Durch Negation geeint
In der neuen Asylverfahrensverordnung der EU offenbart sich eine Identitätskrise der Staatengemeinschaft, die bereits Jacques Derrida erkannte.
Es gibt zwei mögliche Erzählungen davon, was die neue Asylverfahrensverordnung der Europäischen Union mit sich bringen wird. Die erste, eine Selbstdarstellung des zuständigen Rates und der überwiegenden Mehrheit der beteiligten Minister, spricht von Ordnung und Sicherheit unter Einhaltung humanitärer Standards. Die zweite Sichtweise ist die der Kritiker, unter ihnen der Rat für Migration. Diese Seite zeichnet ein erschreckendes Bild, in dem sich die ohnehin katastrophalen Zustände an den europäischen Außengrenzen noch zu verschärfen drohen. Die Verordnung befördere eine „Entrechtung von Schutzsuchenden“ und verwehre ihnen „den Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren“, so die Kritik, die, schaut man genauer hin, berechtigt ist. Denn das, worauf man sich geeinigt hat, ist nicht weniger als das massenhafte Festsetzen von Geflüchteten unter inhumanen Bedingungen, und zwar abseh -bar für mehrere Monate. Dahinter steht die Idee, über die (Un-)Zulässigkeit von Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen zu urteilen, um diejenigen, die keine oder kaum Aussicht auf eine legale Bleibeperspektive haben, gar nicht erst ins Land zu lassen.
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