War 68 in Arendts Sinne?
In der Biografie Daniel Cohn-Bendits hat die Theoretikerin des Totalitarismus ihre Spuren hinterlassen. Seine Eltern haben Hannah Arendt während des Krieges in Frankreich kennengelernt und sind ihr immer verbunden geblieben. Im Gespräch erzählt Cohn-Bendit von seinen Begegnungen mit Arendt und von dem Einfluss ihrer politischen Ideen auf sein eigenes Denken.
Hannah Arendt ist für Sie zunächst einmal eine Familiengeschichte. Wann kreuzt ihr Weg den Ihrer Eltern?
Daniel Cohn-Bendit: 1933 war mein Vater Anwalt bei der Roten Hilfe. Nach dem Reichstagsbrand gab es eine Jagd auf Kommunisten und Sozialdemokraten, als deren Verteidiger er auftrat. Jemand warnte ihn vor seiner unmittelbar bevorstehenden Verhaftung. Mit meiner Mutter verließ er überstürzt Berlin und kam als politischer Flüchtling nach Frankreich. In Paris besuchten sie beide bald regelmäßig eine Art Diskussionskreis, der sich um Walter Benjamin herum gebildet hatte, in dessen Wohnung in der Rue Dombasle Nummer 10. Dort machten sie die Bekanntschaft Hannah Arendts und ihres künftigen zweiten Ehemanns, des ehemaligen Spartakisten Heinrich Blücher. Mit der Kriegserklärung von 1939 haben sich die Bande umso mehr verstärkt, als Sammelzentren für Ausländer eingerichtet wurden und mein Vater gemeinsam mit Blücher ins Lager von Villemalard (Departement Loir-et-Cher) geschickt wurde, während sich meine Mutter und Hannah in Montauban wiedertrafen. Meine Eltern sind in Frankreich geblieben, Hannah und Heinrich sind über Lissabon in die Vereinigten Staaten emigriert, doch nach dem Krieg haben sie sich nie aus den Augen verloren. Mein Vater und Hannah haben eine reichhaltige Korrespondenz geführt, in einem Ausmaß, dass ich glaube, man kann sagen, dass der letzte Teil über die Staatenlosen in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft im Keim bereits in ihrem Austausch enthalten ist. Sie mochte ihn sehr und sprach ihm, wie sie in einem Brief geschrieben hat, trotz seines Alkoholismus einen sehr klaren Blick auf das Nachkriegsdeutschland zu.
Was ist Ihre erste Erinnerung an Hannah Arendt?
Sie geht ungefähr auf mein 13. Lebensjahr zurück. Hannah war gekommen, um die Laudatio auf Karl Jaspers anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels zu halten. Das war 1958, einige Wochen nach dem Tod meines Vaters, und sie ist zu uns nach Hause gekommen, um meine Mutter zu sehen. Doch das erste Mal, dass ich eine Art Gespräch mit ihr führte, war während des sogenannten ersten Auschwitzprozesses. Er wurde in Frankfurt abgehalten, und zum ersten Mal wurden SS-Offiziere, die an den Selektionen beteiligt waren, und besonders eifrige Kapos in Deutschland von Deutschen verurteilt. Meine Schulklasse – ich muss damals in der zwölften Klasse gewesen sein – hatte zu Beginn des Jahres 1964, also einige Wochen nach Prozessbeginn, eine Anhörung mitverfolgt. Ich war 18 Jahre alt, und ich erinnere mich, dass mich die Befragung eines Zeugen, eines kleinen Juden, der in Auschwitz inhaftiert war, besonders bewegt hat, weil ich die Anwälte, die die Nazis verteidigten, sehr hart fand, als sie versuchten, dessen Zeugnis in Zweifel zu ziehen: „Können Sie sich wirklich an diese Szene erinnern? Erinnern Sie sich wirklich, oder hat man es Ihnen erzählt?