Marx
Sonderausgabe 32 - Frühling 2025Für die einen ist er der Wegbereiter des repressiven Realsozialismus, für die anderen scharfsinniger Analytiker des Kapitalismus und Vorkämpfer der Freiheit: Karl Marx. Er inspirierte Generationen und Revolutionen, wurde interpretiert und vereinnahmt. Seine Positionen bleiben umstritten: Ist der Lauf der Geschichte ihm zufolge festgelegt oder offen? Wie viel gestaltende Kraft bleibt für menschliches Handeln? Wie viel Dogmatismus steckt in Marx?
Die neue Sonderausgabe bietet Einblick in seine Licht-, aber auch Schattenseiten. Zweifelsohne: Marx‘ antisemitische und rassistische Auslassungen trüben das Bild des progressiven Denkers, Teile seiner Wirtschaftstheorie gelten längst als widerlegt und fokussiert auf europäische Fabrikarbeiter, überging er elementare Bestandteile des Kapitalismus: Versklavung und Zwangsarbeit sowie Haus- und Fürsorgearbeit, also die unbezahlte Arbeit von Frauen.
Zugleich war Marx ein genialer Philosoph-Ökonom-Soziologe, der die gewaltigen Umbrüche seiner Zeit zu durchdringen suchte. Die von ihm prognostizierte Überwindung der kapitalistischen Ordnung ist bisher ausgeblieben. Doch seine Beobachtungen zu Arbeit, Entfremdung und den Grundkonflikten unserer Gesellschaft haben nichts von ihrer kritischen Kraft verloren.
Marx liest man am besten in Krisenzeiten wie heute. Konkrete Antworten darauf, wie eine andere Welt aussehen könnte, findet man bei ihm nicht. Dafür aber den Anspruch, eine „Selbstverständigung (…) der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche“ zu schaffen. Marx wollte nicht die Zukunft entwerfen, sondern furchtlos das Bestehende kritisieren, um „aus der Kritik der alten Welt die neue (zu) finden“. Kann es uns gelingen – mit Marx und gegen Marx –, die Probleme der Gegenwart zu überwinden? Unsere neue Ausgabe lädt dazu ein.
Mit Christian Baron, Klaus Dörre, Silvia Federici, Rahel Jaeggi, Eva von Redecker, Gesine Schwan, Ines Schwerdtner, Uwe Wittstock u. v. m.
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Alle Texte in der Übersicht
Intro
Schätze und Irrtümer
Von Krisen und Ungleichheit bis zur Forderung nach einem Systemwechsel – unsere Zeit bietet viele Anknüpfungspunkte für die Beschäftigung mit Marx. Prominente Personen erzählen, welche Erkenntnisse, aber auch Trugschlüsse sie mit ihm verbinden

Uwe Wittstock: „In ökonomischer Hinsicht war Marx’ Leben ein Desaster“
Wie war Karl Marx als Mensch? Im Gespräch zeigt Uwe Wittstock ihn als jungen Dichter, selbstgewissen Revolutionär mit Geldsorgen – und nachdenklich gewordenen, kranken Mann, der nach Algier reist und sich seinen Bart abrasieren lässt.

Quellen der Inspiration
Keine Theorie kommt aus dem Nichts. Auch Marx baut auf bestehenden intellektuellen Strömungen seiner Zeit auf – und unterzieht sie zugleich schonungsloser Kritik.

1. Was bewegt die Geschichte?
Rahel Jaeggi: „Ideologien sind nur praktisch zu überwinden“
Noch immer leben wir im Kapitalismus. Ist Marx’ Geschichtsbild damit widerlegt? Nein, meint die Philosophin Rahel Jaeggi im Gespräch. Denn bereits Marx sah, dass gesellschaftliche Krisen unterschiedliche Ausgänge nehmen können.

Okkulter Materialismus
In Das Kapital spukt es, der Kommunismus ist ein „Gespenst“, und Dialektik wirkt wie Zauberei. War Marx ein Geisterseher?

2. Was ist falsch am Kapitalismus?
Kirstin Munro: „Man kann die Gesellschaft nicht in kleine Stücke zerlegen“
Marx entzauberte Kategorien wie Arbeit und Tausch und stellte sich damit gegen die Politischen Ökonomen seiner Zeit. Zugleich teilte er ihre Einsicht, Wirtschaft sei nur als Teil von Gesellschaft zu verstehen. Daran sollten wir anschließen, meint Kirstin Munro.

