Jean-Jacques Rousseau
Rousseau, ein Sensibelchen? Das ist das Eindruck, den er bei jenen hinterlassen mag, die seine Sensibilität missverstehen, welche sich weit über die Philosophie hinaus auch auf die Musik – denn er war auch Komponist – und die Literatur erstreckt. Es stimmt, dass der Genfer auf philosophischer Ebene nie aufgehört hat, Ungerechtigkeiten anzuprangern und über die wirklichen Bedingungen der Freiheit nachzudenken. Im 18. Jahrhundert, in dem der Glaube an den Fortschritt vorherrschte, bekräftigte er seinen ambivalenten Charakter, indem er im Herzen der Ideologie der Aufklärung die Ursachen für das Unglück der Menschheit identifizierte: Weit davon entfernt, die Menschheit zu befreien, läuft die Zivilisation Gefahr, sie zu versklaven.
Besonders sein 1762 erschienenes Werk Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes macht Rousseau noch immer so interessant. Darin definiert er den Menschen durch seine „Vollkommenheit“, die eine Konsequenz seiner Freiheit sei und uns für Veränderungen empfänglich mache, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Rousseau bekräftigt auch die ursprüngliche Güte des Menschen, der erst durch das Leben in der Gesellschaft korrumpiert wird. Es brauchte nicht mehr als das, damit Voltaire, sein bissiger Zeitgenosse, sich über ihn lustig machte, was zu einem sehr lebhaften Austausch führte: Ob Rousseau uns wieder alle auf allen Vieren gehen lassen wolle, insinuierte er immer wieder in zahlreichen Repliken. Rousseau ist jedoch weit davon entfernt, naiv zu sein und plädiert nicht für eine Rückkehr zu einem hypothetischen Naturzustand, der für ihn „ein Zustand ist, der nicht mehr existiert, der vielleicht nie existiert hat, der wahrscheinlich nie existieren wird“: Dieser berühmte rousseauistische Begriff des „Naturzustandes“ ist nur ein Gedankenexperiment, ein Versuch, die historische Entwicklung der Gesellschaft zu verstehen und die Bedingungen für ein harmonischeres Leben zu erfinden.
Denn Rousseau macht die (unglückliche) Feststellung: „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten“. Anschliessend legt er die legitimen Bedingungen für eine auf einem Vertrag beruhende politische Macht fest, bei der die Souveränität des Volkes vollständig und die Freiheit aller Bürger gewährleistet ist. Er schlägt daher vor, eine Form des Zusammenschlusses zu finden, die die Person und das Eigentum eines jeden Teilnehmers verteidigt und vor allen gemeinsamen Kräften schützt, und durch die jeder, wenn er sich mit allen zusammenschließt, dennoch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie bisher. Die Republik scheint ihm daher das Herrschaftssystem zu sein, das es nicht nur ermöglicht, nicht auf seine Freiheit zu verzichten, sondern auch deren tiefes Wesen zu offenbaren. Politische Freiheit ist möglich, das Volk hat die souveräne Macht!