Catherine Camus: „Mein Vater sah mich, wie ich war“
Catherine Camus, die Tochter von Albert Camus, erinnert sich an ihre Kindheit, den früh verstorbenen Vater und das moralische Gewicht seines Erbes.
Man kennt Camus durch sein Werk, sein Engagement, seine Freundschaften, doch man kennt ihn wenig aus privater Sicht. Können Sie uns sagen, was für ein Vater er war? Streng, hart?
Nicht hart, nein, aber genau. Zunächst einmal verbot er das Überflüssige. Seitdem wir zehn Jahre alt waren, bekamen wir zu Weihnachten nur nützliche Geschenke. Zum Beispiel einen neuen Schulranzen … Stellen Sie sich vor: Es ist Weihnachten, und Sie bekommen einen Ranzen. Einen schönen, ganz bestimmt, der sicher auch viel gekostet hatte. Aber nun ja … Wenn wir aufmuckten, sagte er: „Ihr habt ein Dach, ihr habt zu essen, ihr habt Bücher, ihr habt alles.“ Er äußerte sich immer sehr klar. Sehr klar, ohne im Übrigen viel zu sagen. Bei uns zu Hause redete man nicht viel. Ich glaube, das kam von meiner Mutter, die sehr empfindlich war, aber es war tatsächlich so, dass wir wenig redeten, und vor allem redete man nicht über sich selbst. Von sich selbst zu reden, wurde beinahe als etwas Abstoßendes angesehen. Trotzdem war mein Vater ein beruhigend wirkender Mann.
Könnten Sie ein Beispiel nennen?
Ich erinnere mich an einen Abend: Ich war acht oder neun Jahre alt, und in meinem Bett packte mich schreckliche Angst. Ich fürchtete mich zu sterben. Ich wollte meine Mutter rufen, aber sie war mit meinem Vater im Wohnzimmer und ich traute mich nicht. Die Angst war am Ende stärker, und ich habe schließlich gerufen. Mein Vater hat geantwortet: „Komm her, wenn du etwas zu sagen hast.“ Ich zögerte, und bin dann doch hingegangen. „Was gibt es?“, hat er mich gefragt. Ich kam gar nicht auf den Gedanken, etwas zu erfinden – bei ihm log man nicht! –, und bin damit herausgeplatzt: „Ich fürchte mich zu sterben.“ Papa hat gelacht. „Deshalb willst du deine Mutter stören? Na los, geh schlafen, Liebling.“ Beruhigt habe ich mich wieder ins Bett gelegt: Wenn ihn das zum Lachen reizte, drohte mir keine Gefahr! Mehrere Jahre danach bin ich auf diese Notiz gestoßen: „Catherine kann nicht einschlafen, denn sie hat Angst zu sterben. Dass diese Angst bereits diese kleinen Geschöpfe quält, ist das nicht wirklich der größte Skandal?“
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Einfache Registrierung per E-Mail
- Im Printabo inklusive
Hier registrieren
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo