Warum sind wir abergläubisch?
Vor wichtigen Ereignissen noch schnell den Glücksbringer einstecken. Eigentlich wissen wir, dass derartige Rituale keinen Sinn ergeben. Aber woher kommt unsere Neigung zum Aberglauben? Spinoza, Schopenhauer, Freud und Bergson haben Antworten.
Weil es unsere Ängste mildert
Baruch de Spinoza (1632 - 1677)
Am Abend vor einer Prüfung laufe ich unbeabsichtigt unter einer Leiter hindurch. Um dem Unheil entgegenzuwirken, klopfe ich dreimal auf Holz ... Puh, gerade noch davongekommen. Laut Baruch de Spinoza machen uns die großen Prüfungen des Lebens besonders empfänglich für alle Formen des Aberglaubens. Unser unruhiger „Sinn“ ist in diesen Situationen „in der Regel geneigt, alles Beliebige zu glauben", erklärt er in seinem Tractatus theologico-politicus (1670). Beschwörungen, Amulette, Rituale ... Alles ist recht, um uns in Momenten der Unsicherheit, in denen wir „zwischen Hoffnung und Furcht“ schwanken, zu beruhigen. So kann uns „der geringste Anstoß“ des Schicksals, und sei er noch so trivial – etwa eine Tischnummer in der Prüfung, die unserer Glückszahl entspricht – wieder Vertrauen geben. Die ganze Welt ist auf einmal von Zeichen bevölkert. Sobald eine Prüfung bevorsteht, ersinnen die Menschen „unzählige Dinge und deuten die Natur ganz als ob sie ihren eigenen Wahn teile,“ bedauert Spinoza. Um diesem Wahn ein Ende zu bereiten, rät uns der Philosoph, der dem Aberglauben sehr feindlich gegenübersteht, uns ausschließlich auf unseren Verstand zu stützen. Der beste Weg, um eine Prüfung zu bestehen ... ist es, mit der Vorbereitung zu beginnen.
Weil es uns die Langeweile vertreibt
Arthur Schopenhauer (1788 - 1860)
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