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Bild: Patrik Wolters (CC BY-SA 3.0)

Interview

Leon Botstein: „Sie blieb immer Außenseiterin“

Leon Botstein, im Interview mit Catherine Newmark veröffentlicht am 06 Juni 2016 7 min

Charismatisch, humorvoll, warm – Hannah Arendt blieb zwar zeitlebens Außenseiterin im akademischen Betrieb der USA, aber auf Studenten hinterließ sie bleibenden Eindruck. Der bekannte Dirigent Leon Botstein, Präsident des Bard College, Student und später Freund von Hannah Arendt, erinnert sich.

Philosophie Magazin: Herr Botstein, wann haben Sie Hannah Arendt kennengelernt? 

Leon Botstein: Im Herbst 1963, in Chicago, wo sie ab 1963 bis 1967 einen Lehrstuhl innehatte. Der Anlass war ein Vortrag, den sie über ihr Buch zu Eichmann in Jerusalem gehalten hat und zu der großen Kontroverse darüber, die insbesondere in der jüdischen Gemeinde seither geführt wurde. Viele warfen ihr ja vor, dass sie mit ihren Passagen über die unheilvolle Rolle der Judenräte die Opfer zu Tätern gemacht hätte. Mein Großvater aber war selber Überlebender des Warschauer Gettos, ein russischer Jude aus Lodz, der in Heidelberg und Berlin Philosophie und politische Ökonomie studiert hatte, ein sehr gebildeter und interessanter Mann. Und als ihre Artikel zum Eichmann-Prozess im New Yorker herausgekommen sind, hat er zu mir gesagt, das sei die einzige richtige, bedeutende Analyse zum Holocaust, das müsse ich lesen. 

Und das trotz der Kritik an den Judenräten? 

Gerade deshalb. Ihm hat dieses Motiv einer sozusagen „unbewussten“ Mitarbeit auch jüdischer Organisationen sehr eingeleuchtet. Er hatte das selbst genau so erlebt: Als die Deutschen nach Lodz kamen, wo er ein reicher Industrieller war, wurde er gefragt, ob er nicht die Stelle als Leiter der jüdischen Gemeinde übernehmen wolle. Und er hat intuitiv verstanden, dass daraus nichts Gutes erwachsen könnte, und ist untergetaucht und auf die russische Seite geflohen. Später ist er, das war ein Fehler, nach Warschau zurückgekehrt und kam dann ins Getto. Aber in Lodz hat er jedenfalls sofort klar gesehen, dass diese Vorstellung von vielen jüdischen Gemeinden, sie könnten das Schlimmste verhindern, wenn sie kooperierten, nicht funktionieren würde. Dass das nicht helfen würde – im Gegenteil. Das Beispiel meines Großvaters zeigt, dass die Reaktionen von jüdischer Seite auf das Eichmann-Buch durchaus auch unter- schiedlich ausfielen. 

Wie war Ihr erster Eindruck von Hannah Arendt? 

Sie war ausgesprochen freundlich zu mir – ich war 16 Jahre alt, gerade ins College gekommen. Nach dem Vortrag ging ich zu ihr und habe ihr die Geschichte meines Großvaters erzählt, und wie sehr er ihre Arbeit schätzt. Und sie hat mich im Gegenzug gefragt, was ich studiere, und mir angeboten, in ihre Sprechstunde zu kommen. Ich fing gerade erst an, und wollte neben meiner Musik auch andere Dinge studieren, sie hat mir bei der Orientierung geholfen. Ich ging in ihre Vorlesungen und durfte sogar an ihren Seminaren für Master-Studierende teilnehmen – ich saß natürlich nur ganz still dabei und habe zugehört. Und sie hat mir empfohlen, bei Leo Strauss und Paul Tillich zu studieren, also zwei anderen bedeutenden deutschen Emigranten in Chicago. Sie hat mir auch sehr geholfen, als ich eine Arbeit über Max Weber schreiben wollte. Ich hatte eine Reihe von Fragen über Max Weber und das Jahr 1919, die sie selber nicht beantworten konnte, und sie meinte, sie würde Karl Jaspers schreiben, der kenne sich da aus. Darum gibt es auch diese Briefstelle an Jaspers über mich. Ich bin dann allerdings nicht zu Jaspers gegangen, wie sie es vorschlug, weil ich doch die musikalische Laufbahn gewählt habe.

