Metaverse: Die Welt ist nicht genug
Mark Zuckerberg will mit seinem Metaverse-Projekt eine buchstäblich neue Welt erschaffen. Diesen Frontier-Gedanken teilt er mit Elon Musk und Jeff Bezos. Für den Planeten hat das potentiell fatale Folgen.
Der bereits jetzt alles umfassende Trend zu mehr und mehr Digitalem, der sich uns in den Lockdowns der Coronapandemie so sehr gezeigt hat, wird im neusten Projekt des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg noch einmal verstärkt. Wanderten die Meetings schon in den letzten zwei Jahren aus den physischen Büros zunehmend in die virtuellen Zoom-Räume, geht es nun, folgt man Zuckerberg, endgültig ins Digitale. Das zeigt sich daran, dass Facebook Inc., der Konzern, zu dem Facebook, Instagram, WhatsApp, aber auch die Virtual Reality Firma Oculus VR gehören, jüngst in Meta Platforms, Inc. umbenannt wurde.
Dabei ist die Umbenennung mehr als nur der Versuch, den Mutterkonzern vom angeschlagenen Image des größten sozialen Netzwerks zu befreien. Dahinter steckt das langfristige Ziel, eine eigene virtuelle Realität – ein sogenanntes „Metaverse“ – aufzubauen, die den nächsten logischen Schritt des Internets bilden soll. „Man kann sich das Metaverse als ein verkörpertes Internet vorstellen, bei dem man die Inhalte nicht nur betrachtet, sondern sich in ihnen befindet“, prophezeit Zuckerberg. Mithilfe neuer, aber auch bereits etablierter Technologien – von Virtual- und Augmented Reality Brillen bis hin zu direkten Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer – soll eine digitale Erfahrung ermöglicht werden, die, vergleichbar mit einem Computerspiel, das Gefühl sich in einer realen Welt zu befinden imitiert. Arbeitskollegen in Singapur, London und Berlin sollen sich bald in ihrem jeweiligen Büro eine VR-Brille aufsetzen und in einem virtuellen Besprechungsraum miteinander interagieren können, so, als befänden sie sich am selben Ort.
Vordergründig steht die Umbenennung und Neuausrichtung des Konzerns für die langsam aber sichere Auflösung der Grenze zwischen online und offline. Es geht um die Frage, was wäre, wenn die unzähligen digitalen Dienste, die wir tagtäglich nutzen, alle untereinander kompatibel wären, nahtlos ineinander übergingen und sich in ein und der selben virtuellen Umgebung befänden. Gepaart mit neuen Formen der Interaktion im Digitalen soll so eine eigene virtuelle Realität entstehen.
Alternativen zum Hier und Jetzt
Diese virtuelle Welt soll auf lange Sicht so profitabel werden, dass Meta für ihre Errichtung in den nächsten Jahren Verluste von voraussichtlich etwa 6,4 Milliarden Dollar in Kauf nimmt. Das Ziel: Vorreiter in puncto digitaler Realität zu werden. Das Metaverse soll nicht mehr ein Produkt zu sein, sondern die Umwelt, in der alle anderen Produkte existieren, das Medium für jeden erdenklichen „Content“. Ein essentieller Teil dieser Umwelt ist dabei ein vollständig digitales Wirtschaftssystem, in dem nicht nur die Währungen digital sind, sondern auch die damit erworbenen Dienstleistungen und Konsumgüter. Der Konzern will einen immer größeren Bestandteil unseres Lebens in den digitalen Raum verlagern. Seien es Treffen mit Freunden in virtuellen Bars oder Meetings im digitalen Besprechungsraum. Denn je größerer der Teil unseres Lebens ist, den wir im Digitalen verbringen, desto größer ist auch jener Teil, der von Firmen, die diese digitalen Räume bereitstellen, monetarisiert werden kann.
Das Verkaufen von digitalen Grundstücken und virtueller Kleidung für unsere Online-Repräsentationen, das Bereitstellen jeglicher Art virtueller Erfahrungen sowie das Sammeln unvorstellbarer Datenmengen: All dies sind mögliche neue Einkommensquellen, die Zuckerberg erschließen will. Anders als bereits bekannte Formen virtueller Welten, etwa Second Life oder World of Warcraft, soll das Metaverse also gerade kein Spiel sein, sondern eine Erweiterung der echten Welt – inklusive realer wirtschaftlicher Interaktionen.
In seinem Ziel, eine neue Welt zu errichten, unterscheidet sich Zuckerberg, der achtreichste Mensch der Welt, gar nicht so sehr vom reichsten Menschen, Elon Musk. Auch dieser will für die Menschheit eine neue Welt erschließen, nicht in Form einer digitalen Realität, sondern durch die Kolonisation des Mars. Beides – die digital-eskapistische Mission Zuckerbergs und den hyperkapitalistischen Cyberkolonialismus Musks – eint, dass es durch den Aufbau einer neuen Welt immer einfacher wird, sich nicht mehr um die bereits bestehende Welt zu kümmern. Hat man einmal eine zweite virtuelle Realität oder gar einen zweiten Planeten kolonisiert, wird es leichter, die Verantwortung für den Erhalt oder sogar die Verbesserung dieser Welt zurückzuweisen. Denn nun haben wir ja eine Alternative!
