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Bild: picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com | GEORG HOCHMUTH

Interview

Marie-Luisa Frick: „Wir müssten aus der Durchseuchungsstrategie eine Tugend machen“

Marie-Luisa Frick, im Interview mit Svenja Flasspoehler veröffentlicht am 13 Januar 2022 8 min

Österreich will an einer allgemeinen Impfpflicht ab Februar festhalten. Gleichzeitig werden die Rufe nach einem Strategiewechsel lauter. Die Innsbrucker Philosophin Marie-Luisa Frick über ethische Implikationen, die humane Seite der Biopolitik und die Herausforderungen der Zukunft.

 

Frau Frick, „Die Impfflicht kommt“, versprach Bundeskanzler Karl Nehammer, der inzwischen selbst an Corona erkrankt ist, noch am Samstag, obwohl es Zweifel an Umsetzung und Durchsetzbarkeit gibt. Was sagt die Demokratietheoretikerin: Richtig so aus Ihrer Sicht? 

Ich war von Anfang an skeptisch, ob das wirklich so kommt. Die Impfpflicht war ja, vor dem Hintergrund des letzten Lockdowns im November, im Grunde ein Versprechen an die Gesellschaft: So weit wird’s nie wieder kommen. Inzwischen hat sich natürlich einiges verändert, auch durch die neue Virusvariante. Zudem hat es gesellschaftlich eine weitere Radikalisierung gegeben. Vor diesem Hintergrund sollte man die Lage noch einmal neu durchdenken. 

Inwiefern genau? 

Zwei Punkte sind zu unterscheiden. Das eine ist die politische Klugheit: Was mutet man einer Gesellschaft zu, die durch diese zwei Jahre wirklich zerrüttet ist? Verprellt man durch eine Impfpflicht vielleicht Menschen, die man sonst vielleicht noch erreichen könnte? Was bringt eine Pflicht, die nicht sofort effektiv durchgesetzt werden kann? Der zweite Aspekt ist der philosophisch interessantere. Denn wer die Impfpflicht als „ultima ratio“ präsentiert, übersieht, dass es durchaus Alternativen gäbe, die nicht weniger schlimm sind, aber trotzdem – oder genau deshalb – mit in den Blick genommen werden sollten. 

Welche Alternativen sind das? 

Bei jeder größeren Welle drohen Überlastungen der Gesundheitsversorgung. Man kann sich dafür entscheiden, eine solche Überlastung auch zukünftig in Kauf zu nehmen. Dann hätten Patienten weiterhin das Nachsehen, die nicht als so „dringlich“ eingestuft werden, auch wenn das schweren Schaden für diese Personen bedeuten kann. Das will niemand. Die andere Option neben einer Impfpflicht ist, die Gesundheitsversorgung dadurch zu schützen, dass man Covid-Patienten nicht wie bisher anderen Patienten vorzieht, in dem man Operationen absagt und ganze Stationen freihält. Es würde dann nicht mehr so getan, als sei Covid die einzige, die prioritäre Erkrankung. Stattdessen müssten jene, die auf eine Schutzimpfung bewusst verzichten, ihre viel beschworene Eigenverantwortung wirklich ernst nehmen. 

Was hieße das konkret? 

Das hieße, dass wir den aus Überzeugung Ungeimpften klarmachen: Leute, ihr geht ein Risiko ein. Denkt euer Handeln – bzw. euer Nichthandeln – zu Ende und akzeptiert, dass die Gesellschaft nicht mehr bereit ist, eure Wettkosten („mich wird es schon nicht schwer erwischen“) zu tragen und diese Opfer für euch zu bringen. Ich glaube, wenn man mit Impfkritikern diese Option ehrlich diskutiert, dann würden vielleicht manche sagen: Einverstanden, das ist meine Entscheidung und ich übernehme dafür die Verantwortung. Dann möchte ich aber auch nicht weiter behelligt werden. Und vielleicht würden manche sagen, im Lichte dieser Alternative ist eine Impflicht nicht der schwerstmögliche Grundrechtseingriff. Darum geht es: die Diskussion breiter zu führen und nicht auf „Impfpflicht ja oder nein“ zu verkürzen. 

Das hieße aber auch, dass Geimpfte Nicht-Geimpften im Zweifelsfall vorgezogen würden? Denn auch Geimpfte werden ja weiterhin in Krankenhäusern behandelt werden müssen. 

Genau das hieße es, wohlgemerkt nicht unter Normalbedingungen, sondern nur unter Bedingungen des drohenden Versorgungskollapses. Genauso wie eine Impfpflicht wäre aber auch diese Alternative umsetzungstechnisch herausfordernd.  

Wie ist die Stimmung in Österreich? Sind die Protestbewegungen gegen eine Impfflicht ähnlich zu denen hier in Deutschland? 