Und Sie blieben auch nach Ihrem Studium in Kontakt?

Ja, wir blieben in Kontakt und es entwickelte sich eine Freundschaft. Am Anfang war ich nur ein sehr eifriger und schüchterner Schüler. Aber danach wurde der Austausch enger, sie war sehr warm zu mir. Ich wurde sehr jung, mit 23, erstmals Präsident eines College, und als dann 1975 die Stelle des Präsidenten am Bard College frei wurde, wo ihr Mann Heinrich Blücher lange gelehrt hatte und wo beide auch begraben sind, da hat sie ihren Einfluss geltend gemacht und mir geholfen, diese Stelle zu bekommen. Sie plante, im akademischen Jahr 1976/77 nach Bard umzuziehen, über Ästhetik zu schreiben und mir nebenbei zu helfen, die Institution aufzubauen. Aber dann ist sie sehr plötzlich gestorben. Sie war beim Abendessen mit Salo Baron und es ging blitzschnell, Gott sei Dank. Aber es war natürlich ein furchtbarer Schock, ich hatte damit überhaupt nicht gerechnet. Wenige Wochen zuvor hatte ich noch mit ihr gegessen, wir haben über ihr letztes Werk gesprochen, diese an Kant angelehnte Trilogie, die später als Vom Leben des Geistes veröffentlicht wurde. Sie hatte schon an Das Denken und Das Wollen gearbeitet und mich für den geplanten dritten Teil, Das Urteilen, gebeten, die Vorlesungsmanuskripte von Heinrich Blücher, der sich viel mit Fragen der Ästhetik und der Urteilskraft beschäftigt hatte, zu lesen und ihr meine Meinung dazu zu sagen. Ich fand, dass daraus nichts zu machen sei, dass sie ganz neu anfangen müsse. Sie war derselben Meinung.

Um nochmals zeitlich etwas zurückzugehen: Sie haben Hannah Arendt in den frühen Sechzigern, also mitten in der Zeit der Eichmann-Kontroverse kennengelernt. Wie haben Sie ihre Reaktion auf diese Kontroverse wahrgenommen?

Als sehr kämpferisch. Das war sie ja grundsätzlich, nicht nur im Falle der Eichmann-Debatte. Man sieht das auch schon an ihren Frühschriften. Und sie hat beispielsweise auch zur zionistischen Bewegung eine scharfe Position eingenommen. Das war ihr Stil, das kann natürlich auch zu einem falschen Eindruck führen bei Lesern. Sie hat sicher auch eine gewisse Arroganz gehabt, und manchmal nicht darauf geachtet, wie sie öffentlich wirkt.

Wie war Hannah Arendt als Lehrerin? Wie wirkte sie auf Sie als jungen Studenten?

Sie war sehr charismatisch. Wenn sie unterrichtete, das hatte etwas von einem Schauspiel. Ich hatte den Eindruck, man könne ihr beim Denken zusehen. Wenn man eine Frage stellte, dann kam nicht einfach eine Antwort, die sozusagen fertig war und nicht erkennen ließ, woher die Einsicht rührte, wie bei vielen anderen Lehrern. Ihre Art zu denken wirkte vielmehr transparent, man konnte seiner Entstehung beiwohnen. Sie hatte die Fähigkeit zu improvisieren, ihre Argumente vor Publikum zu entwickeln. Die Stimmung in ihren Seminaren war auch viel freier als bei manchen ihrer Kollegen – bei Leo Strauss hat zum Beispiel niemand gewagt, eine Frage zu stellen. Bei Hannah Arendt war das dagegen durchaus möglich. Sie hat Humor gehabt, sie konnte unglaublich gut und laut lachen. Und sie hat eine gewisse Wärme ausgestrahlt. Interessanterweise erinnere ich mich daran vor allem mit Blick auf ihren Aus- tausch mit Männern – aber das mag auch daran liegen, dass in ihren Seminaren damals fast nur Männer waren.         

