Wofür es sich zu leben lohnt
Nummer Nr. 49 - Jan. 2020
Wofür es sich zu leben lohnt
Meist versteht sich das Leben von selbst. Man existiert eben. Aber warum nehmen wir die Anstrengungen des Alltags überhaupt auf uns? Was erfüllt das Dasein mit Sinn? Ist es die Verantwortung für das Morgen oder die Intensität des Jetzt? Dieses Dossier schärft Ihren Blick für das, was wirklich zählt.
Mit Beiträgen von: Bini Adamczak, Petra Bahr, Markus Gabriel, Miriam Meckel, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Bernd Stegemann, Dieter Thomä, Barbara Vinken, David Wagner, Bernhard Waldenfels, Slavoj Žižek u.v.a.
„Wir müssen das Potenzial eines Green New Deal erkennen“
Klimawandel, Aufstieg des Rechtspopulismus, globale Migration: Der Druck auf die westlichen Demokratien nimmt zu. Der Philosoph Charles Taylor plädiert für entschlossene Schritte aus der Krise.
Emotionale Maschinen
Roboter in der Pflege, als alltägliche Begleiter, gar als Partner: für die meisten eine Horrorvorstellung. Aber was wäre, wenn künstliche Systeme Gefühle hätten? Eva Weber-Guskar nimmt die Forschung in den Blick.
Die Schwester
Seit drei Jahren lebt Britta Müller-Schauenburg als Ordensfrau. Tief inspiriert wurde sie dabei durch die Philosophie Simone Weils. Warum aber wählt eine Frau im 21. Jahrhundert diesen Weg? Porträt einer Unzeitgemäßen.
Bourdieu und der Habitus
Im Zentrum von Pierre Bourdieus Hauptwerk „Die feinen Unterschiede“ steht der „Habitus“. Eine Art Stallgeruch, der maßgeblichen Einfluss auf die Eigen- und Fremdwahrnehmung eines Menschen hat. Wie relevant ist der Begriff heute?
Inhalt
Intro /
- Editorial
- Beitragende
- Inhalt
Arena /
- Denkanstöße
- Einwurf
Mörderische Misogynie / Das Ende des Liberalismus /
Kehrseite des Klimaschutzes - Sinnbild
- Perspektive
Charles Taylor:
„Wir müssen das Potenzial eines Green New Deal erkennen“ - Fundstück
Theodor W. Adorno:
„Studien zum autoritären Charakter“ - Pro & Contra
Kirchensteuer abschaffen?
Rainer Hank versus Peter Dabrock - Dorn denkt
Widerstreit der Werte
Kolumne von Thea Dorn
Leben /
- Weltbeziehungen
Sind Minimalisten freier? /
Kugelsichere Rucksäcke /
Comfort Binge - Die Schwester
Im Porträt: Die Ordensfrau
Britta Müller-Schauenburg
Von Svenja Flaßpöhler - Lösungswege
Warum schenken wir? - Emotionale Maschinen
Reportage über künstliche Intelligenz von Eva Weber-Guskar - Unter uns
Die Sache mit der Kerze
Kolumne von Wolfram Eilenberger
Dossier / Wofür es sich zu leben lohnt
- Das Ideal der Intensität
Von Nils Markwardt - Sinn des Seins
Sechs historische Positionen im Pro & Contra - Und wofür stehen Sie morgens auf?
Persönlichkeitstest - Was wirklich zählt
Zwölf Intellektuelle antworten.
Mit Robert Pfaller, Barbara Vinken, Markus Gabriel, Slavoj Žižek u.v.a.
Klassiker /
- Bourdieu und der Habitus
Essay von Marianna Lieder - Übersicht
Was ist Utilitarismus? - Zum Mitnehmen
Aristoteles: „Über die Seele“ - Menschliches, Allzumenschliches
Comic von
Catherine Meurisse
Bücher /
- Kurz und bündig
Kolumne von Jutta Person - Buch des Monats
Jürgen Habermas: „Auch eine Geschichte der Philosophie“ - Klima und Ethik
Handeln in der Heißzeit - Scobel.mag
Kolumne von Gert Scobel
Finale /
- Ästhetische Erfahrung
Musik: „Ghosteen“ von Nick Cave / Kino: „Human Lost“ / Ausstellung: Cyborg als Chance - Leserpost / Impressum
- Agenda
- Phil.Kids
Arena
Das Ende des Liberalismus
Unternehmen wie Google und Amazon gefährden die Freiheit der Märkte, weil sie selbst zu Märkten geworden sind.

