Ralf Konersmann: „Der Außenseiter ist ein ständiges Rätsel“
Menschen, die ein nonkonformistisches Leben führen, verstören die moderne Gesellschaft, meint Ralf Konersmann. In seinem neuen Buch ergründet der Philosoph, welche Funktion diese Einzelnen für die Allgemeinheit haben. Ein Gespräch über das Außenseiterdasein, konformistische Rebellen und die Enge der Gemeinschaft.
Herr Konersmann, Sie haben ein Buch über Außenseiter geschrieben. Von wem oder was genau handelt Ihr Essay?
In meinem Essay habe ich die Frage, wie man den Außenseiter definieren könnte, erst einmal auf sich beruhen lassen. Die Definitionen der einschlägigen Handbücher gehen auf Vorannahmen zurück, die aus meiner Sicht zu prüfen bleiben. Statt also mit einer Definition einzusteigen, die allenfalls am Ende stehen könnte, habe ich mich gefragt, was das für eine Gesellschaft ist, die Außenseiter hervorbringt – Leute, mit denen umzugehen dieser Gesellschaft schwerfällt und an denen sie sich abarbeitet. Was also sind die sozialen Umstände, die den Außenseiter auf den Plan gerufen haben? Der Begriff kommt erst um 1800 auf und braucht danach noch eine Weile, um in die Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse einzugehen. Dieses späte Aufkommen des Begriffs ist ein aufschlussreiches Indiz. Offenbar haben wir es mit einem historisch jungen Phänomen zu tun, das untrennbar mit der modernen, liberalen Gesellschaft verknüpft ist, wie sie aus den Revolutionszeiten hervorgegangen ist.
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