Theorien des Krieges
Wer einen Krieg führt, findet immer eine Rechtfertigung. Aber für welchen Zweck ist Krieg ein legitimes Mittel? Sechs philosophische Positionen, die um die richtige Deutung des Krieges ringen.
Platon (428-348 v. Chr.)
Ein Krieg aus Habsucht ist illegitim.
Platon ist einer der ersten Denker, der sich mit Krieg und Frieden auseinandergesetzt hat. Er unterscheidet zwischen zwei Arten des Krieges: den äußeren Krieg (polemos), der sich gegen Feinde des Staates richtet, und den inneren Krieg (stasis), bei dem sich Staatsbürger bekämpfen. Während Platon den innerstädtischen Krieg ablehnt und die Wahrung des Friedens als oberstes Anliegen der Politik deklariert, hält er den Krieg gegen nicht zur Polis Zugehörige für gerechtfertigt. Dabei unterscheidet er zwischen Freunden und Feinden. In der Auseinandersetzung mit Fremden – den Barbaren – ist ein Angriffskrieg ohne Einschränkungen gerechtfertigt. Im Konflikt mit befreundeten, griechischen Stadtstaaten dagegen plädiert er für eine Regulierung des Krieges und beschreibt damit als erstes eine Art Kriegsrecht. Dabei unterscheidet er zwischen legitimen und illegitimen Kriegen: Legitim ist ein Krieg, um die Ordnung eines Staates zu verteidigen. Aus Habsucht entstandene Kriege sind illegitim, aber aufgrund der Gier des Menschen nicht zu verhindern. In seinem Werk Politeia heißt es entsprechend: „Krieg ist in Analogie zur Krankheit nicht wünschenswert, nicht natürlich, aber praktisch schwer vermeidbar, daher ist ständige Vorbereitung und Übung notwendig.“
Niccolò Machiavelli (1469-1527)
Krieg ist eine reine Machtfrage und hat mit Moral nichts zu tun.
Für den wohl bekanntesten politischen Theoretiker der Renaissance Niccolò Machiavelli war Krieg jenseits jeder moralischen Bewertung und eine reine Frage der Macht. Die siegreiche Kriegsführung sieht er als Ausdruck der Legitimität des herrschenden Souveräns und als Garant für die innere Ordnung des Staates. „Eroberungssucht“ – so Machiavellis nüchterne Einschätzung in Der Fürst – „ist eine ganz natürliche wie verbreitete Eigenschaft.“ Durch seine normfreie Betrachtung des Krieges verschiebt er den Schwerpunkt weg von der Frage nach einem gerechten Krieg hin zu der theoretischen Erörterung, wie ein Krieg erfolgreich geführt werden sollte. Diese relativistische Position ergibt sich aus der Überzeugung Machiavellis, dass es über den kriegführenden Parteien kein korrigierendes Recht gibt, dass die moralische Bedeutung des Krieges bewerten könnte. Der Krieg erhält bei Machiavelli einen instrumentellen Charakter und erweist sich dabei als ein zu erlernendes Handwerk.
Immanuel Kant (1724-1804)
Der ewige Frieden ist das oberste politische Ziel.
Ein Krieg entbehrt jeder Vernunft. Die Grundlagen der kantischen Moral legen fest, dass kein Mensch als ein Mittel zum Zweck geopfert werden darf. Trotz dieser starken Verurteilung gewalttätiger Auseinandersetzungen, beschreibt der Aufklärer sowohl den zwischenstaatlichen als auch den zwischenmenschlichen Naturzustand als kriegerisch. In seinem Werk Zum ewigen Frieden schreibt er: „Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist.“ Zur Überwindung des Naturzustands beruft er sich auf eine Ordnung der öffentlichen Gerechtigkeit. Das höchste politische Ziel ist die Herstellung eines ewig andauernden Friedens. Dieser Frieden gründet nicht auf einem Prinzip der Abschreckung, sondern auf einer übergeordneten Rechtsordnung. Kant verurteilt Waffenstillstandsvereinbarungen, da diese nur einen Kriegsaufschub, nie aber einen echten Frieden herbeiführen. Die wichtigsten Voraussetzungen für die friedenssichernde Rechtsordnung sind die republikanische Verfasstheit und die Souveränität der Staaten. Dennoch schließt auch Kant eine Kampfhandlung als Mittel zu Abwehr von Aggressionen nicht aus.
