Baruch de Spinoza
Wie können wir glücklich leben, wenn Freiheit nur ein Idealbild ist? Spinoza hat nicht nur versucht, dieses Paradoxon auf theoretische Weise zu lösen. Im Alter von 23 Jahren wird er wegen als häretisch eingestufter Schriften aus der jüdischen Gemeinde von Amsterdam verbannt, wird Opfer eines Attentats und flüchtet nach Den Haag, wo er seinen Lebensunterhalt als Linsenschleifer verdienen muss. Vorsichtshalber werden zu seinen Lebzeiten nur zwei seiner Werke veröffentlicht: ein Kommentar zu Descartes (Renati Descartes principiorum philosophiae) und der Tractatus theologico-politicus, welches rasch verboten wird. Doch nicht einmal derartige Rückschläge konnten den Mann entmutigen, der manchmal als „Philosoph der Freude“ bezeichnet wird.
In seinem Hauptwerk Die Ethik, stellt Spinoza die Sehnsucht (conatus) an die Basis von allem: „Alles strebt danach, in seinem Sein zu verharren.“ Das Grundgesetz des Lebens ist Wachstum und die Zunahme von Handlungsfähigkeit damit die einzige Tugend, die Glück bringen kann. Für Spinoza gibt es kein Gut oder Böse, nur Gut und Böse: Das Gute erhöht unseren conatus, das Böse engt ihn ein. Die menschliche Vernunft ist dieses Leitinstrument, das es uns ermöglichen soll, die Elemente auszuwählen, mit denen wir in Harmonie kommen und die uns gleichermaßen Freude bereiten.
Der Philosoph hat in seiner Zeit so sehr schockiert, weil er nicht in Bezug auf Transzendenz oder Werte, sondern in Bezug auf affektive Mechanismen dachte. Seiner Meinung nach sind alle Wesen Körper, die Affekte empfangen und an andere Körper (nützliche oder schädliche) weitergeben. Die Natur ist wie eine riesige Leinwand, auf der diese Kräfte wirken: Gegenstände und Lebewesen sind in einem Netz untrennbarer Verbindungen gefangen, die die Vernunft uns zu entschlüsseln lehren muss. Wir denken, wir sind frei, aber in Wirklichkeit handeln wir aus unsichtbaren Motiven, die wir nicht in der Hand haben. Die höchste Illusion, nämlich die Freiheit, sei nur „Unkenntnis der Ursachen, die uns bestimmen“, schreibt er in einem Brief an Schuller.
Der deterministische Denker Spinoza versichert, dass „der Mensch kein Imperium innerhalb eines Imperiums ist“. Aber warum hat Gott den Menschen keinen freien Willen gewährt? Diese Frage markiert eine weitere Übertretung des Denkers. Denn Gott, so Spinoza, stehe nicht außerhalb der Natur. Gott ist in der Tat ein und dasselbe mit ihr (Deus sive Natura, „Gott oder Natur“) und hat daher keine nur ihm eigenen Eigenschaften wie Güte oder Macht. Für Spinoza besteht die Welt nur aus Natur als einziger Substanz, die in unendlich vielen Variationen dekliniert wird. Eben die „Eigenschaften“ dieser Substanz, die ihr Wesen ausmachen. Geist und Materie sind eins. Spinoza ist somit einer der ersten Denker, der ein monistisches Weltbild verteidigt, in dem alles auf ein einziges Prinzip reduziert werden kann. Ganz im Gegensatz zum kartesianischen Dualismus, der die Seele vom Körper unterscheidet. Eine Auffassung, die den Verdacht des Atheismus gegen ihn erheblich verfestigt.
Spinoza erweitert seine Überlegungen zu Affekten und Freiheit in zwei Texten, die dem Thema Politik gewidmet sind. Er zählt zu den ersten westlichen Philosophen, die gedanklich einen Rechtsstaat entwarfen, der auf der Trennung von politischen und religiösen Mächten beruht und die Gewissens- und Meinungsfreiheit des Einzelnen garantiert. Die Handlungsmacht jedes Einzelnen muss sich kollektiv in einem politischen System ausdrücken können, das die Entscheidung der Mehrheit begünstigt. Spinoza stellt sich so gegen die Willkür der Tyrannen und die Manipulationen der Kleriker, die die traurigen Gefühle der Menschen nähren, um sie unter ihrem Joch zu halten. Der Philosoph starb im Alter von 44 Jahren an Tuberkulose.
Zitate
Das Unvermögen des Menschen, seine Affekte zu zügeln und und einzuschränken, nenne ich Knechtschaft
Alle Dinge geschehen aus Notwendigkeit; es gibt in der Natur kein Gutes und kein Böses