“ Das ist die Rolle der Verteidigung, aber dennoch war ich schockiert zu sehen, wie dieser arme Junge, der Auschwitz überlebt hatte, dazu aufgefordert wurde, sich dafür zu rechtfertigen, dass sein Gedächtnis vielleicht streiken könnte angesichts von Ereignissen, die sein Gedächtnis eigentlich nur verdrängen konnte. Das war unglaublich grausam. Für mich war dieser Prozess eine der wenigen wirklichen Konfrontationen mit dem Grauen der Lager. Seither ertrage ich übrigens die Berichte über Nazideutschland nicht mehr. Sollen die Goys sich das antun, aber nicht ich. Das hat mir dermaßen Angst eingejagt, dass ich davon eine Überidentifizierung zurückbehalten habe, etwas, das ich in Bezug auf meine Identität nur schwer einordnen kann. Auch wenn ich kein Jude im religiösen Sinn bin und keinen Fuß in die Synagoge setze, habe ich dieses Gefühl, dass ich, wäre ich in den 1930er-Jahren geboren, jener kleine Junge mit erhobenen Händen auf dem berühmten Foto aus dem Warschauer Getto hätte sein können, das von einem SS-Mann aufgenommen wurde. Jedenfalls stand ich beim Verlassen des Saals plötzlich Hannah gegenüber, die mit einem Journalisten diskutierte. Wir sind ein paar Schritte gemeinsam gegangen. Auch sie war sehr aufgewühlt von der Härte der Szene, die wir gerade erlebt hatten. Bei diesem Prozess habe ich verstanden, dass es zwei Deutschlands gab.
Welche?
In Wirklichkeit hatte ich es bereits begriffen, aber noch nicht verdaut: Als ich acht oder neun Jahre alt war, lebte ich mit meiner Mutter in Frankreich, und von Zeit zu Zeit besuchte ich zusammen mit meinem damals 17- oder 18-jährigen Bruder meinen Vater in Frankfurt. Wir spazierten die Straße entlang, und er musterte die entgegenkommenden Passanten, zeigte mit dem Kinn auf sie: „Der da, Nazi.“ „Der da auch – ach nein, zu jung.“ Wir sahen auf sie in jener Zeit nicht mit einer Unschulds-, sondern einer Schuldvermutung. Es gab dieses strenge Deutschland von vorher, mit beim Grüßen die Hacken zusammenschlagenden Männern und katzbuckelnden Frauen. Die wollten vergessen, verdrängen. Und dann tauchte ein anderes, jüngeres Deutschland auf, das wissen wollte, wer zwischen 1933 und 1945 was gemacht hatte. Diese Bewegung hat sich in dem Maße, in dem man sich der eigenen Vergangenheit bewusster wurde, verstärkt und vermutlich 1979 mit der Ausstrahlung der Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ einen Höhepunkt erreicht. Die Jungen waren davon wie vor den Kopf geschlagen, und sie sagten zu ihren Eltern und Großeltern: „Und ihr? Ihr habt von nichts gewusst? Erzählt mir nicht, dass ihr davon nichts gewusst habt!“ Es gab eine echte moralische Krise in der deutschen Gesellschaft, und diese Krise hat einen Bruch offenbart, der bis heute fortbesteht. Gegenüber den Flüchtlingen gibt es ein „Willkommens“-Deutschland, das zeigen möchte, dass es die Gespenster der Vergangenheit weggefegt hat, und ein anderes, das Angst um seine Identität hat und nicht zögert, aus einer extrem rechten, nazistischen Mythologie zu schöpfen.
War für Sie die Lektüre Arendts erhellend für Ihr Verständnis dieser zwei Deutschlands?
Bis 1968 war ich von der Gruppe Socialisme ou barbarie beeinflusst und im Grunde genommen eher rousseauistisch geprägt, mit einer etwas naiven, marxistischen Interpretation der Entfremdung: Die Menschen sind gut, und weil der Kapitalismus die Menschen entfremdet, wird die Entfremdung, wenn wir uns erst vom Kapitalismus emanzipiert haben werden, verschwinden … Arendt war zu jener Zeit völlig von der konservativen Rechten vereinnahmt und wurde von den Linken als eine Philosophin der Rechten betrachtet. Ich hatte sie überhaupt nicht auf meinem Schirm. Und dann, in den 1970er-Jahren, gab es diese ganze Debatte über den Radikalismus und den Totalitarismus mit der Frage nach der Gültigkeit des Vergleichs zwischen Nazismus und Stalinismus. In diesem Moment habe ich erst Eichmann in Jerusalem, dann Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft gelesen.