Was ist aus ihren Studenten geworden? Hat Arendt in der akademischen Landschaft der USA ihre Spuren hinterlassen?

Die meisten, für die sie wichtig wurde, haben nicht bei ihr studiert, sondern schlicht ihr Werk gelesen, teilweise auch erst viel später. Sie hat keine Schule aufgebaut, sie war nicht systematisch in dem Sinne. Das war ein Unterschied zum Beispiel zu Leo Strauss, der hat eine Schule aufgebaut. In seinen Seminaren saßen seine Anhänger. Bei Hannah Arendt gibt es keine Nachfolger in diesem Sinne eines akademischen Schulzusammenhanges.

Woran liegt das?

Also nicht daran, dass sie ihre Studierenden nicht gefördert hätte – sie war sehr zugewandt, wenn sie hoffnungsvolle junge Leute traf. Aber sie blieb eben, selbst als Professorin, Außenseiterin. Sie hat lange keine Stelle bekommen – die erste richtige Stelle war diejenige in Chicago, ab 1963, da war sie fast 60. Und die war ja nicht in Philosophie oder Politik, sondern in einer merkwürdigen Abteilung namens Committee on Social Thought.

Hatte dieses Außenseitertum vor allem mit der Biografie und der Exilerfahrung zu tun oder auch damit, dass sie in einer noch ziemlich männlich geprägten akademischen Welt eine Frau war?

Beides. Arendt war sich dessen schon bewusst, dass sie auch aufgrund ihres Geschlechtes randständig war. Als man ihr beispielsweise die Albert-Schweitzer-Professur an der State University of New York angeboten hat, da hat sie zu mir gesagt: „Die haben sie mir nur gegeben, weil ich eine Frau bin; sie schätzen nicht, was ich tue.“ Mitunter konnte sie sehr zynisch sein. Aber sie hat keinen wirklichen Bezug zum Feminismus gehabt. Sie war da ganz wie meine Mutter – die war Professorin für Pädiatrie, hat aber für die wie man es damals nannte „weibliche Frage“ überhaupt kein Interesse gehabt. Sie hat gesagt: Entweder ist man Arzt oder Frau. So waren viele in der Generation. Nach heutigen Kriterien sehr emanzipierte, unabhängige Frauen, aber keine Feministinnen.

Auch als Frau und Außenseiterin war Hannah Arendt aber doch auch schon zu Lebzeiten wirkmächtig. Mit ihrem Buch über den Totalitarismus oder eben auch mit der großen Debatte, die ihr Eichmann-Buch aus- gelöst hat.

Ja, sie wurde irgendwann sehr berühmt. Aber das heißt nicht, dass man sie in akademischen Zirkeln wertschätzte. Als ich in Harvard in Geschichte promovierte, hat man die Bücher von Hannah Arendt immer noch mit sehr spitzen Fingern angefasst und als bloßen „Journalismus“ abgetan. Als Philosophin hat man sie nicht ernst genommen. Isaiah Berlin hat zu mir mal gesagt, sie sei „the most overrated intellectual of the 20th century“. Aber solche Dinge sagte nicht nur er – ich hatte immer den Eindruck, dass sie von ihren Zeitgenossen unterschätzt wurde. Und ehrlich gesagt hatte ich nach ihrem Tod große Sorge, dass sie sehr schnell vergessen werden würde. Aber das ist ja dann, Gott sei Dank, ganz anders gekommen. •


Der Dirigent, Musikwissenschaftler und Autor Leon Botstein (*1946 in der Schweiz) ist als Kind ostjüdischer Überlebender in New York aufgewachsen. Er ist Chefdirigent des American Symphony Orchestra, Ehrendirigent des Jerusalem Symphony Orchestra, Präsident des Bard College Berlin und – schon seit 1975 – Präsident des Bard College in New York, jener privaten Hochschule, an der Arendts Mann Heinrich Blücher lange gelehrt hat und wo auch Hannah Arendt begraben ist. Hannah Arendt lernte er 1963 an der University of Chicago kennen und blieb ihr bis zu ihrem Tod 1975 freundschaftlich verbunden

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