Philippe Sabot: „Camus verurteilt die revolutionär entfesselte Gewalt“
Nachdem Camus bereits in Die Pest Distanz zu den großen Ideen hält, entwickelt er diese Haltung in Der Mensch in der Revolte zu einer philosophischen Kritik. Camus warnt vor einem revolutionären Verständnis der Geschichte. Sein Gegenentwurf ist die Revolte. Philippe Sabot erläutert Camus’ Position.
Philosophie Magazin: Vier Jahre nach „Die Pest“ erscheint „Der Mensch in der Revolte“, mit einem Inhalt, der ausdrücklicher politisch ist. In welchem historischphilosophischen Kontext steht das Buch damals?
Philippe Sabot: „Der Mensch in der Revolte“ erscheint 1951, sprich sechs Jahre nach der Befreiung von der NS-Herrschaft und dem Vichy-Regime. Im intellektuellen Umfeld der Nachkriegszeit stellt die Veröffentlichung dieses Werks einen bedeutenden Einschnitt dar. Sie lässt sich in die Folge der sehr lebhaften Debatten einordnen, die mitten im Kalten Krieg durch Enthüllungen hervorgerufen wurden, die zum einen die Existenz von Lagern in der Sowjetunion, zum anderen die „Moskauer Prozesse“ betrafen – letztere abgehalten Ende der 1930er-Jahre unter der Ägide Stalins, der bis zu seinem Tod im Jahr 1953 in der Sowjetunion weiter an der Macht bleiben wird. „Der Mensch in der Revolte“ befasst sich auf seine Weise mit dem, was man das „kommunistische Problem“ nannte, welches insbesondere in Merleau-Pontys Essay mit dem Titel „Humanismus und Terror“ aus dem Jahr 1947 abgehandelt wurde.
Was verbirgt sich hinter dem „kommunistischen Problem“?
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