Und wie haben Sie auf ihre Ideen reagiert?
Im Hinblick auf die Banalität des Bösen habe ich sofort gedacht, dass sie richtig gesehen hatte – zu sagen, dass es in Deutschland eine Minderheit an Monstern gegeben habe und die anderen instrumentalisiert worden seien, wäre ein Irrtum, da das darauf hinausliefe, eine große Mehrheit der deutschen Gesellschaft zu entlasten. Es ist sehr viel unbequemer, die Banalität des Bösen anzuerkennen, weil das impliziert, die Gründe dafür in der gesellschaftlichen Realität zu suchen. Arendt sagt, dass der Mensch weder gut noch böse ist, und vor allem – so interpretiere ich es –, dass der Mensch je nach den historischen Momenten nicht zwangsläufig derselbe ist. Nehmen Sie den Fall des deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, der 1977 von der RAF ermordet wurde. Als Wirtschaftsfunktionär war er offen für den Dialog mit den Gewerkschaften und einer sozialen Demokratie wohlgesonnen. Drei Jahrzehnte zuvor war er Untersturmführer der SS in der Tschechoslowakei unter der Knute Heydrichs, eines der schlimmsten Nazis überhaupt. Wäre Schleyer 1942 bei dem Anschlag des tschechischen Widerstands auf Heydrich in dessen Wagen gestorben, hätten alle gesagt: Geschieht ihm recht. Die gleiche Person, 30 Jahre später von der RAF ermordet, wird zu einer Opferfigur. Es ist ein sozialer und historischer Prozess, der eine Person XY oder eine Gruppe zu etwas Bösem macht.
Man kommt nicht als Monster zur Welt, man wird es?
Nach allem, was ich gelernt habe, und allem, was ich über die Lage während der Hitlerzeit rekonstruieren konnte, ist die Mehrheit der Deutschen nicht als Monster zur Welt gekommen. Es hat eine Entwicklung der Gesellschaft gegeben, die normale Menschen zum Monströsen hin getrieben hat. Genau wie auch ein Terrorist heute bei seiner Geburt kein Monster ist. In Wahrheit – das ist es, was ich von Arendt gelernt habe – existiert das Böse und ist banal. Es kann jederzeit von jedermann ausgehen, was viel erschreckender ist, als wenn es zum Privileg außergewöhnlicher Monster gemacht wird. Zivilisation bedeutet ja gerade, das Böse zu kontrollieren, damit es nicht zum Ausbruch kommt. Nichts anderes sagt Arendt. Aus diesem Grund glaube ich, dass man die Realität nicht verbergen darf, sondern dass man sie so beim Namen nennen muss, wie man sie begreift. Wenn man zum Beispiel zu der Einschätzung gelangt, dass die Struktur der saudischen Gesellschaft mittelalterlich ist, muss man das klar sagen. Im Anschluss kann man erwägen, dass politische Beziehungen mit diesem Land dennoch nötig sind, aber zuvor nennt man die Dinge beim Namen. Wenn der französische Premierminister Manuel Valls den Salafismus geißelt und kein Wort über die in Riad herrschende wahhabitische Dynastie verliert, stellt das ein Problem für mich dar. Das Reale muss man frontal angehen. Das Böse besteht auch darin, die Realität des Bösen zu verbergen – das Reale zu kaschieren, ist das spezifische Merkmal der Ideologie.
Eine Ideologie, schreibt Arendt, sei genau das, was ihr Name besage, die Logik einer Idee. Die Emanzipation des Denkens von der Erfahrung. Teilen Sie diese Meinung?
Ja. Im revolutionären Denken von 68 hat uns die Losung „Élections – piège à cons“ („Auf Wahlen fallen nur Idioten rein“) von der Einsicht abgehalten, dass eine Entwicklung der Gesellschaft, die diese demokratische Dimension und somit Wahlen nicht einschließt, zum Scheitern verurteilt ist. Um sich von der Ideologie zu emanzipieren, muss man sich dem Realen stellen und sein Denken hinterfragen.