Next Frontier
Der Aufbruch in eine neue Welt ist ein gerade dem amerikanischen Kapitalismus vertrauter Topos. Schon das World Wide Web wurde in seinen Anfängen nicht ohne Grund als „wilder Westen“ bezeichnet. Und auch in Zuckerbergs und Musks neustem Bestreben äußern sich viele Parallelen zur Idee eines Neuanfangs, einer Expansion in unbekannte Gefilde, die für die amerikanische Identität so konstitutiv ist. Ein essentieller Unterschied zum klassischen Frontier-Gedanken ist jedoch das Fehlen einer organischen, ungesteuerten Bewegung von unten. Denn Zuckerbergs Metaverse und auch Musks kolonisatorischer Marsmission sind planmäßig von oben gesteuerte Konzern-Unternehmungen. Das neue Land ist für seine zukünftigen Nutzer – anders als beispielsweise für die Besatzung der Mayflower – schon durch Firmen aufbereitet. Es muss anderen, die bereits dort leben also nicht mit Gewalt abgenommen oder schweißtreibend bestellt werden, um es bewohnbar zu machen.
Im Metaverse und auch auf dem Musk’schen Mars herrscht keine Anarchie, aus der heraus ein neues Ordnungssystem entstehen könnte, sondern diese neue Welt, das neue Frontier, kommt bereits mit einem hyperkapitalistisch geprägten und von seinen Schaffern festgelegten Verwertungssystem. Alle Spielregeln sind bereits geschrieben, und wer gewinnt, steht höchst wahrscheinlich auch schon fest.
Doch woraus ergibt sich die Notwendigkeit für diesen Schritt in eine neue Welt? Wieso sind Musk und Zuckerberg, aber auch Amazon-Gründer Jeff Bezos mit seinem eigenen Raumfahrtprogramm, willens, unvorstellbare Summen zur Erschließung dieser neuen Welten aufzubringen? Antworten hierauf lassen sich schon bei Karl Marx finden. Das im dritten Band von Das Kapital formulierte „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ beschäftigt sich mit den marktwirtschaftlichen Ursachen, warum der Kapitalismus nicht ohne Wachstum auskommt.
Besitz 2.0
Der Grund ist laut Marx der, dass der bereits angesammelte Wohlstand stetig zunimmt, weshalb der im Verhältnis dazu erwirtschaftete Profit stets sinkt, selbst wenn er in absoluten Zahlen gleich bleibt. Da es beim sogenannten „Return of Investment“ um die relative Profitrate geht, also das, was ich herausbekomme, im Verhältnis zu dem, was ich bereits habe, ist dem kapitalistischen System eine Steigerungslogik inhärent. „Gleichbleibend“ bedeutet in diesem Kontext deshalb „abnehmend". Um den ökonomischen Status quo unseres Systems zu erhalten, brauchen wir also stetiges Wachstum.
Obwohl dieses Gesetz in der marxistischen Tradition häufig als der Mechanismus angesehen wurde, durch den der Kapitalismus sich selbst abschafft (eine Entwicklung, die bisher offenbar ausgeblieben ist), besagt es eigentlich nur, dass der Kapitalismus eine Reihe gegenläufiger Tendenzen hervorbringt – so etwa die schlechtere Bezahlung der Arbeiter oder eben auch die stetige Expansion in neue Märkte –, um die Entwicklung des Falls der Profitrate abzuwenden. Um nicht zu stagnieren, müssen immer neue Konsumbedürfnisse geschaffen, immer neue Märkte erschlossen werden: Es ergibt sich der Zwang einer funktional unendlichen Wachstumsspirale.
Musks bestreben einen neuen Planeten zu kolonisieren, folgt dieser von Marx beschriebenen Entwicklung gespenstisch genau. Es geht um die Erschließung buchstäblich neuer Welten mit neuen Ressourcen und damit neuen Märkten – alles um die Maschinerie des Wachstums weiter zu befeuern. Mehr, größer, besser und vor allem: neuer. Zuckerbergs Fantasien des Metaverse gehen sogar noch einen Schritt weiter. Denn in einer vollkommen digitalen Realität müssen zunächst gar keine neuen Bedürfnisse geschaffen oder neue Ressourcen erschlossen werden. Vielmehr handelt es sich um einen marktwirtschaftlichen Zaubertrick, der unsere alten Bedürfnisse recycelt und diese erneut und sogar mehrfach befriedigen kann.
Schöne neue Metawelt
Wenn es nicht mehr ohne weiteres möglich oder profitabel ist, neue reale Märkte zu erschließen, wird eben eine virtuelle Realität inklusive virtueller Märkte mit virtuellen Produkten erbaut. Das Metaverse muss zunächst keine genuin neuen Bedürfnisse schaffen, da in ihm die alten schlicht noch einmal aufgerufen werden können. Nach dem Motto: Du hast zwar schon eine kleine Wohnung in dieser Welt, aber hast du schon eine im Metaverse? Und da du dort nun eine riesige Villa besitzt, ist es ja auch gar nicht so schlimm, dass deine echte Wohnung so traurig aussieht.
Durch den endgültigen Schritt in die virtuelle Digitalität wird jene Qualität des Kapitalismus immer unwichtiger, die ihn – zumindest innerhalb des globalen Nordens – so erfolgreich gemacht hat: die empirisch nicht zu leugnende Steigerung der materiellen Lebensbedingungen. Stattdessen sollen wir uns sukzessiv in eine digitale Welt begeben, die uns die Forderungen nach gerechter Teilhabe im analogen Hier und Jetzt vergessen lässt: Los geht’s in die schöne neue Welt des Metaverse! •
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