Terry Pinkard: „Der Geist sind wir“
Kritiker sehen Hegels Geschichtsphilosophie als eine Theorie des unvermeidlichen Fortschritts. Eine tiefgreifende Missinterpretation, meint Terry Pinkard. Im Interview erläutert er, wie Hegels Blick auf die Geschichte von einem subtilen Verständnis der menschlichen Natur geprägt ist.
Philosophie Magazin: Herr Pinkard, von allen Teilen des hegelschen Systems scheint die Geschichtsphilosophie noch immer am wenigsten Beachtung zu finden. Warum ist das so?
Terry Pinkard: Ich denke, dass ein Grund sicher folgender ist: Da jeder glaubt, etwas über Hegel zu wissen, gibt es wenig Motivation, sich wirklich mit seinen Ideen auseinanderzusetzen. Jeder kennt Hegels angebliche Ansicht, dass die Geschichte durch den Dreischritt von These, Antithese und Synthese voranschreitet. Und natürlich soll er geglaubt haben, dass die Geschichte ein klares Ziel hat und sie irgendwann um 1807 endet, wenn sie dieses Ziel erreicht hat. Obwohl diese Ansichten völlig falsch sind, halten sie viele davon ab, tatsächlich einen Blick in Hegels Werke zu werfen.
In Ihrem Buch Does History Make Sense? argumentieren Sie allerdings, dass Hegels Geschichtsphilosophie auch dann oft missverstanden wird, wenn sie Beachtung findet. An welche Fehlinterpretationen denken Sie hier?
Zunächst einmal gibt es Denkerinnen und Denker wie Francis Fukuyama, die eine Art empirische Studie der Geschichte durchführen und versuchen, ein Gesetz aufzustellen, von dem sie glauben, dass es die Geschichte beherrscht. Bei dem Gesetz handelt es sich eigentlich um eine Adaption der alten Ansicht, dass Menschen von Natur aus eine bestimmte Art von Ruhm und Macht über andere Menschen anstreben. Und in der modernen liberalen Demokratie, so heißt es, haben wir einen Weg gefunden, dieses Bestreben zu zähmen. Es gibt also ein empirisches Gesetz, das wir vermeintlich bestätigen können. Aber ich glaube nicht, dass Hegel nach empirischen Gesetzen der Geschichte in dem Sinne sucht, wie Fukuyama meint. Dies ist eine weitverbreitete Fehlinterpretation von Hegels Geschichtsphilosophie. Eine andere ist jene, die ich als metaphysische Sichtweise oder schlicht „faule Lesart“ bezeichne.
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