Feministische Neuerzählungen: Regressiver als das Original?
Helena, Medea und Medusa – die griechische Mythologie erlebt in der feministischen Belletristik eine Renaissance. Doch sind die Ursprungsmythen bei näherem Hinsehen emanzipativer als ihre Adaptionen. Eine Kritik von Cara Platte.
Wie keine andere Epoche diente die Antike als Projektionsfläche für aktuelle politisch-gesellschaftliche Entwicklungen: Der junge Goethe sah in Prometheus die Verkörperung eines männlichen Genie-Ideals, das gegen alte Autoritäten wie Monarchie und Kirche aufbegehrt. Im Nationalsozialismus wurde das „rassische“ Schönheitsideal in eine Tradition mit Heroen wie Herkules oder Perseus gestellt, die das „Schwache“ längst hinter sich gelassen hätten. Nach dieser männlich konnotierten Rezeptionsgeschichte erlebt die Antike nun auch im feministischen Diskurs eine Renaissance – beispielsweise in Natalie Haynes Die Heldinnen von Troja oder Ich bin Circe von Madeline Miller. Das Marketing dieser Neuerzählungen: Sie seien „revolutionär“, „bahnbrechend“, „enthüllend“. Angeblich finde eine Aneignung jener Geschichten statt, die „Frauen zum Schweigen verurteilt“ hätten. Allerdings könnte es sein, dass sich hinter den Neuerzählungen nicht mehr als der Wunsch verbirgt, mächtiger zu sein, ohne es auf diese Weise aber wahrhaft werden zu können.
Simone de Beauvoir: Mythen & Macht
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Kommentare
Auch in anderen Kontexten wird das Vergangene, das zur GESCHICHTE geronnen ist, nicht mehr wirklich als das Fremde gesehen. Nicht mehr als das, was uns nicht umstandslos verfügbar ist. Diese umstandslose Adaption wird von der Autorin glänzend erfasst - und zurecht kritisiert. Wie der thematisierte feministische Zugriff auf antike Dramen die Offenheit antiker Dramen verfehlt, so gehen woke Zugriffe auf historische Persönlichkeiten fehl. Sie verkennen die historischen Verhältnisse oder kennen sie gar nicht, richten aber über historische Persönlichkeiten - ohne den eigenen zeitgeistigen Zugriff zu reflektieren, Kontingenzen über mehrere Ebenen zu beachten. In Analogie: Zuerst einmal ist dem antiken Drama in seiner fremden Einzigartigkeit gebührend Referenz zu erweisen. Ein Referenz, die häufig dem modernen Regietheater genauso abgeht wie einem theatralen Feminismus, der hinter seinen Möglichkeiten bleibt.