Ich denke, die Situation hier ist noch angespannter. Die zweitgrößte Oppositionspartei (FPÖ) stellt sich an die Front dieser maßnahmenkritischen Bewegung und bietet sich diesen ganz unterschiedlichen Gruppen als Beschützerin vor diesen angeblich sinisteren, betrügerischen Eliten an. Esoterische Hippies demonstrieren wie in Deutschland Seite an Seite mit Rechtsextremen, die Mehrzahl freilich sind sogenannte normale Bürger, die von Regierungskritik immer stärker hin zu Systemfeindlichkeit verleitet zu werden Gefahr laufen. 

Was ist der Grund dafür, dass die Corona-Politik und die Impffrage die Gesellschaft auch in Österreich so sehr spaltet? 

Eine Mehrheit hat die Geduld mit den Maßnahmen und Impfgegnern verloren, diese wiederum fühlen sich in die Enge getrieben und existenziell bedroht. Im Hintergrund und vielfach quer zu dieser Kluft verbreitet sich grundlegendes Systemmisstrauen, das sich auch über die letzten Jahre aufgebaut hat. Die Undurchsichtigkeit der komplexen Welt lässt viele Menschen befürchten, dass hinter den Kulissen gegen ihre Interessen gehandelt wird. Das hat auch damit zu tun, dass sie oft nicht nachvollziehen können, wie Entscheidungen getroffen werden oder warum man Entscheidungen plötzlich wieder revidiert. Intransparenz, Ohnmacht und oft auch schlichte Inkompetenz der politischen Entscheidungsträger ist ein gefährlicher Mix. Unser Gesundheitsminister hat noch vor wenigen Tagen gesagt: Die Impfpflicht kommt wie geplant im Februar. Dann hat er Widerspruch erhalten von den Technikern, die das Impfregister vorbereiten sollen: Es ist unmöglich, ein solches System bis Februar auf die Beine zu stellen. Da hat man das Gefühl: Es sind Menschen am Ruder, die nicht wissen, was sie tun. 

Stichwort Impfregister: Können sich Kritiker solcher Maßnahmen auf Michel Foucault berufen, der bereits in den 1970er Jahren biopolitische Maßnahmen analysierte? Die zeitgenössische zunehmende digitale Erfassung, die der Erhaltung von Leben und der Regulierung des kollektiven Gesundheitsniveaus dient, lässt ja durchaus an Foucaults Schrift „Der Wille zum Wissen“ denken.  

Foucault liefert eine in den großen Zügen interessante Analyse des modernen Staates, dessen Aufgaben sich geändert haben … 

… die Macht richtet sich nicht mehr auf den Tod respektive seine Androhung, sondern auf das Leben. 

Mit Foucault gedacht vollzog sich in der späten Neuzeit eine Transformation, nämlich von einem eher zurückhaltenden Staat hin zu einem Staat, der sich aktiv und wissenschaftsbasiert interessiert für die Gesundheit der Menschen, der sich interessiert für Demographie, der sich interessiert für soziale Beziehungen. Das kann natürlich ins Totalitäre kippen. Und diese Kritik ist wichtig. Aber ich glaube es wäre verfehlt, aus den kulturgeschichtlichen Thesen Foucaults unmittelbar normativ-politische Schlüsse zu ziehen oder beim Wort „Biomacht“ sogleich in Staatsphobie zu verfallen. Wir können froh sein, in einem Wohlfahrtsstaat zu leben – und dieser ist immer auch ein biomächtiger Staat. Die Frage ist ja: Zu welchem Zweck wird Macht, auch Biomacht, verwendet? Es wäre falsch, pauschal zu sagen: Dieser böse moderne Staat rückt uns auf die Pelle oder will uns disziplinieren. Nein, es gibt schon gute Gründe, warum der Staat sich für gewisse Dinge als zuständig erachtet. Nehmen Sie die Kinderrechte: Ein vormoderner Staat hätte sich nie dafür interessiert, ob Kinder geschlagen werden. Oder was mit Frauenkörpern passiert im Privaten. Das macht unser Staat heute und das ist auch ein Teil der Biomacht. 

Wie erklären Sie sich, dass der Verweis auf die Biomacht, der ehemals politisch klar links verortet war, heute zunehmend von rechts kommt? 

Da muss man genau hinsehen, zumal ich nicht glaube, dass Foucault wirklich immer gelesen wurde, nur weil man vielleicht das Wort „Biomacht“ verwendet. Rechte liebäugeln sehr stark mit einem biomächtigen Staat, wenn es etwa um die Kontrolle der Reproduktion der Frau geht oder um Fragen der Zuwanderung. Und tatsächlich waren es ja am Anfang rechte Kräfte, die gesagt haben: „Grenzen zu, wir müssen uns schützen vor dem Virus aus dem Ausland“. Das hat sich mit der Zeit verändert, was mit politischer Taktik und in Österreich auch mit den innenpolitischen Zerwürfnissen der jüngeren Vergangenheit zu tun hat. 

