Raum und Rebellion – Italian Theory
Als der Stern der French Theory in den späten 1980er-Jahren allmählich zu sinken begann, ging im Südosten ein neuer auf: Er heißt Italian Theory und kreist um fünf Themen: Leben, Politik, Geschichte, Religion und Raum. Teil neun unserer Reihe zur Philosophie des 21. Jahrhunderts.
Lesen Sie hier die bisherigen Texte der Reihe:
• Nach der Postmoderne: Was gibt es Neues im 21. Jahrhundert?
• Neuer Realismus – Der Mensch ist kein Idiot
• Experimentelle Philosophie – Der Stuhl muss brennen
• Nikita Dhawan: „Wir tragen das Erbe des Kolonialismus in uns“
• Katharina Hoppe: „Die Neuen Materialismen wollen mit dem Anthropozentrismus brechen“
• Jens Soentgen: „Die Neue Phänomenologie will die durchschnittliche Lebenserfahrung möglichst genau darstellen“
• Queer Theory: Freischwebende Artefakte
• Daniel Leese: „In deutschen Debatten dient China oft nur als Chiffre”
Es gibt nicht nur große Zeiten der Philosophie, sondern auch große Orte. Athen im 5. und 4. Jahrhundert vor Christus zum Beispiel. Oder Deutschland um 1800. Hier sprudelte es nur so vor Ideen, Weltentwürfen und neuen Systemen. Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer... der eine wollte den anderen übertreffen und brachte Neues, Aufregendes hervor, das mitunter sogar am Absoluten kratzte. Etwas Ähnliches – und doch diametral Entgegengesetztes – geschah in Frankreich nach 1968, als die Postmoderne ihre Attacken auf die Vernunft verübte: Michel Foucault, Gilles Deleuze, Hélène Cixous, Jean Baudrillard, Julia Kristeva und Jacques Derrida stellten herkömmliche Gegenüberstellungen von Mensch und Natur, Vernunft und Wahnsinn, Mann und Frau infrage und dekonstruierten, was das Zeug hielt. Dieses Spiel mit den Gewissheiten bezeichnete man als „French Theory“, weil die Protagonisten fast alle aus Frankreich kamen, und bei aller Heterogenität, die sie ja durchweg feierten, einen gemeinsamen, verspielten Stil entwickelt hatten.
Irgendwann in den 1990er-Jahren hatte sich dieser Gestus jedoch erschöpft. Die übriggebliebenen Postmodernen durften noch ihre Sachen machen, aber so richtig Neues, Frisches kam nicht mehr aus Frankreich. Es gab nun ein neues Zentrum, eine Südverschiebung des Geistes, die uns erst allmählich bewusst wird: Spektakuläre Deutungen der Weltlage kamen nun aus Italien, das sich im Schatten der alten Philosophiezentren Deutschland und Frankreich zu einer veritablen Denkgroßmacht entwickelte – ironischerweise just in dem Moment, da Gilles Deleuze Italien zu einem nichtphilosophischen Land erklärt und es damit womöglich wachgerüttelt hatte.
Philosophie Magazin +

Testen Sie Philosophie Magazin +
mit einem Digitalabo 4 Wochen kostenlos
oder geben Sie Ihre Abonummer ein
- Zugriff auf alle PhiloMagazin+ Inhalte
- Jederzeit kündbar
- Im Printabo inklusive
Sie sind bereits Abonnent/in?
Hier anmelden
Sie sind registriert und wollen uns testen?
Probeabo