„Das Kapital“ in Bildern
In seinem bekanntesten Werk will Marx die Zusammenhänge der kapitalistischen Gesellschaft offenlegen und erklären, wie es in einem formal gerechten und freien System zu wachsender Ausbeutung kommt. Eine Skizze zentraler Konzepte und Thesen.

Maschinen ohne Eigenschaften
Führt KI zu Massenarbeitslosigkeit und Überwachung oder in eine Welt ohne Arbeitszwang und Armut? Beide Ansichten sind zu simpel. Bereits Marx betonte, dass die Folgen von Technik davon abhängen, in welcher Gesellschaft sie zum Einsatz kommt.

Exkurs: Besser leben ohne Marx?
Emanzipation vom Judentum?
Wiederholt argumentiert Marx antisemitisch, etwa wenn er Juden als Medium des kapitalistischen Geistes ausmacht. Doch der späte Marx liefert indirekt auch die Mittel zur Kritik des Antisemitismus.

Totalitäre Versuchung
Die Verheißung des Kommunismus endete mehr als einmal in Repression und Diktatur. Handelt es sich um einen Missbrauch von Marx’ Ideen? Für Philosophen wie Karl Popper und Judith Shklar sind die dunklen Auswüchse des Marxismus bereits im Denken seines Begründers angelegt.

3. Was heißt hier Klassenkampf?
Eine Frage der Klasse
Die Mittelschicht, heißt es oft, habe die Arbeiterklasse ersetzt. Doch die soziale Realität sieht anders aus, betont Christian Baron. Wer sie verstehen will, sollte am Begriff der Klasse festhalten.

Klaus Dörre: „Klassenhandeln ist nicht automatisch progressiv“
Marx’ proletarische Revolution ist ausgeblieben, doch Klassenkämpfe gibt es auch heute. Worin sie bestehen und wer sie austrägt, erklärt der Soziologe Klaus Dörre. Ein Gespräch über den Begriff der Klasse und den aktuellen Rechtsruck in der Arbeiterschaft.

Revolution statt Reform
Kämpfer der Gleichheit berufen sich gern auf Marx. Zu Unrecht, meint Branko Milanović . Denn Arbeiteraktivismus und Gewerkschaftsreformen sind für Marx nur Mittel zum Zweck. Das wahre Anliegen ist der Systemwechsel.

4. Was kommt nach dem Kapitalismus?
Bruno Leipold: „Marx’ zentrales Anliegen ist die Freiheit“
Wird Politik im Kommunismus überflüssig? Nein, meint Bruno Leipold, der das Bild vom antipolitischen Marxismus zu widerlegen sucht. Ein Gespräch über Marx als Republikaner, die Pariser Kommune und darüber, wie eine wirkliche Herrschaft des Volkes aussehen könnte.

Gegen jeden Utopismus
Der Kommunismus – eine Utopie? Für Marx war er das glatte Gegenteil: die Kritik jener Luftschlösser, die aus einer schlechten Wirklichkeit entspringen.

Ausblick: Nach Marx
Robin D. G. Kelley: „Die Plantage ist die erste moderne Fabrik“
Kapitalismus ohne Rassismus gibt es nicht, betont der Historiker Robin D. G. Kelley. Während Marx fast nur über weiße Industriearbeiter in Großstädten schrieb, gilt es, den Blick zu weiten – für Versklavung, Enteignung und Ausbeutung schwarzer Menschen und ihren Widerstand.

Vordenker der Ökologie
Marx gilt als Fortschrittsgläubiger, der die Natur dem Menschen unterwerfen wollte. Doch diese Lesart ist verkürzt, meint Heinrich Detering. Würde Marx heute an der Seite von Extinction Rebellion kämpfen?

Silvia Federici: „Ich betrachte die Welt aus der Perspektive der Reproduktion“
Karl Marx hatte einen blinden Fleck, so Silvia Federici. Er dachte jene Sphären nicht mit, in denen vor allem Frauen tätig sind. Ein Gespräch über die Produktivkraft weiblicher Körper als Fundament kapitalistischer Wertschöpfung.