In Interviews aus dem vergangenen Jahr haben Sie die Impfprivilegien kritisiert. Was halten Sie von der Einführung des „Grünen Passes“ in Österreich? 

Ich habe vor Schnellschüssen und falschen Hoffnungen gewarnt. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass zwei Ziele in diesen Maßnahmen zusammengeworfen wurden, die zu trennen sind. Einerseits wollte man Impf-Anreize setzen, dadurch, dass man Nicht-Geimpfte unter Testpflicht stellt. Andererseits wollte man signalisieren, dass von denen, die den „Grünen Pass“ haben und also genesen, geimpft oder getestet sind, kein großes Infektionsrisiko ausgeht. Letzteres aber war im Frühjahr schon mit der herannahenden Deltawelle nicht mehr aktuell und gilt jetzt mit Omikron überhaupt nicht mehr. Das heißt, man müsste sich für alle Maßnahmen neu überlegen: Welche Ziele wollen wir damit erreichen? Will ich die Ungeimpften bedrängen oder will ich Sicherheit schaffen im Sinne der Infektionsvermeidung? Beides geht offenbar nicht so einfach zusammen, denn die Impfung trägt zu dieser Sicherheit nicht mehr bei. 

Für mich selber schon, insofern ich wahrscheinlich nicht mehr schwer erkranke, aber für andere ist sie kein Schutz, richtig? 

Wenn ich als geimpfte Person im Jahr 2022 andere nicht anstecken möchte, darf ich mich auf meinen Impfstatus nicht verlassen, sondern sollte testen und Maske tragen. Der Aspekt, dass Impfungen zum Glück offenbar noch immer gut vor schwerer Krankheit schützen, ist aber nicht zu unterschätzen: Eigennutz ist hier sehr wohl Fremdschutz, und zwar dann, wenn Geimpfte tendenziell seltener mit anderen im Krankenhaus um begrenzte Ressourcen konkurrieren. Darin liegt letztlich die einzige tragfähige Begründung einer möglichen, durchaus auch altersabhängigen, Impfpflicht. 

Nun gibt es unter Experten vermehrt Stimmen, die ein noch radikaleres Umdenken fordern: Angesichts von Omikron, das in der Regel mit milden Verläufen einhergeht, aber sehr ansteckend ist, sei die Durchseuchung das Mittel der Wahl. Welche ethischen Implikationen wären damit verbunden?

Pandemiestrategien sind immer Kosten-Nutzen Abwägungen. Am Anfang der Pandemie hat es zu Recht Kritik gegeben am Durchseuchungskonzept etwa im Vereinigten Königreich oder in Schweden, weil die Kosten – die Opfer – Großteils vermeidbar gewesen wären, hätte man rechtzeitig Maßnahmen gesetzt. Jetzt ist die Situation eine andere: Wir können Omikron nicht mehr aufhalten, Durchseuchung wäre bzw. ist scheinbar unvermeidbar. Aber wir haben Impfstoffe, die schützen. Die „Kosten“ sinken damit, der Nutzen – mehr Herdenschutz? – bleibt vorerst nur eine Hoffnung. Und natürlich wird es Opfer geben. Aus den USA wird gemeldet, dass so viele Kleinkinder wie noch nie seit Pandemiebeginn in den Kliniken behandelt werden müssen. Augen zu und ohne Gegenwehr durchseuchen lassen wäre aus meiner Sicht diesen und anderen unfreiwillig nicht geschützten Personen gegenüber rücksichtslos und nicht ethisch vertretbar. Die Frage ist nur: Was kann man tun? 

Mit der Durchseuchung hängt auch ein grundlegender Paradigmenwechsel zusammen: In den Vordergrund träte das Geschehenlassen, also eine passive Haltung, die eigentlich nicht zum technisierten 21. Jahrhundert passt. Was heißt das?

In dieser Pandemie zeigen sich deutlich die Grenzen des Machbaren. Nehmen Sie China: Die Zero-Covid-Strategie wird dort mit Omikron nicht mehr funktionieren. Wir stehen quasi mit dem Rücken zur Wand, und müssten jetzt aus dieser Durchseuchungsstrategie eine Tugend machen. Wir können offenbar nicht dauerhaft verhindern, dass diese Wellen auf uns zurollen, wir können nur versuchen, dass der Blutzoll gemindert wird. Das müssen wir uns eingestehen, aber auch weiterhin mit aller Kraft versuchen. Mit diesem Virus leben wird auf lange Sicht bedeuten, gegen dieses Virus zu leben. •

 

Marie-Luisa Frick ist Professorin für Philosophie an der Universität Innsbruck. Zu ihren Forschungsfeldern zählen Wissenschaftstheorie, Ethik und politische Philosophie. Zuletzt erschien ihr Buch „Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess“ (Reclam 2020).

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