Carl von Clausewitz (1780-1831)
Krieg ist niemals ein Selbstzweck.
Die Natur des Krieges entspricht dem Kampf zweier Ringenden. Jeder Krieg ist ein Akt der Gewalt. Er dient dem Zweck, dem Gegner den eigenen Willen aufzudrängen und ihn vollständig wehrlos zu machen. Der zugrundeliegende Wille kann sowohl auf Erhalt als auch auf Veränderung gerichtet sein. Niemals ist der Krieg ein Selbstzweck. Jede militärische Auseinandersetzung muss als Durch- oder Fortführung von politischen Interessen gedacht werden: „Die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne den Zweck gedacht werden.“ So hält er es in Vom Kriege fest. Clausewitz definiert den Angriff und die Verteidigung als zwei unterschiedliche Kriegsformen. Das Ziel des Angriffs ist ein Positives und besteht in der Unterwerfung des Gegners. Der negative Zweck der Verteidigung zielt hingegen auf die Aufrechterhaltung des Status quo. Der Verteidiger kann dabei nicht in Passivität verharren. Seine Strategie muss darin bestehen, den feindlichen Angriff abzuwarten und im richtigen Moment zu einer Gegenoffensive überzugehen. Jedem Krieg liegt ein Plan zugrunde, der auf die Durchsetzung vorher definierter und den Konflikt begrenzende Ziele ausgelegt sein muss.
Friedrich Nietzsche (1844-1900)
Der Krieg führt den Menschen zu seiner Natur zurück.
Wohl kaum ein Denker hat dem Krieg eine so existenzielle Bedeutung zugemessen wie Friedrich Nietzsche. In der zerstörenden Kraft des Krieges erkennt er das Potenzial, eingefahrene gesellschaftliche Muster zu durchbrechen und einen Anstoß für kulturelle Veränderung zu geben. Krieg ist demnach notwendig, um den dem Menschen innewohnenden Leidenschaften, die von der gezähmten Gesellschaft sublimiert wurden, ein Ventil zu geben und den Willen zur Macht freizusetzen. Es bedarf des Rückfalls in die Barbarei des Krieges, um den Menschen zurück zu seiner Natur zu führen und ihn so zu befähigen, über sich hinauszuwachsen. In Menschliches, Allzumenschliches hält der Philosoph fest: „Es ist eitel Schwärmerei und Schönseelentum, von der Menschheit noch viel (oder gar: erst recht viel) zu erwarten, wenn sie verlernt hat, Kriege zu führen.“
Günther Anders (1902-1992)
In Zeiten der Atombombe ist jede Kriegshandlung zu vermeiden.
Die Erfahrung zweier Weltkriege, vor allem aber die Entwicklung und der Einsatz von Atomwaffen, haben zu einer radikalen Neubewertung des Krieges geführt. Günther Anders ist der Auffassung, dass die Existenz von nuklearen Massenvernichtungswaffen jegliche Zweck-Mittel-Relation militärischer Auseinandersetzungen außer Kraft setzt. Obwohl es nach den Katastrophen von Hiroschima und Nagasaki Kriege gegeben hat, in denen auf den Einsatz von Atomwaffen verzichtet wurde, reiche ihr bloßes Dasein als Drohkulisse und schließt eine moralische Rechtfertigung des Krieges aus. Ihr Einsatz hebt jede Verhältnismäßigkeit auf und vernichtet die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit. Jede Kampfhandlung in einer nuklear aufgerüsteten Welt birgt das Potenzial eines erneuten Gebrauchs von atomaren Kriegswaffen und ist damit unbedingt zu vermeiden. Die Existenz der Bombe ist nach Anders bereits ihr Einsatz. „Es genügt nicht, die Welt zu verändern“, formuliert Anders in Anlehnung an Marx: „Es kommt darauf an, sie erst einmal zu bewahren.“ •
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