Charles Taylor: „Wir müssen das Potenzial eines Green New Deal erkennen“
Klimawandel, Aufstieg des Rechtspopulismus, globale Migration: Der Druck auf die westlichen Demokratien nimmt zu. Charles Taylor, einer der einflussreichsten Philosophen der Gegenwart, plädiert für entschlossene Schritte aus der Krise.

Der autoritäre Charakter
Warum gewinnen rechtspopulistische Autokraten weltweit Anhänger? Die Grundlagen reaktionären Erfolgs analysierte Theodor W. Adorno bereits im Jahr 1950.
Kirchensteuer abschaffen?
Zwischen acht und neun Prozent der Einkommensteuer beträgt die Kirchensteuer in Deutschland. Angesichts von Skandalen ist die Zahl der Kirchenaustritte rasant gestiegen. Ist die Abgabe noch zu rechtfertigen?
Ein Pro & Contra von Rainer Hank und Peter Dabrock.

Widerstreit der Werte
Darf ein Mann, der Kriegsverbrechen relativiert hat, aber ein herausragender Schriftsteller ist, geehrt werden? Der Disput über den Literaturnobelpreis für Peter Handke führt ins Zentrum heutiger Irrtümer, meint unsere Kolumnistin Thea Dorn.
Leben
Sind Minimalisten freier?
Frugalisten leben so, dass sie ihren Job jederzeit kündigen können. Weniger Konsum, mehr Autonomie: Geht diese Rechnung wirklich auf?
Perverser Schutz
Columbine, Virginia Tech, Sandy Hook: Die Namen dieser Schulen haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt.
Comfort Binge
Seit dem Aufkommen von Videoplattformen wie Netflix und Amazon Prime ist „Binge Watching“, was übersetzt so viel heißt wie „Komaglotzen“, gang und gäbe:
Die Schwester
Keusch, gehorsam, ohne eigenes Geld: Seit drei Jahren lebt Britta Müller-Schauenburg als Ordensfrau. Tief inspiriert wurde sie dabei durch die Philosophie Simone Weils. Warum aber wählt eine Frau im 21. Jahrhundert diesen Weg? Porträt einer Unzeitgemäßen.
Warum schenken wir?
Präsente machen Mühe, kosten Zeit, Geld und oft auch Nerven. Trotzdem beschenken wir einander. Drei Philosophen über die wahren Gründe des Gebens.

Emotionale Maschinen
Roboter in der Pflege, als alltägliche Begleiter, gar als Partner: für die meisten eine Horrorvorstellung. Aber was wäre, wenn künstliche Systeme Gefühle hätten? Zeit, die Chancen und Risiken der Forschung in den Blick zu nehmen.

Unter uns: Die Sache mit der Kerze
Folge 2: Wer sich an Wintertagen ein Wachslicht anzündet, beleuchtet die Fundamente unseres Daseins.
Dossier
Wofür es sich zu leben lohnt
veröffentlicht amMeist versteht sich das Leben von selbst. Man existiert eben. Aber warum nehmen wir die Anstrengungen des Alltags überhaupt auf uns? Was erfüllt das Dasein mit Sinn? Ist es die Verantwortung für das Morgen oder die Intensität des Jetzt? Dieses Dossier schärft Ihren Blick für das, was wirklich zählt.

Sinn des Seins
Die menschliche Existenz versteht sich nicht von selbst. Seit jeher streiten Philosophinnen und Philosophen über das Wozu. Drei zentrale Konflikte, um das Dunkel des Daseins zu erhellen.
Was wirklich zählt
Auf diese Frage, so scheint es, gibt es so viele Antworten wie Menschen. Wer die folgenden Beiträge namenhafter Denkerinnen und Denker genau liest, merkt jedoch: Bestimmte Aspekte kehren wieder, die wir gemeinhin gering schätzen, gar fürchten.
Klassiker
Bourdieu und der Habitus
Vor 40 Jahren erschien Pierre Bourdieus Hauptwerk „Die feinen Unterschiede“. Im Zentrum dieser herrschaftskritischen Gesellschaftsanalyse steht der „Habitus“. Eine Art Stallgeruch, der maßgeblichen Einfluss auf die Eigen- und Fremdwahrnehmung eines Menschen hat. Über ein System von Grenzen und Möglichkeiten und seine Bedeutung im Zeitalter der Globalisierung.

