Warum Kant lesen?
Kant zählt zu den bedeutendsten Philosophen aller Zeiten. Zugleich gilt sein Werk als unzugänglich, trocken und gefühlskalt, zum Teil auch als rassistisch. Was hat uns dieser Klassiker heute zu sagen? Führende Stimmen aus Politik und Philosophie antworten.
Barbara Bleisch, Philosophin und Moderatorin der Sternstunde Philosophie
In Zeiten, in denen Influencer, Esoterikerinnen und Fanatiker an Einfluss gewinnen, scheint Kants Aufruf, sich mutig des eigenen Verstandes zu bedienen, zeitgemäßer denn je. Wir sollen selbst prüfen, was wir glauben. Doch schmücken nicht gerade Querdenker und Staatsverweigerer sich damit, gegen alle Widerstände selbst zu denken? Kant war sich bewusst, dass Aufklärung umschlagen kann in alles durchdringenden Argwohn: In seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht charakterisiert er die Paranoia nicht als Unvernunft, sondern als Übervernunft, als ein Zuviel an Rationalität: Jene, die „mit Vernunft rasen“, sind „oft so scharfsinnig in Auslegung dessen, was andere unbefangen tun, um es als auf sich angelegt auszudeuten“. Kein Wunder, dass daraus vermeintliche Zusammenhänge und krude Verschwörungstheorien resultieren, die jeder Faktizität entbehren. Wer rasend vernünftig ist, dem ist mit Mitteln der Vernunft schwer beizukommen. Denn der Irrsinn besteht eben nicht immer in einem Mangel, sondern manchmal in einem Überschuss an Vernunft: in der Sehnsucht, Komplexität zu reduzieren. Selbst zu denken, heißt aber gerade mit Kant, Komplexität auszuhalten.
Slavoj Žižek, Philosoph, internationaler Direktor des Birkbeck Institute for the Humanities, University of London
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Kommentare
Ich habe nur wenig Kant gelesen, das liegt mir von meiner Methode her fern.
Aber ich schätze, dass ich den kategorischen Imperativ gut weiterentwickelt habe.
Eine gedankliche Routine aus zwei Fragen:
"Sind ich und meine Gruppen wahrscheinlich befreit genug, und wenn ja, für wie lange wahrscheinlich?"
"Was zu versuchen ist dann wahrscheinlich das Beste für alle?"
Die erste Frage zielt auf die Bedingung zum Handeln für einen Einzelnen in einem Moment, wie auch für die Menschheit, als generellstes Mittel. Die zweite Frage zielt auf das Beste für alle als größten Zweck.
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There is a long standing quest for answering „What do?“ in a good general way.
The two relevant assumptions I make, are first or second, that a human existentially must ensure the own liberation from light and heavy ties, for example by taking a breath or by upholding a seemingly vital social system like the family or the UN, maybe tendentially even across all scales of one's groups, and second or first, that the individual human morally should attempt what seems to be best for all, because a society is imagined to work better if its people learn, think and act for all as long as they feel liberated enough to do so.
With this in mind I gradually grew a seemingly more efficient version of „What do?“, a set of questions, often usable as a start for thinking:
„Do I and my groups seem liberated enough?
If yes, for how long probably?
If so, what could I try that seems best for all?“
I am ill-qualified to firmly claim it, but I suspect, that this set of questions, if culturally established within one’s mind, could be a so-far closest approximation to what the philosopher Immanuel Kant called „the philosophers‘ stone“. He noted in a lecture: "Obviously the understanding can judge, but to give to this judgement of the understanding a power, to make it an incentive able to move the will to performance of an action -- this is the philosophers' stone." - The creation of a thought routine here is supposed to getting closer to moving the judgement to action.
In my (admittedly biased) mind it might be a useful foundation for ethics.
Ich danke für die Beiträge und die Möglichkeit, zu kommentieren.