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Bild: Alessandra Sanguinetti/Magnum Photos/Agentur Focus

Impuls

Spurlos verschwinden

Alice Lagaay veröffentlicht am 06 Januar 2022 5 min

Wer will ich gewesen sein? Diese Frage ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Üben müssen wir uns darin, nichts hinterlassen zu wollen – und uns selbst aus dem Bild zu nehmen. Ein Plädoyer von Alice Lagaay.

 

Es ist nicht zu leugnen, dass die Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit als ein großer Motivator, ein Lebensausrichter fungieren kann. Das Bewusstwerden über die Begrenztheit und dadurch Kostbarkeit meiner Zeit wirkt wie ein innerer Kompass; sie zeigt mir, wo es für mich langgehen soll, was mir wirklich wichtig ist und was nicht. Was ist aber, wenn dieses Aufblitzen der eigenen Sterblichkeit und der Ansporn, der von diesem Bewusstsein ausgeht, möglichst viel vom Leben „mitzunehmen“, a) sich in einem unreflektierten Konsumverhalten ausdrückt und/oder b) mit dem eitlen Wunsch einhergeht, möglichst „viel von sich selbst“ hinterlassen zu wollen? Beide Reaktionen zeugen nämlich von einer narzisstischen, vielleicht sogar kolonialistischen Selbstbezogenheit, die für alle anderen (d. h. sowohl für alle menschlichen und tierischen Mitlebenden als auch für die Erde selbst) tendenziell blind ist.

Auch wenn nur unterschwellig, geht man dabei davon aus, dass man selbst doch einen Tick wichtiger ist als jeder und alles andere, und dass die Welt einem in gewisser Weise „gehört“, sodass es sich legitim anfühlt, sie nach eigener Lust und Laune zu beanspruchen. Wenn nicht durch Selbstreflexion kritisch in Schach gehalten, dann schürt diese Denkweise die heute angesagte Praxis der Bucketlist-Führung: die Idee, dass es aufgrund der begrenzten Zeit, die man auf Erden hat, angebracht und sinnvoll ist, eine Wunschliste über all die Dinge anzulegen, die man unbedingt gesehen, gemacht, erlebt und ausprobiert haben will, bevor man alt oder tot ist. Um dann, wie ein guter Projektleiter, eins nach dem anderen dieser schönen Dinge anzugehen beziehungsweise zu „erledigen“, weil … na ja, YOLO (you only live once). Ein solches Jetzt-oder-nie-Motiv mag gewiss in bestimmten Situationen angebracht sein.

Fraglich ist nur, ob erstens die Bucketlist nicht auf dem falschen Versprechen ruht, dass sie tatsächlich erfüllt werden könnte. Und zweitens, ob die Wünsche, die man da auflistet, wirklich von persönlicher Bedeutung sind oder nicht vielmehr durch soziale Ansteckung (Gesellschaft, Werbung usw.) von dem affektiven Pendant zur YOLO-Haltung getrieben sind: nämlich von FOMO, der Angst, etwas zu verpassen (fear of missing out).

 

Höchste Zeit, die Perspektive zu ändern

 

Spätestens hier zeigt sich, wie unphilosophisch dieses Denkverhalten eigentlich ist. Denn wenn Philosophie grundsätzlich den Anspruch hat, allgemeine, dauerhafte Wahrheiten zu erkennen, dann müsste es sich idealerweise um Wahrheiten handeln, die unabhängig von mir (oder wem auch immer), das heißt unabhängig von meiner (oder jeglicher) persönlicher Perspektive wahr sind – sonst blieben sie eben bloß relativ und ephemer. Immanuel Kant hat ziemlich überzeugend und mit Wucht gezeigt, dass wir Menschen die Wahrheit nie direkt erkennen können, ohne diese durch unsere eigenen Denkkategorien a priori zu verformen.

Rein idealistisch gesehen, müsste sich also der Philosoph oder die Philosophin, als denkend-anwesende Person, sich selbst (paradoxerweise bzw. spekulativ) aus der Gleichung herausdenken können, um der Wahrheit möglichst nahezukommen. Dass dies selbstverständlich, solange man eben da ist, pragmatisch nicht umsetzbar ist, ändert nichts an der Wirkungsmacht der Idee, die ich mit dem Bild des sich behutsam zurückziehenden Philosophierenden nun hier suggerieren möchte. Wir sind nämlich so sehr daran gewöhnt, zu hören und zu denken, dass ein erfolgreiches Leben eines ist, bei dem die Person vieles „geschafft“ und „Spuren hinterlassen“ hat – dies ist auch immer die Botschaft von jedem guten Hollywoodfilm –, dass die Idee, wir könnten eine Denk- beziehungsweise Verhaltensweise einnehmen wollen oder vertreten, die das spurlose Verschwinden des Selbst als würdige Perspektive darstellt, uns ethisch-philosophisch widerspenstig erscheint. Aber ist es angesichts des drohenden Elends des 21. Jahrhunderts nicht höchste Zeit, dieses Narrativ zu ändern?

