist nach dem Treppenstiegen außer Atem, erzählt immer öfter dieselben Geschichten oder scheitert an neuen Smartphone-Apps: Sind das schon Anzeichen dafür, dass man alt wird? Nicht unbedingt. Denn Rousseau, Cicero und Montaigne machten dafür drei andere Anzeichen aus.
I. Die eigene Kraft überschätzen
Dass man alt wird, erkennt man an der wachsenden Kluft zwischen den Dingen, die man zu können glaubt und denen, die man tatsächlich kann. So kritisiert Rousseau in seinen Träumereien eines einsamen Spaziergängers aus dem Jahr (1782) eine Sentenz des antiken Philosophen Solon, die da lautet: „Ich werde alt und lerne doch immer noch vieles dazu.“ Nein, wirft Rousseau ihm entgegen, das sei eine schlechte Idee. Denn realistisch gesehen müssen wir ab einem bestimmten Punkt in unserem Leben erkennen, dass uns das Lernen immer schwerer fällt. Ja, dass wir irgendwann sogar vom Lernen ablassen müssen, weil „diese vergebliche Bemühung“ das Leben nicht mehr bereichere, sondern es erschwere. Immer öfter würde es uns schließlich sogar davon abhalten, das Leben zu genießen, weil man nach Neuem strebe, ohne allerdings noch die Kraft zum Streben zu haben. Ratsamer hingegen sei es deshalb, im Alter die Erinnerung an das bereits früher Gelernte aufrecht zu erhalten, um den geistigen Verfall zu bremsen und hoffentlich tugendhafter aus dem Leben zu gehen als man es begonnen hat.
II. Fatalistisch werden
Dass man alt wird, erkennt man auch daran, dass man beginnt, übermäßig fatalistisch auf die Welt zu blicken. Nach dem Motto: Alles kommt ohnehin, wie es kommen wird – und daran lässt sich nichts mehr ändern. Der Grund für diese Einstellung sind nachlassende Kräfte. Auf seine alten Tage unterschätzt man leicht, dass man sehr wohl noch Wichtiges beizutragen hat und räumt in voreiligem Gehorsam den Platz für die nächste Generation. Diesem Irrtum wollte Cicero bereits vor über 2000 Jahren begegnen, indem er in seinem Werk Cato der Ältere über das Alter eben jenen sagen lässt, dass Staaten stets von jungen Leuten ruiniert, allerdings von alten gerettet oder wiederhergestellt worden seien. Denn wenn letztere nicht mehr „den Speer werfen oder das Schwert führen“ könnten, so wären sie dank ihrer Erfahrung doch umso wichtigere Berater, Strategen und Planer. Um es also auf den Punkt zu bringen: Man ist alt geworden, wenn man ein wenig zu spät merkt, dass man vorzeitig gekündigt hat. Vielleicht war auch Cicero selbst schon altersmüde geworden als er es versäumte, den Diktator Caesar für seine Taten verantwortlich zu machen.
III. Viel über den Tod nachdenken
Schließlich erkennt man das Altern auch daran, dass man zunehmend über den Tod nachdenkt. Man spricht häufig über die eigene Endlichkeit, verfasst sein Testament oder schließt sogar eine Sterbeversicherung ab. Doch eine zwanghafte Fixierung auf das Sterben verdirbt das Leben, indem es unsere letzten Jahre nicht zu einem sanften Hinausgeleiten aus dem Leben macht, sondern zu einer Fahrt in der Geisterbahn, bei der der Schrecken an jeder Ecke lauert. Einen Satz aus Platons Dialog Phaidon aufgreifend, bemerkte Michel de Montaigne in seinem Essay Philosophieren heißt sterben lernen: „Wer die Menschen sterben lehrte, würde sie leben lehren.“ Man solle dem Tod den Schrecken durch ständige Auseinandersetzung mit ihm nehmen, ohne dass er allerdings das ganze Leben bestimmt. Nicht zuletzt würde uns schließlich auch die Natur zeigen, wenn unsere Zeit sich dem Ende neigt, indem sie uns nach und nach unsere Fähigkeiten nimmt. So konstatiert Montaigne lakonisch: „Hier ist ein Zahn, der soeben ausgefallen ist, ohne Schmerz, ohne Anstrengung: Es war das natürliche Ende seiner Dauer“. Der Philosoph sieht darin allerdings keinen erschreckenden Verfall, sondern vermag daraus sogar Beruhigung zu ziehen. Denn wer ganz geschwächt sterbe, für den sei der Tod nur noch ein halber. Schließlich hätte man den Rest seiner Lebenskraft ja bereits eingebüßt. Das Alter hat seine Tücken. Sie allerdings zu kennen, kann ihnen den Schrecken nehmen. •