Balbina – die Unendliche
In einer entfremdeten Welt fühlt sich der Mensch gefangen in einer Existenz, die er selbst nie wollte. Die Musikerin Balbina vollzieht in ihrer Kunst den ultimativen Befreiungsschlag. Seit heute ist Balbinas neue Single Das Gefühl ist tot überall zu hören.
Diese Frau ist fremdbestimmt, eine Marionette. „Please don’t make me feel this way!“, singt sie flehentlich, während ihr ein halbes Dutzend gummibehandschuhter Hände grob ins Gesicht fasst. Schnitt, eine andere Szene, die Frau wird mit Fast Food gemästet, frisst brav die ihr vorgehaltenen Pommes. Beim Refrain schließlich liegt sie rücklings auf dem Boden, um sich eine Ansammlung historischer Telefone, und beantwortet im Sekundentakt jeden eingehenden Anruf. „Und dennoch sagst du ‚Ja‘, fast automatisch, manchmal unwiderruflich“, schreibt die Philosophin Avital Ronell in Das Telefonbuch. „Dass Du abnimmst, heißt, dass der Anruf durchgekommen ist. Es heißt mehr: Du bist sein Empfänger, stehst auf, um seinem Anspruch nachzukommen. Du weißt nicht, wozu Du aufgerufen wirst, und doch leihst Du dein Ohr.“ Wer abnimmt, ist abhängig. Das Hören ist immer gefährlich nahe am Gehorchen.
Hallo heißt der zu diesem Videoclip gehörige Song, und die marionettenhafte Frau heißt „Balbina“. So heißt auch die Frau, die sie erdacht hat, die sie im Video verkörpert, die sie einkleidet und inszeniert, die für sie die Texte schreibt und ihr ihre Stimme leiht: Balbina Monika Jagielska, geboren 1983 in Warschau, seit ihrem dritten Lebensjahr in Berlin zu Hause. Ihr erstes Album erschien noch unter ihrem Spitznamen „Bina“, aber seit 2014 veröffentlicht sie als „Balbina“, schreibt wundersam verschrobene Songs, die sich der Kategorisierung entziehen. Philosophischer Neo-Soul? Agit-Pop für das kommende Matriarchat? Krypto-Kinderlieder für Erwachsene? Vor allem aber: Wer ist diese in jeder Hinsicht des Wortes merkwürdige Frau, die sie interpretiert?
Eine betörende Mensch-Maschine
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