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Bild: Addictive Stock (Imago)

Lösungswege

Warum schneiden wir Grimassen?

Clara Degiovanni veröffentlicht am 16 Juni 2022 4 min

Kinder tun es praktisch jeden Tag, Politiker vor schwierigen Entscheidungen und Fußballspieler nach verschossenen Elfmetern: Grimassen schneiden. Doch warum eigentlich? Vier Antworten von Diogenes, Bergson, Bachtin und Sartre.

 

Diogenes von Sinope: aus Zynismus

 

Für Diogenes von Sinope ist die Grimasse kein Grund zum Lachen: Sie macht im Gegenteil sogar oft Angst. Zum Beispiel dann, wenn ganz im Stil der Kyniker (abgeleitet vom altgriechischen κύων (kýôn): „Hund“) das Gesicht so verzogen wird, dass man – die Lippen nach oben gezogen und die Zähne entblößt – einem wütenden Hund gleicht. Diogenes, ein Vertreter des Kynismus, hatte es sich vor seinen Mitmenschen in Athen zur Gewohnheit gemacht, sein Gesicht zu solchen Grimassen zu verziehen, um ihnen ihre Eitelkeit vor Augen zu führen. Indem er sich selbst von einer wenig schmeichelhaften, ja sogar völlig unanständigen Seite zeigte – er masturbierte zudem regelmäßig in der Öffentlichkeit –, beabsichtigte er, allen zu zeigen, dass auch sie Teil der niederen Natur sind. Der Mensch ist nackt, und wer sich das bewusst macht, kann darüber grinsen, so seine Botschaft.

Die typische Grimasse eines Zynikers ist ein übertriebenes Grinsen, das sich in massiver Anspannung des Kiefers zeigt. Sie ist oft bei Schauspielern zu beobachten, wenn sie die Ironie einer Aussage zum Ausdruck bringen wollen.

 

Henri Bergson: um komisch zu sein

 

Im Alltag ist unser Gesicht zwar ausdrucksstark, aber nicht in übertriebener Weise. Wir verbringen unser Leben nicht damit, hektisch die Augenbrauen hochzuziehen oder angewidert zu grinsen. Die meiste Zeit haben wir unser Gesicht unter Kontrolle, ohne dass es unter übermäßiger Spannung steht. Indem die Grimasse unsere Züge aber plötzlich in einem karikaturesken Ausdruck erstarren lässt, ist die Grimasse der Gegenpol zu unserer üblichen Gefasstheit. Es ist diese ungewohnte Mischung aus Exzess und Starrheit im Ausdruck, die laut Bergson zum Lachen anregt: „Ein Gesichtsausdruck wird also lächerlich sein, wenn er uns an etwas Starres, sozusagen Geronnenes in der allgemeinen Flüssigkeit und Beweglichkeit der Gesichtszüge erinnert“, so der Philosoph in seinem berühmten Essay Das Lachen aus dem Jahr 1900. Diese Unbeweglichkeit verwandelt die Person, die die Grimasse schneidet, vorübergehend in eine seltsame, ungelenke Puppe. Bergson zufolge ist dieser „mechanische“ Aspekt der Ursprung der „komischen Hässlichkeit“. Die Grimasse bringt uns gerade deshalb zum Lachen, weil sie dieses gewisse Etwas an Unansehnlichkeit und Schrillheit besitzt, das zur Irritation in der gewöhnlichen und ernsten Beweglichkeit unseres Alltagsgesichts führt.

Und was ist die Bergson‘sche Grimasse par excellence? Die herausgestreckte Zunge. Diese Geste, die so alt ist wie die Menschheit selbst, erweckt nämlich den Eindruck, dass unsere Zunge wie durch eine Feder angetrieben ist, wenn sie herausspringt. Damit besitzt die Grimasse genau die mechanische Dimension, von der Bergson spricht.

 

Michail Bachtin: weil die Grimasse subversiv ist

 

Im Mittelalter wurden Festlichkeiten ausgetragen, deren Hauptattraktion die Grimasse war. Dabei hatte die Erheiterung des Pöbels durch närrische Einlagen allerdings nicht nur zum Ziel, Freude zu bringen, sondern verfolgte auch einen politischen Anspruch. Die Vorführungen, in denen die Obrigkeit oft mit übertriebenen Fratzen aufs Korn genommen wurden, waren eine Form der Herrschaftskritik und gaben dem Volk die Möglichkeit, lange gehegtem Groll ohne Angst vor Strafe Luft zu verschaffen. Laut dem Literaturtheoretiker Michail Bachtin ist die Grimasse so ein parodistisches Medium, das eine Theatralisierung und Entlarvung von Machtverhältnissen ermöglicht. Sie dienen dazu, nicht nur die Mächtigen, sondern ein ganzes Gesellschaftsmodell zu kritisieren. Besonders effektiv sind sie in der Form von Religionskritik, schreibt Bachtin: „Fast alle Riten des Narrenfestes sind groteske Reduktionen verschiedener kirchlicher Riten und Symbole durch ihre Übersetzung in die materiell-körperliche Ebene“, erklärt er in seinem Werk Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, das 1987 auf Deutsch erschienen ist. Fratzen ebenso wie „Verkleidungen“, „komische Masken“ und „obszöne Tänze“ ermöglichten, das Heilige direkt anzugreifen. Die Grimassen können also gerade in ihrer Komik zutiefst politisch sein.

Die Physiognomie der Kasperlefiguren illustriert diese Art der subversiven Grimasse, die darin besteht, die Mächtigen zu karikieren.

 

Jean-Paul Sartre: um die Scham abzuwenden

 

Grimassen können auch eine therapeutische Wirkung haben. Als Sartre ein Kind war, war das Grimassenschneiden ein regelrechter Schutzreflex: eine Art, sich „gegen die Blitzentladungen der Schmach“ zu verteidigen, die ihn überfielen. In seiner Autobiografie Die Wörter, die 1965 auf Deutsch erschienen ist, erzählt er, dass er nach einer Demütigung „vor einem Spiegel Grimassen zu schneiden“ pflegte. Die Grimasse diente dazu, ein schändliches Ereignis körperlich zu verarbeiten und es durch einen Gesichtsausdruck zum Leben zu erwecken: „Indem sie (die Grimassen) mein Unglück aufs Äußerste steigerten, befreiten sie mich davon“, erklärt der Philosoph. Sartre übertrieb die Grimasse sogar bis zum Äußersten, bis er wie ein „Monster“ aussah. Die Karikatur des eigenen Gesichts verlieh ihm die Macht, das Bedauern der anderen in Mitleid mit sich selbst zu verwandeln. Indem er sich körperlich „hässlich“ machte, entging der junge Sartre der moralischen Scham.

Eine solche kathartische Grimasse wäre sicher übertriebenes Schielen. Auf diese Art wird ein vorhandenes physiologisches Merkmal betont, um Selbstmitleid herbeizuführen. •

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