Aristoteles über die Seele
In seiner wirkmächtigen Abhandlung Über die Seele behauptet Aristoteles: Die Seele ist kein Körper, aber sie existiert auch nicht ohne ihn. Ja, was denn nun, fragen Sie sich? Wir helfen Ihnen!

Bücher
Maschinenwinter
veröffentlicht amBücher – kurz und bündig In Manchester geht Mary Shelley ein Licht auf. Die „elenden Kreaturen“, die dort in einer Manufaktur schuften, sind nicht nur Sklaven der Maschinen. Weil sie dieselben, endlos wiederholten Bewegungen vollführen wie ihre Arbeitsgeräte, nähern sich Menschen und Maschinen unaufhaltsam an – und unterscheiden sich nur noch im Unglücklichsein. Mary Shelley, die weltberühmte Schauerromantikerin, wird als Transperson namens Ry Shelley in Jeanette Wintersons furiosem Roman „Frankissstein“ (Kein & Aber, 24 €) wiedergeboren. Sie verliebt sich in den KI-Spezialisten Victor Stein, der den Menschen von seinem größten Makel, der Materie, befreien will. Winterson bringt nicht nur die Transhumanismus- und Transgender-Debatten der Gegenwart zusammen. Sie verdrahtet das Denken über zwei Jahrhunderte hinweg, bis hin zur zentralen Monsterfrage, was „Leben“ eigentlich ist. „Frankissstein“ mit seinen klugen Maschinenstürmer-Zitaten sollte man unbedingt gelesen haben, wenn man zu Sarah Spiekermanns „Digitaler Ethik“ (Droemer, 19,99 €) übergeht. Die Informatikerin skizziert ein „Wertesystem für das 21. Jahrhundert“, das „menschengerechten Fortschritt“ zum Ziel hat, und fragt dabei auch nach den Ursprüngen unseres Fortschrittsverständnisses. Den Essay „Maschinenwinter“ zu ähnlichen, aber politisch anders beantworteten Fragen hat Dietmar Dath schon vor zehn Jahren geschrieben (Suhrkamp, 10 €). Es gebe genügend Gründe, heißt es dort, Herren und Knechte abzuschaffen. Dann folgt der shelleyeske Satz: „Die Menschen haben zugelassen, dass die Maschinen zu Naturwesen werden, deren Früchte man nicht ernten kann, weil sie keine mehr hervorbringen; wie schlafende Pflanzen im Winter.“