Ist das die Bedeutung von frei sein? Arendt sagt mit einem Zitat von Augustinus, Freiheit sei die Fähigkeit, einen neuen Anfang zu setzen.
Freiheit heißt, Gewissheiten, die man für unabdingbar hielt, infrage stellen zu können.
Arendt scheint Ihre Freiheit geschätzt zu haben, schrieb sie Ihnen doch 1968: „Ich bin ganz sicher, dass Dein Vater sehr zufrieden mit Dir wäre.“
Das ist ein Brief, auf dessen Existenz und Inhalt ich erst zehn Jahre später gestoßen bin, als ich Elisabeth Young-Bruehls Arendt-Biografie gelesen habe. Hannah hatte Mary McCarthy gebeten, ihn mir in Paris zu übergeben, doch ich war gerade des Landes verwiesen worden und wusste damals nicht, dass sie mir auch finanzielle Unterstützung angeboten hatte. Als ich 2001 den Hannah-Arendt-Preis der Stadt Bremen erhielt, konnte ich in meiner Dankesrede sagen: „Danke, Hannah, dein Geld ist gerade angekommen!“
Um auf das Reale zurückzukommen – Arendt redete Heideggers Antisemitismus klein, der inzwischen durch die Veröffentlichung der Schwarzen Hefte weitgehend bestätigt wurde.
Die Schwarzen Hefte greifen nur wieder auf und reihen aneinander, was Heidegger allerorten sagte und schrieb. Heidegger war Antisemit. Das ist eine seit langem bekannte Tatsache. Er beschwört gegenüber der modernen Technik immerzu eine Art Mystik der Natur herauf. Der Jude, wenn ich ihn an dieser Stelle einmal essentialisieren darf, ist jemand, der nicht sehr empfänglich ist für die Mystik des Schwarzwalds.
Hannah Arendt war dafür empfänglich …
Sie war verliebt, wie viele Studentinnen in ihre Professoren verliebt waren. Und sie blieb von dieser Beziehung geprägt. Heidegger war ihr blinder Fleck, ihr „menschlicher Makel“, um es mit Philip Roth zu sagen.
Wie schätzen Sie als jemand, der die Revolte verkörpert, Arendts Analyse der Krise der Autorität ein? Sei es, wenn sie im Bereich der Bildung unterstreicht, dass es die Rolle der Schule sei, den Kindern beizubringen, was die Welt sei, und nicht, ihnen eine bestimmte Lebensart einzutrichtern, sei es, wenn sie auf eine Regression der Autorität bei den Erwachsenen hinweist, die sich weigern, Verantwortung für jene Welt zu übernehmen, in die sie ihre Kinder gesetzt haben.
Bei der Regression hat sie richtig gesehen. Es gibt in unserer Gesellschaft des Unmittelbaren eine offensichtliche Verweigerung, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Bei der Schule würde ich sagen, dass sich deren Rolle weiterentwickelt hat, sie ist nicht mehr nur eine Institution zur Wissensvermittlung, sondern auch ein Ort der Sozialisierung in einer Welt, in der die Familie zerfällt. Was schließlich die Autorität angeht, so hatte sie ein sagen wir recht traditionelles Verständnis von Autorität, Wissen und dem Verhältnis zum Wissen. Meiner Ansicht nach ist heutzutage die große Debatte über die Autorität eine post-arendtsche Debatte. Heute geht es darum, neu nachzudenken über die Natur der Macht und über das Wissen jener, die die Autorität haben in einer Welt, die dank des Internets nicht mehr dasselbe Verhältnis zu Macht und Wissen hat.•
Der deutsch-französische Politiker und Umweltaktivist Daniel Cohn-Bendit bezeichnet seine Position gern als liberal-libertär. Als Gründer der „Bewegung 22. März“ in Nanterre war er einer der führenden Köpfe des Pariser Mai 68, was ihm eine Ausweisung aus Frankreich eintrug. Er war von 1989 bis 1997 Dezernent in Frankfurt und von 1994 bis 2014 Europaabgeordneter. Im Dezember 2014 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Nanterre.
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