Protest im Kostüm
In Lützerath schubst ein als Mönch verkleideter Mann einen Polizisten. Er ist nicht der erste Demonstrant in skurriler Verkleidung, der zum Maskottchen einer Bewegung wird. Doch woher rührt die Verbindung von Protest und Kostüm?
Bei den Protesten um das Dorf Lützerath gab es einen Demonstranten, der besonders hervorstach. Ein Mann in Mönchskutte flitzte zwischen den im Schlamm versinkenden Polizisten umher, scheinbar unbeeindruckt von den widrigen Wetterverhältnissen, und schubste schließlich einen der sich abmühenden Gesetzeshüter in die nasse Erde. Noch am selben Tag gehen diverse Videos des Geschehens um die Welt, teils mit lustiger Musik untermalt oder in ihrer Geschwindigkeit verändert. In englischsprachigen Medien wird der Mann als „Mud-Wizard“ bekannt.
Es ist nicht das erste Mal in den letzten Jahren, dass Demonstranten in skurrilen Verkleidungen zu Ikonen von Protesten werden. Das Gesicht der Unruhen im US-amerikanischen Kapitol war der sogenannte QAnon-Schamane, der – geschmückt mit einer absurden Mischung aus indigener Bekleidung, Zeichen nordischer Mythologie und amerikanischer Flagge – versuchte, die Demokratie auszuhebeln. Und auch bei den kürzlichen Ausschreitungen um die brasilianische Präsidentschaftswahl zeigte sich ein Nachahmer des Schamanen. Sie alle wurden in kürzester Zeit zum Symbol für die jeweiligen Proteste, und zwar meist nicht wegen ihren Taten, sondern aufgrund ihres bemerkenswerten Erscheinungsbildes. Beispiele für die Verbindung von Kostüm und Protest lassen sich auch in der Populärkultur finden. So etwa die Figur des Jokers aus dem Batman-Universum, der wie kein anderer Bösewicht nicht für die Zerstörung der Welt oder die Kontrolle der Menschheit steht, sondern für soziale Unruhen und das Aufbegehren der ungesehenen und perspektivlosen Massen gegen die herrschende Ordnung.
Doch woher stammt diese Verbindung der Verkleidung mit sozialen Protestformen? Dahinter mögen pragmatische Erwägungen stecken. Denn wer gegen die Staatsgewalt aufbegehrt, hat meist gute Gründe, anonym zu bleiben. Zudem sind – und dies mag der ausschlaggebendere Grund sein – Lächerlichkeit und Humor effektive Mittel zur Generierung von Aufmerksamkeit. In der Welt der sozialen Medien, deren Logik sich Protestformen anpassen müssen, um zu bestehen, ist Witz nun einmal nahezu notwendig. Das Konzept einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ geht auf den Philosophen und Städteplaner Georg Franck zurück. Ihm zufolge stellt der anerkennende Blick des anderen Menschen – heutzutage meist durch einen Bildschirm hindurch – eine wertvolle Ressource dar. Der Blick und der hoffentlich darauffolgende Klick werden so zum begehrten und umkämpften Gut. Die Macht der Bilder und Symbole wird deshalb von allen Seiten effektiv eingesetzt und nicht zuletzt wirtschaftlich ausgenutzt. Denn soziale Proteste sind heutzutage längst Teil der ökonomischen Verwertungskette geworden. Gerade die konservativen Bewegungen in den USA um Ex-Präsident Trump sind Meister im Verkaufen von MAGA-Kappen und T-Shirts mit lustigen Bildern des QAnon-Schamanen.
Sause als Systemkritik
Doch die Verbindung von Kostüm und subversiver Bewegung reicht tiefer in unsere Kultur hinein, als diese pragmatische Perspektive suggeriert. Denn sie hat eine lange historische Tradition. Seit jeher ist die Kostümierung mit dem Ausnahmezustand verbunden, meist einem festlichen Ausnahmezustand, der in die sozialen Strukturen integriert ist. Bei genauerem Blick liegt jedoch auch die Verbindung zwischen Festlichkeiten und dem Aufbegehren gegen herrschende Machtverhältnisse näher, als man zunächst denkt. Denn seit Jahrtausenden ist es Brauch in zahlreichen Kulturen, zu wichtigen Feierlichkeiten alternative Herrschaftsstrukturen einzusetzen: beispielsweise ein närrisches Dreigestirn, das temporär die Macht an sich reißt und aus humoristischer Position über die eigentlichen Herrschenden zu Gericht sitzt. Schon im antiken Rom gab es Feiertage, zu denen geradezu die gesamte Sozialstruktur umgekrempelt wurde: Die Diener spielten Könige und die Herrscher mimten Sklaven. Die Verkleidung nimmt in fast allen diesen Traditionen eine wichtige Rolle ein. Denn sie verschleiert die wirklichen Gegebenheiten, schützt die einzelnen Individuen durch die Anonymität der Maske vor einer Vergeltung der herrschenden Gewalt. Sie lässt Hemmungen fallen und versteckte Triebe an die Oberfläche gelangen. Das Kostüm entreißt uns unseren gewohnten Verhaltensmustern, regt dazu an, Dinge zu tun und zu sagen, die wir sonst nicht als mit unserem Selbstbild vereinbar ansehen.
Jedoch ist der mit der Kostümierung verbundene Ausnahmezustand – und das ist wesentlich für diese Bräuche – stets zeitlich begrenzt. Er stellt eine soziale Institution dar, die von der herrschenden Macht geduldet oder sogar gefördert wurde. In einer dialektischen Wendung bestärkt der Ausnahmezustand so eigentlich die etablierte Ordnung, affirmiert sie gerade dadurch, dass er sie einen Tag lang unterwandert. Für die gegenwärtigen Bewegungen gilt diese Beschränkung hingegen nicht. Das humoristische Kostüm hat Einzug in den vollkommen ernstgemeinten sozialen Protest gefunden. Nicht eine zeitlich begrenzte Triebabfuhr ist das Ziel, sondern ein nachhaltiger Umsturz der Verhältnisse. Lützerath, der Ort des Geschehens, liegt im Rheinland. Dort ist bald Karnevalssaison. Ob die Mönchskutte wohl dieses Jahr das Straßenbild dominiert, noch vor der sonst so beliebten Polizeiuniform? •