 

Übung im Nicht-da-Sein

 

„Philosophieren heißt sterben lernen“, lautet ein oft zitierter Satz von Michel de Montaigne. Dieser Gedanke muss nicht nihilistisch gedeutet werden; er impliziert kein Abwenden von der Welt oder von den anderen Mitseienden. Er kann vielmehr das Ergebnis einer intensiven, aufmerksamen und empathischen Beschäftigung mit ihr sein. Die Erkenntnisse der französischen Philosophin Simone Weil (1909 – 1943), Denkerin der „Aufmerksamkeit“ und der „Entschaffung“, sind in dieser Hinsicht besonders wegweisend. In ihrem Buch Schwerkraft und Gnade schreibt sie: „Dass ich verschwände, und diese Dinge, die ich sehe, würden – weil sie aufhörten, Dinge zu sein, die ich sehe – vollkommen schön! (…) Eine Landschaft so zu sehen, wie sie ist, wenn ich nicht darin bin“. Für Weil ist es nämlich die Konsequenz einer Praxis der wahren Aufmerksamkeit, dass das „ich“ sich in seiner Ego-Zentriertheit aus dem Bild zurückziehen muss, um den anderen, besonders in ihrem Schmerz, beizuwohnen.

In der französischen Sprache weist die etymologische Nähe zwischen Aufmerksamkeit (attention) und einer aktiv-passiven Praxis des geduldigen Wartens (attendre) auf eine tiefe Verwandtschaft der beiden Phänomene hin. Jeder gute Vogelbeobachter weiß es: Um dem Sujet der Beobachtung nahezukommen, um möglichst viel wahrzunehmen, muss er sich geduldig und still halten – sich im Grunde so verhalten, als ob er nicht da wäre. Nur dann hat er eine Chance, die Geheimnisse der Natur gezeigt zu bekommen.

Für Simone Weil geht es darum, sich weniger im Modus eines aktiven „Tuns“ als mit der Haltung einer wartenden Vorsicht kontemplativ im Zurückhalten, Sich-Zurückziehen zu üben. Auf diese Weise, indem ich mich möglichst „selbst entleere“, solidarisiere ich mich mit der Existenz aller anderen Wesen. Im Nichttun, in der Zurücknahme meiner selbst, komme ich nicht nur der Wahrheit der Welt am nächsten, sondern darin liegt – paradoxerweise – die größtmögliche Intersubjektivität. Ich entkomme dadurch zudem der kurzsichtigen „Tyrannei des Jetzt“: Durch das Aufgeben der Jetzt-oder-nie-Haltung gewinne ich, in anderen Worten, Zugang zum Ewigen; ich verbinde mich gleichermaßen mit allem, was ist, sowie mit Vergangenem und Zukünftigem, eine Perspektive, aus der die Sorge um jegliche Bucketlist erst recht überflüssig erscheint. Philosophie deutet sich also hier als eine Übung im Nicht-da-Sein an, als Schlüssel zu einer Art ewigem Sein. Dafür müssten wir FOMO, die Angst, etwas zu verpassen, überwinden, um Platz zu schaffen für LOMO (the love of missing out) – und von da aus, liebend und entschaffend, friedlicher leben und ruhen. •

 

Alice Lagaay ist Professorin für Ästhetik und Kulturphilosophie in Hamburg. Die Philosophie der Passivität gehört zu ihren Forschungsschwerpunkten. Zuletzt auf Deutsch von ihr erschienen ist „Wissen Formen. Performative Akte zwischen Bildung, Wissenschaft und Kunst“ (hg. mit Anna Seitz, transcript, 2018).

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Kommentare

Tom | Montag, 19. Dezember 2022 - 11:41

Ein toller, für das westliche Denken sehr schwer verdaulicher Gedanke!

Ich muss da an meine erste Lektüre von Laotses Tao Te King denken - das war vor 25 Jahren. Es hatte mich damals umgehauen. Dieser ganzheitliche Ansatz, dieser naturalistische Fatalismus im besten Sinne, diese Anti-Kultur... Das beste Mittel gegen Klimakrisen!

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