Vernünftige Freiheit
In seiner 1700-seitigen Philosophiegeschichte beleuchtet Jürgen Habermas das Verhältnis von Glauben und Wissen.
Handeln in der Heißzeit
veröffentlicht amEndlich wächst zusammen, was zusammengehört: Klima und Ethik. Vier lesenswerte Bände setzen unterschiedliche Schwerpunkte Dass die Klimakrise das dringendste globale Problem der Gegenwart ist, kann nur bestreiten, wer sich mutwillig aus der Realität verabschiedet. Auf diesen epistemologischen Unterschied verwies zuletzt die 16-jährige Greta Thunberg: Manche verließen sich eben auf das Wissen, während andere das Klima zur Glaubensfrage erklärten. Gilt aber Glaubensfreiheit, wenn die sieben heißesten Jahre der Geschichte bewiesenermaßen in unser gegenwärtiges Jahrzehnt fallen? Warum verweigert die Politik die Konsequenzen, auf die sie sich doch selbst verpflichtet hat? Warum schwächelt der kategorische Imperativ, wenn es um ökologische Notwendigkeiten geht? Vier Neuerscheinungen gehen diese Fragen in aufschlussreicher Weise unterschiedlich an. Jeremy Rifkin ist Ökonom, Naomi Klein Journalistin. Die Bücher der beiden signalisieren zumindest im Titel aktionistische Einmütigkeit: „Der globale Green New Deal“ (Rifkin); „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ (Klein). Also wieder ein New Deal: Das Makrokonjunkturprogramm der amerikanischen 1920er-Jahre steht heute Pate für radikalen politischen Handlungsbedarf. Im Jahr 2005 stand Naomi Klein bis zur Hüfte in den Fluten des Hurrikans Katrina; seitdem habe sie wissen wollen, „was den elementaren Überlebensinstinkt der Menschheit außer Kraft setzt – warum so viele von uns nicht auf die offenkundige Tatsache reagieren, dass unser Haus in Flammen steht“. Solidarisch rekapituliert sie den Aufstieg des Ökoaktivismus und identifiziert die Akteure auf der anderen Seite: Es sind, wenig überraschend, die Unternehmen, die den fossilen Kapitalismus durch den Betrieb von Gasfeldern, Öl-Pipelines, Kohleminen befeuern, aber auch Gewerkschaften, die Pensionsgelder in die Fossilwirtschaft investieren. Dem solle nun eine Graswurzelbewegung entgegentreten. Wo die globalen politischen Machtzentren versagten, komme es auf kleine grüne Parteien an und auf Bewegungen, die oft aus den stark krisengebeutelten Ländern des Südens stammen. Massenmobilisierung von unten sei nötig, ein Marshallplan für die Erde. Klein verweist auf den Klimarat der Vereinten Nationen und zeigt, dass der ökologische Alarm keineswegs von Extremisten ausgelöst wird. Rifkin dagegen interessiert sich als Ökonom dafür, wie der künftige Green New Deal zu finanzieren ist. Nach dem Motto „It’s the infrastructure, stupid!“ propagiert er – in frappierender Marktund Technologiebegeisterung – eine Sharing-Kultur, die dem fossilen Wirtschaften durch digitale Vernetzung den Garaus machen werde. Plattformökonomie versus Old-School-Industrie: Die über digitale Vernetzung flexibel organisierte Nutzung von Gütern und Dienstleistungen reduziere nicht bloß Energieverbrauch und CO2-Ausstoß, sie schaffe auch neue Jobs. Der „Ko-Konsum“ sei „das erste neue Wirtschaftssystem auf der ökonomischen Weltbühne seit dem Auftritt von Kapitalismus und Sozialismus im 18. und 19. Jahrhundert.“ Zu derart faktensatten und unmittelbar praxisbezogenen Büchern kommen solche, die dem ökologisch-ökonomischen Phänomen mit den Mitteln der philosophischen Ethik begegnen. Wie der Ökonom und Philosoph John Broome in dem Sammelband „Klimawandel und Ethik“ beklagt, haben sich seine beiden Disziplinen die längste Zeit ignoriert. Unter Bezug auf John Rawls’ Gerechtigkeitstheorie werden hier normative Begriffe diskutiert, in denen die Klimakrise auch als Gerechtigkeitskrise zu verstehen ist; die Umwelt als Ganzes im Blick, umfassen solche Begriffe auch die Rechte nichtmenschlichen Lebens. Und weil der Klimakrise ein offensichtlicher Zeitvektor eingeschrieben ist, geht es ebenso um intergenerationelle Ethik und moralische Kriterien für korrupte Verantwortungsverweigerung. Auf fast schon dreist ostentative Weise verzichtet hingegen der amerikanische Philosoph Timothy Morton auf Zahlen und empirische Daten. Bücher über Ökologie seien schließlich selbst zum ökologischen Problem geworden: „verwirrender Informationsmüll, dessen Verfallsdatum bereits überschritten ist, wenn sie dir in die Hände fallen“. Mortons Buch heißt „Ökologisch sein“ und will doch von Ökologie nichts wissen. Nur eine „objektorientierte Ontologie“ (OOO) führe philosophisch weiter. Durch ihr Eingeständnis, dass es keinen „vollständigen Zugang zu einer Sache in ihrer Ganzheit gibt“, weise die OOO das Denken und damit den Anthropozentrismus der Ökologiedebatten in die Schranken. Zu lange habe man darauf beharrt, „dass der Mensch den Mittelpunkt von Bedeutung und Macht bildet“. Was heißt es hier, wenn Immanuel Kant zwischen der Realität und dem Realen unterscheidet und Heidegger die kategorische Trennung von Wahrem und Unwahrem unterläuft? Was lernen wir dazu von Star Trek und Blade Runner? Timothy Mortons Buch ist das rätselhafteste und anregendste auf dem naturgemäß noch viel höheren Stapel der neuen Ökologiebücher. Naomi Klein Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann übers. v. B. Steckhan, S. Schuhmacher, G. Gockel Hoffmann & Campe 352 Seiten 24 € Jeremy Rifkin Der globale Green New Deal. Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert übers. v. Bernhard Schmid Campus 319 Seiten 26,95 € Jan Gehrmann Ruben Langer, Andreas Niederberger (Hg.) Klimawandel und Ethik mentis 240 Seiten 29,90 € Timothy Morton Ökologisch sein übers. v. Dirk Höfer Matthes & Seitz 200 Seiten 20 €
