Der Lauf der Geschichte
Wie lassen sich schwere Krisen einordnen, welche Bedeutung haben sie für die Zukunft? Die Antwort hängt von den innersten Bewegungsgesetzen der Geschichte ab. Verläuft sie zyklisch, linear, dialektisch, disruptiv – oder gibt es gar nicht die Geschichte, sondern viele Geschichten? Ein Überblick.
Zyklischer Geschichtsverlauf
Nichts Neues unter der Sonne! Das ist der Kerngedanke des zyklischen Geschichtsverständnisses. Angelehnt an die ewigen Kreisläufe der Natur, wird das Weltgeschehen als die Wiederholung eines immer Gleichen interpretiert. So wie das Auf und Ab der Sonne, der Wechsel der Jahreszeiten oder der unendliche Prozess von Geburt und Tod werden Gesellschaften, Kulturen und politische Systeme als eine ewig gleiche Bewegung verstanden. Es wird nicht nur der Gedanke eines Fortschritts, sondern damit verbunden auch die Idee eines die Geschichte lenkenden Menschen abgelehnt. Das zyklische Geschichtsverständnis erweist sich als das älteste philosophische Geschichtsdenken. In unterschiedlichen Facetten wurde es bereits vor mehreren Tausend Jahren sowohl im asiatischen (Hinduismus) als auch im nordafrikanischen (Pharaonenreich) und europäischen (griechisch-römische Antike) Raum vertreten.
Polybios
(ca. 200–120 v. Chr.)
Polybios hat eine der ersten systematischen Universalgeschichten verfasst. In seiner historischen Auseinandersetzung meint er den natürlichen Zyklus auf politischer Ebene wiederzufinden. Politische Gemeinschaften seien demnach alternierend von Entstehung und Verfall geprägt. Von Polybios stammt das Konzept des Verfassungskreislaufs: Demnach artet jede Herrschaftsform in Gewalt aus und wird als Folge von einer anderen ersetzt. In einem unendlichen Zyklus gehen so Monarchie, Aristokratie und Demokratie ineinander über.
Friedrich Nietzsche
(1844–1900)
„Alles geht, alles kommt zurück, ewig rollt das Rad des Seins.“ Nietzsches Geschichtsverständnis ist geprägt von einer Ablehnung des zu seiner Zeit vorherrschenden Historismus. Jede Form von Geschichtsschreibung sei letztlich interessengeleitet. Er polemisiert deswegen gegen den Gedanken von Fortschritt, Weltprozess oder Menschheitsgeschichte. Dagegen setzt er das un- beziehungsweise überhistorische Denken kosmischer Zyklik, in der alles wiederkehrt. Die Handlungsmacht des Subjekts besteht darin, das Schicksal anzunehmen und offensiv zu bejahen.
Oswald Spengler
(1880–1936)
Nach Spengler entsprechen alle Kulturen einem Organismus. Konzepte wie Geburt, Tod, Jugend, Alter, Lebensdauer seien deswegen auf historische Prozesse übertragbar. Damit wendet der Philosoph sich gegen eine Vorstellung eines linearen Geschichtsverständnisses. Mit seiner Theorie stellt Spengler alle Kulturen auf einer strukturellen Ebene als vergleichbar dar. Eine Degradierung anderer, etwa indigener Kulturen als minderentwickelt war die Folge.
Prognose
Die Welt wird von einem stetigen Wechsel der Hegemonien, von einem Kommen und Gehen von Krieg und Frieden sowie von kontinuierlich variierenden Herrschaftsformen geprägt sein. Es wird immer Herrscher und Beherrschte, Ausbeuter und Ausgebeutete geben – der Mensch wird sich in seinem inneren Wesen nie ändern. Ökologisch bahnt sich mit dem Klimawandel eine Erhitzung der Welt an, auf die eine neue Eiszeit und dann eine neue Erhitzung folgen werden. Tier- und Pflanzenarten sterben und neue entstehen. Die Zeit strömt gleich dem Wechsel der Jahreszeiten dahin.
Linearer Geschichtsverlauf
Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Das lineare Geschichtsverständnis wird bestimmt von der Vorstellung einer kontinuierlichen Fortschrittsentwicklung und nicht selten von einer teleologischen Heilsvorstellung. Dabei wird Geschichte als Einheit im Sinne einer Weltgeschichte betrachtet. Wie keine andere Geschichtsvorstellung hat sie das Handeln und Denken der westlichen Moderne geprägt. Das Christentum war historischer Treiber für die Durchsetzung dieses Geschichtsverständnisses. Mit der Idee einer zeitlichen Bewegung vom Sündenfall hin zur Erlösung verstand es Geschichte als „Zeit natürlicher Reifung“. Alle religiösen Aspekte abstreifend, knüpfen die Aufklärung und der Deutsche Idealismus an diesen Gedanken an. Plädiert wird für eine durch die Vernunft geleitete Geschichte. Die positivistischen Naturwissenschaften übernahmen im 19. Jahrhundert das zukunftsgerichtete Fortschrittsdenken. Dabei wurde mit dem technischen Fortschritt auch ein gesellschaftlicher Fortschritt verbunden, der auf politischer Ebene bis heute als wesentliche Legitimationsfigur für politische Entscheidungen dient.
Immanuel Kant
(1724 – 1804)
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